Pfarrer Heinrich sagt "Ade!"

Für Gott auf dem Rummelplatz

Veröffentlicht am 10.10.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Seelsorge

Stuttgart ‐ Wenn er an seine "luftigste" Taufe zurückdenkt, muss Pfarrer Horst Heinrich lächeln. Auf einem Hochseil in Freiburg war das, Pate und Täufling hingen in schwindelerregender Höhe an einem Motorrad. "Ich bin in einer Transportbühne zu ihnen hochgefahren worden. Das war eine extrem wackelige Sache. Über mir das Motorrad, unter mir 20 Meter Luft", erzählt er mit leuchtenden Augen.

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Das Leben als Zirkus- und Schaustellerseelsorger werde nie langweilig, schwärmt der 64-jährige Protestant. Dennoch heißt es Abschiednehmen, denn im Sommer geht er in den Ruhestand. Am Donnerstag sagt er beim Gottesdienst auf dem Wasen "Tschüss".

Kirchlicher Dünkel liegt ihm fern. Taufe, Konfirmation oder Trauung im Riesenrad machen ihm keine Bauchschmerzen. "Auch eine Geisterbahn wäre kein Problem. "Wichtig ist mir, da zu sein, wo die Menschen sind." Selbst wenn es im Raubtierkäfig ist. "Da war ich auch schon." Seine Neugier sei groß, betont Heinrich. Offensichtlich ist sie sogar größer als seine Angst und sein Fluchtinstinkt.

Doch Heinrich zieht auch mal Grenzen: Nur die Schausteller und Zirkusleute tauft und vermählt er dort, wo ihr Lebensmittelpunkt ist. Festbesucher würde er nicht auf dem Jahrmarkt trauen. "Dann würde es zum 'Event'. Und das ist es eben nicht."

Eine Million Kilometer mit dem Auto

Rund 7.000 Menschen in ganz Deutschland gehören zu seiner Gemeinde - darunter auch Marktbeschicker und Puppenspieler. Für sie ist er da, und sie hat er in sein Herz geschlossen. Viele seien auf ihre Art sehr gläubig, ohne frömmelnd zu sein, sagt er. Betrunkene Besucher wieder in die Spur zu bringen, gehöre dagegen nicht zu den Aufgaben.

Begeisterung sei wichtig in seinem Beruf, macht der Mann mit dem weißen Haar und der dunklen Brille deutlich. Denn es sei schon ein "Knochenjob". Am Ende werde er fast eine Million Kilometer mit dem Auto zurückgelegt haben - von Festplatz zu Festplatz. Frau und Familie sähen ihn recht selten.

200 Tage im Jahr sei er auf Reisen, rund 100 Nächte verbringe er im Hotel. Entsprechend knapp sei die Zeit zu Hause, am Rand der Schwäbischen Alb. Bei einem Todesfall muss er schnell mal 700 Kilometer quer durch die Republik brausen. Ein Wohnwagen mache da keinen Sinn. Das habe er aufgegeben, nachdem er einige Mal vergessen hat, in welcher Stadt er ihn abgestellt hatte.

„Wichtig ist mir, da zu sein, wo die Menschen sind“

—  Zitat: Pfarrer Horst Heinrich

Zwölf Kollegen arbeiten bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit Teamleiter Heinrich Hand in Hand. "Er ist ein ganz feiner Mensch. Seine Herzlichkeit und Menschlichkeit zeichnen ihn aus", sagt Hannelore Janzhoff von der Geschäftsstelle der Schaustellerseelsorge.

Vom Militär zu den Schaustellern

Bevor er die Aufgabe übernommen hat, war Heinrich Militärseelsorger. Die Zeit in Bosnien mit Verletzten und Toten hat Spuren bei ihm hinterlassen. Er spricht von einem Trauma. Bestimmte Gerüche oder Geräusche könnten die schlimmen Bilder wieder wachrufen. Dann sei er eine Viertelstunde nicht ansprechbar.

Der Wechsel zu Jahrmärkten und Zirkussen vor rund elf Jahren habe gepasst. Es sei genau seine Sache, macht Heinrich deutlich. Doch auch vor dem Ruhestand ist ihm nicht bange. Er freut sich auf mehr Zeit mit der Familie, für den Tanzsport, sein Motorrad und klassische Musik. Wenn ihm nur das Abschiednehmen nicht so schwer fallen würde.

Auf der Cranger Kirmes im Ruhrgebiet kämpfte er mit den Tränen. "Ich habe so unendlich viel von Euch gelernt", sagte er im Festzelt - und schloss mit einem kurzen: "Also: Macht's gut!"

Von Wenke Böhm (dpa)

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