Volker Resing über die Kraft der Außenansicht

Wir brauchen Neugierde

Veröffentlicht am 18.04.2016 um 00:01 Uhr – Von Volker Resing – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Volker Resing über die Kraft der Außenansicht

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Wir haben uns daran gewöhnt, dass Kirchenleute über Kirche reden und Gläubige über den Glauben. Das ist viel zu wenig. Es müssen Ungläubige über den Glauben reden und Kirchenferne über die Kirche. Denen müssen wir zuhören. Sonst marginalisieren wir uns selbst und werden marginalisiert. Wo ist die Rezeption von "amoris laetitia" von einem Kirchenfernen, wo ist die Analyse der päpstlichen Liebesrhetorik von einem Psychologen, Soziologen, Biologen? Die Entkirchlichung und Säkularisierung der Gesellschaft hat eine sich selbst beschleunigende Kraft, nicht nur schrumpft die Herde, auch das Interesse an Glaubens- und Kirchenfragen droht bei "den Anderen" zu verschwinden. Zu oft hat nur noch die Draufsicht von außen Relevanz, Kirche und Glauben werden dann nur im Zuge der Islam-Debatte zum Politikum. Auch wenn der Papst etwas zur Flüchtlingsfrage sagt, entfaltet das öffentliche Resonanz. Aber was ist mit dem Kern? Interessiert die Gottesfrage noch in einem breiteren öffentlichen Diskurs?

Gerade ist auf deutsch das Buch von Emmanuel Carrère "Das Reich Gottes" erschienen. Es ist genau deswegen so überraschend und wichtig, weil sich der Gottesfrage ein Gottesferner widmet. Es ist in Frankreich zum Bestseller geworden. Es ist das Buch einer Glaubenssuche, sowohl persönlich wie auch historisch. Carrère zeichnet ein faszinierendes wie gewagtes Bild des frühen Christentums und verschränkt es mit der eigenen Biografie. "Ich bin zu dem geworden, der zu werden ich so sehr befürchtet hatte. Ein Ungläubiger. Ein Agnostiker", schreibt der bekannte französische Autor. Um an anderer Stelle dann ganz dialektisch anzumerken: "Ich schreibe dieses Buch, um mir selbst nicht zu sehr recht zu geben."

Solche Neugierde brauchen wir. Nur wenn wir es schaffen, dass das Christentum mit seinem Reichtum, seiner Geschichte, seiner Kultur, seiner existentiellen Sprengkraft das Denken und Fühlen jenseits der eigenen Herde anregt, vitalisiert das auch das eigene Haus. Carrère schreibt: "Ich glaube nicht, dass ein Mensch von den Toten zurückgekehrt ist. Aber man kann es glauben, und dass ich es selbst geglaubt habe, weckt meine Neugier, fasziniert mich, wirft mich aus der Bahn."

Der Autor

Volker Resing ist Chefredakteur der "Herder Korrespondenz".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Volker Resing