Klassentreffen des Internets
Zum achten Mal findet die wichtigste Veranstaltung der "Netzgemeinde" in Deutschland statt, das erste Mal nach Snowdens Enthüllungen. Kämpferisch sagt Markus Beckedahl, einer der Organisatoren der Konferenz, zu Beginn der Re:publica: "Kriminell agierende Geheimdienste haben uns das Netz entrissen. Hier geht es um unsere Grundrechte. Das ist unser Netz, lasst es uns gemeinsam zurück erkämpfen!" Den entschlossenen Aufrufen steht eine Ratlosigkeit gegenüber. Was zu tun sei, darüber sind die Internetexperten sich nicht einig. Zwar gibt es viele technische Lösungen, das Problem wird aber als politisches gesehen, das nur durch eine stärkere Kontrolle der Geheimdienste gelöst werden könne.
Internetseelsorge braucht Vertraulichkeit
Diese Stimmung ist auch bei den christlichen Onlinern verbreitet, die katholisch.de auf der Re:publica getroffen hat. Andrea Imbsweiler ist bei der Arbeitsstelle für missionarische Pastoral für die Internetseelsorge zuständig. Vertraulichkeit ist bei dieser Form kirchlichen Handelns besonders wichtig: Die Internetseelsorge legt großen Wert darauf, dass die Menschen, die Beratung und Unterstützung suchen, dies ohne Gefahr für ihre Privatsphäre tun können. Ein Anliegen, das immer im Konflikt damit steht, möglichst niederschwellig zu erreichen zu sein: "Viele Benutzer wollen es lieber einfach haben, als sich darum kümmern zu müssen, dass alles vertraulich bleibt."
Barbara Fank-Landkammer vom Deutschen Caritasverband bestätigt diesen Eindruck: In der Arbeit des Verbandes werden Online-Beratungsangebote selbstverständlich technisch gut gesichert. Besser als die sichere und mit individuellen Zugangscodes verschlüsselte Kommunikation funktioniere jedoch die direkte, aber relativ unsichere Kommunikation über Chats und Diskussionsforen. Dennoch stellt sie einen beginnenden Bewusstseinswandel fest: Noch vor fünf Jahren, als die Caritas mit ihren Social-Media-Aktivitäten begonnen hat, habe nach ihrem Eindruck Datenschutz eine untergeordnete Rolle gespielt. Mit den Snowden-Enthüllungen habe sich das geändert, und sichere Kommunikation werde stärker nachgefragt.
Der Begriff "Netzgemeinde" ist unbeliebt
Digitale Bürgerrechte sind für Rapha Breyer ein Grund, warum der Pfadfinder zur Re:publica fährt. Er glaubt, dass es auch für seinen Jugendverband, die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg, wichtig wäre, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren. Dass das Internet und Social Media für die kirchliche Jugendarbeit einen großen Stellenwert hat, ist für Irene Bär ein Anlass, nach Berlin zu kommen. Sie ist verantwortlich für youngcaritas, die Plattform des Caritasverbandes für soziales Engagement junger Menschen, und will dafür neue Trends aufspüren und neue Kontakte knüpfen.
Kontakte und Kommunikation sind wichtig auf der Netz-Konferenz, die oft als "Klassentreffen" des Internets bezeichnet wird. Mit einer anderen ironischen Bezeichnung tun sich die versammelten Onliner aber schwerer: Häufig wird von der Szene als "Netzgemeinde" gesprochen. Auch wenn der Begriff immer wieder fällt, wirklich identifizieren will sich fast niemand damit. Zu sehr klingt "Netzgemeinde" nach einer heimeligen und spießigen abgeschlossenen Gesellschaft für viele. Auch mit dem kirchlichen Unterton, der in "Gemeinde" mitschwingt, tun sich die mehrheitlich sehr säkular orientierten Blogger schwer. Wie wenig die Szene mit Kirche und Glauben zu tun hat, zeigt sich auch darin, dass zu den Sponsoren der Konferenz ein Modehersteller gehört, der Schuhe und T-Shirts verkauft mit dem Slogan "Ich bin Atheist".
Dennoch: Einige Christen sind da; am ersten Abend gibt es einen vom Katholischen Pressebund organisierten Stammtisch für katholische Medienschaffende, und die christliche Online-Szene ist gut vertreten. "Ein paar christliche Onliner habe ich hier schon getroffen", erzählt Ralf Simon, der beim Hilfswerk missio für die Onlinekommunikation zuständig ist, "aber das Thema Glaube und Religion taucht im Programm gar nicht auf." Wie man das ändern könne, dazu hat er noch keine Idee. Aber vielleicht ist der erste Schritt schon getan, wenn Christen sich ganz selbstverständlich im Internet und in der Onliner-Szene bewegen. In den Gesprächen am Rande der Vorträge und Workshops ist die Reaktion interessiert und aufgeschlossen, wenn man sich als Christ zu erkennen gibt. Das sieht auch Schwester Birgit Stollhoff CJ so: "Wir sollten da sein, wo die Menschen sind, und wenn die Menschen im Netz sind, dann sollten wir als Ordensleute und als Christen da auch sein."
Von Felix Neumann