Rüstungsexperte Jürgen Grässlin warnt vor Waffenlieferungen in den Irak

Verantwortung ja, Waffen nein

Veröffentlicht am 31.08.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kampfpanzer Leopard 2 A6
Bild: © KNA
Irak

Freiburg ‐ In einer Sondersitzung berät der Bundestag am Montag über die aktuelle Lage im Irak. Ein wichtiges Thema dabei wird die Frage deutscher Waffenlieferung an die im Norden des Landes gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) kämpfenden Kurden sein. Im Interview warnt der Freiburger Rüstungskritiker und Buchautor Jürgen Grässlin vor einem solchen Schritt, den er als illegal bezeichnet.

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Der Sprecher der auch von kirchlichen Organisationen unterstützten Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" ist Träger des Aachener Friedenspreises. Seine jahrzehntelangen Recherchen trug er unter anderem in dem Bestseller "Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient" zusammen.

Frage: Herr Grässlin, im Nordirak kämpfen Kurden gegen die IS-Milizen - sind Waffenlieferungen der richtige Weg, um dem Terror der Islamisten gegen die Zivilbevölkerung ein Ende zu setzen?

Grässlin: Definitiv nicht, weitere Waffenlieferungen in das Pulverfass des Nahen und Mittleren Ostens wären ein ebenso fataler wie folgenschwerer Fehler. Waffenexporte wirken mittel- und langfristig destabilisierend, sie sind somit äußerst verantwortungslos und im Endeffekt kontraproduktiv. Mit Kriegswaffenlieferungen in den Irak würde die Bundesregierung die Jahrzehnte währende Tradition deutscher Waffentransfers in Krisen- und Kriegsgebiete ungehemmt fortsetzen.

Frage: Aber handelt es sich diesmal nicht vielleicht tatsächlich um einen Sonderfall?

Grässlin: Neu ist, dass diesmal ein nichtstaatlicher Akteur in einem Krieg beliefert werden soll. Einmal mehr würde Deutschland Kriegswaffen und Rüstungsgüter in eine Region exportieren, in der es an vielem mangelt, am allerwenigsten aber an Waffen. Die Behauptung, Menschenrechte im Irak und in der Region des Nahen und Mittleren Ostens schützen zu wollen, ist angesichts der langjährigen Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende Staaten - allen voran an das wahhabitische Herrscherhaus in Saudi-Arabien, aber auch in den Iran, Irak und Israel - heuchlerisch und verlogen. Wer Waffen in das Kriegsgebiet Irak liefert, gießt Öl ins Feuer eines Krieges. Schon jetzt wird mit zuvor gelieferten deutschen Kriegswaffen - allen voran Sturmgewehren - Mord und Massenmord im Nahen und Mittleren Osten verübt.

Bild: ©KNA

Jürgen Grässlin ist Sprecher der auch von kirchlichen Organisationen unterstützten Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" und Träger des Aachener Friedenspreises.

Frage: Führende Vertreter der beiden Kirchen zeigen sich in engen Grenzen offen für Waffenlieferungen oder eine militärische Intervention im Fall Nordirak - halten Sie eine der beiden Optionen für vertretbar?

Grässlin: Die Offenheit einiger Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen für Kriegswaffenlieferungen in den Irak erklären sich aus dem verzweifelten Versuch, Abertausenden von Menschen in Not helfen zu wollen - was angesichts des skrupellosen Vorgehens des IS ganz und gar nachvollziehbar ist. Wenn Deutschland Verantwortung übernimmt und in diesen Krieg eingreift, dann ist dies richtig und wichtig.

Frage: Aber?

Grässlin: Allerdings muss sich Deutschland dabei endlich auf allen Ebenen als Weltfriedensmacht definieren. Diese Zielvorgabe schließt Waffenlieferungen definitiv aus und verlangt stattdessen politische Einflussnahme auf die befreundeten Staaten Türkei, Saudi-Arabien und Katar, die die Terroreinheiten des "Islamischen Staats" ausrüsten beziehungsweise finanzieren. Und sie verlangt von Deutschland eine Vervielfachung humanitärer Leistungen und der Flüchtlingsaufnahme. Genozide müssen aktiv verhindert werden - genau deshalb bedarf es der Schaffung von Fluchtwegen und der aktiven Fluchthilfe, verbunden mit massiver humanitärer Unterstützung.

Frage: Der Bundestag will am Montag über das Thema Waffenlieferungen debattieren. Was für ein Signal könnte oder sollte von dieser Debatte ausgehen?

Grässlin: Das schlimmste Signal wäre, dass der Bundestag den definitiv rechtswidrigen Waffenexporten an die Kombattanten der Peschmerga zustimmt und damit sowohl das Grundgesetz als auch Völkerrecht bricht.

Frage: Sie halten ein derartiges Vorgehen also für illegal?

Grässlin: Artikel 25 des Grundgesetzes legt fest, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Artikel 26 des Grundgesetzes verpflichtet Deutschland, für das friedliche Zusammenleben der Völker einzutreten. Gemäß den beiden Ausführungsgesetzen, dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG), kommen Exporte nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, so bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen. Mit der Lieferung von Kriegswaffen verstößt die Bundesregierung gegen das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen von 1949. Schließlich hat die UN-Charta das frühere Recht eines souveränen Staates, einen Krieg führen zu können, abgeschafft.

Frage: Was bedeutet das unter dem Strich?

Grässlin: Waffenexporte in das Bürgerkriegsland Irak sind grundgesetz- und völkerrechtswidrig. Sollte die Bundesregierung, unterstützt von einem Votum des Deutschen Bundestags der Kriegswaffenlieferung an die Kämpfer der Peschmerga zustimmen, wird Deutschland zur Kriegspartei. In diesem Sinne begeht die Bundesregierung definitiv Rechtsbruch - was für ein katastrophaler und folgenschwerer Präzedenzfall.

Das Interview führt Joachim Heinz (KNA)

Aktionsbündnis "Stoppt den Waffenhandel"

Die Kampagne des Aktionsbündnisse wird auch von katholischen Einrichtungen und Verbänden unterstützt. Darunter sind neben dem Trierer Diözesanverband des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend auch mehrer Diözesanräte sowie Pax Christi. Ziel der Kampagne ist es es, aus der Zivilgesellschaft heraus Druck gegen die deutsche Praxis des Rüstungsexportes aufzubauen und Alternativen zur Rüstungsproduktion aufzuzeigen.