Versöhnung bedarf Wahrhaftigkeit
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Im Jahr 2005 ist der damalige serbische Präsident Boris Tadić zu den Gedenkfeiern anlässlich des 10. Jahrestages des Massakers von Srebrenica nach Bosnien gereist – eine Sensation war das damals, waren es doch bosnisch-serbische Milizen am 11. Juli 1995 und den folgenden Tagen, die rund 8.000 Muslime aus der UN-Schutzzone Srebrenica verschleppt und getötet hatten. Es war der größte Massenmord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Übermorgen reist nun erneut ein hochrangiger serbischer Politiker, Ministerpräsident Aleksandar Vučić, zum 20. Jahrestag des Massakers nach Srebrenica. Das ist ein weiteres ermutigendes Zeichen für die Anerkennung von Schuld.
Allerdings wird die Reise Vučićs getrübt von einschränkenden Äußerungen des serbischen Regierungschefs: er spricht lediglich von "einigen Individuen", die Verbrechen begangen hätten. Eine Resolution der Vereinten Nationen, Srebrenica als Völkermord zu bezeichnen, lehnt die serbische Regierung strikt ab und wird hierbei von Russland unterstützt.
Deshalb bleibt Vučićs "Verneigung vor den Opfern", die er am Samstag in Srebrenica plant, halbherzig. Wirkliche Versöhnung kann nur gelingen, wenn Schuld vollständig und ohne Einschränkung beim Namen genannt wird. Das ist zugegebenermaßen schwer und tut zuweilen auch weh, jeder Mensch weiß das. Und was für den Einzelnen gilt, gilt auch für Völker. Ein Zeichen großer innerer Reife ist, wer seine Schuld klipp und klar benennt und daraus Schlüsse für die Zukunft zieht.
Das ist auch Serbien zu wünschen, das für sich eine Zukunft in der Wertgemeinschaft der Europäischen Union sieht und seit 2012 offiziell Beitrittskandidat ist. Noch ist das Land offensichtlich nicht soweit. Dass heute, 20 Jahre nach dem Völkermord von Serben an Muslimen in Srebrenica, nur 54 Prozent der Serben das Massaker als Verbrechen verurteilen, ist eine ernüchternde Zahl. Hier muss noch viel geschehen und Wahrhaftigkeit erarbeitet werden. Sonst ist eine wirkliche Versöhnung über den Gräbern kaum denkbar.