Den kryptischen Johannes verstehen lernen
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Impuls von Schwester M. Salome Zeman
Johannes der Täufer scheint mir oft kryptisch zu sprechen. Im heutigen Evangelium geht mir das ganz besonders so: Kaum etwas von dem, was er sagt, verstehe ich auf Anhieb, und trotzdem bin ich fasziniert. Die Worte bringen in mir etwas zum Klingen; ich kann nicht genau sagen, was, aber etwas in mir lässt sich von dem berühren, was Johannes sagt. Besonders die Sätze "Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war… Ich kannte ihn nicht… Das habe ich gesehen und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes" schwingen in mir nach und lassen mich nicht mehr los. Wie kann das sein, dass Jesus nach Johannes kommt und ihm gleichzeitig voraus ist? Wie kann es sein, dass Johannes zweimal betont, dass er Jesus nicht kannte, und hinterher trotzdem sicher ist, dass er Gottes Sohn ist?
Letzte Woche habe ich in einem Kurs eine Ikone gemalt. Am Anfang der Woche wusste ich noch nicht, welches Motiv ich wählen würde, und war auch ziemlich skeptisch, was meine künstlerischen Fähigkeiten angeht. Als ich dann vor der Auswahl an Motivvorlagen stand, wusste ich aber sofort und ohne darüber nachzudenken, welche ich malen würde. Die Ikone ist quasi auf mich zugekommen, und nicht ich habe sie gewählt, sondern eher sie mich. Dieses Gefühl hat mich die ganze Woche beim Malen nicht verlassen: Ich war mir bei fast jedem Schritt sicher, dass ich das nicht kann, dass meine Hand niemals ruhig und sicher genug ist, und dass ich gerade bei Gesichtern und Augen nur scheitern kann, aber letztendlich ist die Ikone wunderschön geworden. Das hätte ich nie aus mir selbst heraus machen können. Gott, den ich wie durch ein Fenster durch diese Ikone sehen kann, wusste schon lange vor mir, dass ich ihm in diesem Bild begegnen können würde, und hat mit mir dieses Bild gemalt – der nach mir kam (im Bild der Ikone erkennbar), war mir voraus, weil er schon lange vor mir war und wusste, wie er mir entgegenkommen konnte. Ich kannte ihn nicht und kenne ihn auch jetzt noch nicht, höchstens in Ausschnitten und kleinen Blicken, aber er kennt mich schon seit Ewigkeit. Das habe ich gesehen und bezeuge: Gott gibt es wirklich, er kommt uns entgegen, er ist wirklich da, mitten unter uns.
Das ist meine Johannes-Erfahrung, die mich Johannes verstehen lässt – nicht unbedingt vom Verstand her, aber dafür auf einer tieferen Ebene meines ganzen Menschseins. Wann immer ich meine Ikone anschaue, weiß ich, dass Gott wirklich Mensch geworden ist und es immer noch wird. Manchmal kann ich das erkennen, glauben will ich das immer.
Evangelium nach Johannes (Joh 1, 29-34)
In jener Zeit sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.
Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zu machen.
Und Johannes bezeugte: Ich sah. dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen. und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes.