Sehnsucht nach Wundern
Warum ist die Sehnsucht nach Wundern gerade an Weihnachten besonders groß? "Weihnachten ist die Zeit der Erinnerung an die eigene Kindheit. Daran, wie man mit großen Erwartungen und Vorfreude dem Heiligen Abend entgegengefiebert hat", erklärt der Kölner Psychologe Werner Hübner. Deshalb gebe diese Zeit Raum für ursprüngliche Gefühle. "Die Menschen sind offener, als im restlichen Jahr, auch für Wunder."
Ein Impuls zur Wandlung
Hübner berät gelegentlich im Advent Menschen auf dem Bonner Weihnachtsmarkt. In diesen Gesprächen am Rande des Getümmels, stellt er immer wieder fest, dass Weihnachten bei vielen etwas auslöst. "Sie sagen mir, dass sie wieder andocken möchten, an den Glauben, dass in der Heiligen Nacht etwas Außergewöhnliches passiert ist." Das Wunder von Weihnachten gebe auf diese Weise einen Impuls zur Wandlung.
"Wer sich als Christ mit dem Ereignis von Weihnachten wirklich auseinandersetzt, kommt an tiefes Fragen", sagt der Koblenzer Prälat Hans Lambert. "Wie soll das möglich sein, dass Gott in dieser Welt erscheint, in der Gestalt eines wehrlosen Kindes?". Ein Weihnachten, das nur aus Tannengrün und Lichterketten bestehe, sei schon am zweiten Feiertag Geschichte. "Wenn ich aber zu der persönlichen Glaubensentscheidung komme, dass Weihnachten der Beginn der Hoffnung für die Menschheit ist, dann hilft es mir durch alle Zeiten."
Sich selbst als wertvoll erleben
Hoffnung sei eng mit dem Weihnachtswunder verbunden, es wecke die Sehnsucht nach etwas Neuem, nach Liebe, sagt Kardinal Walter Kasper. Indem Gott Mensch geworden sei, habe er mitten in der Kälte und Nacht der Welt seine Liebe, Barmherzigkeit und Freude gezeigt. Dieser Stimmung könne sich niemand entziehen, meint auch Werner Hübner. "Die Menschen werden an Weihnachten gnädiger", ist seine Erfahrung. "In dieser Zeit ist ein Teppich ausgerollt, auf dem etwas stattfinden kann, was sonst im Jahr schwerer ist: das Verzeihen und das Zueinander finden."
"Es ist der Wunsch, in Frieden leben zu können - in der Familie, in der Gesellschaft und erst Recht in der zerrütteten Welt", sagt Prälat Lambert. Eine Sehnsucht, die oft unerfüllt bleibt, wie Hübner aus seiner psychotherapeutischen Praxis weiß. Vielen sei das wunderbare Gefühl der Weihnacht abhandengekommen. "Schon im November sitzen Menschen bei mir, die sich vor dem Fest grausen, weil sie alleine sind oder schlechte Erinnerungen an frühere Familienfeiern haben", erzählt er.
Viele fühlten sich gerade an der Festtagstafel unter Druck, weil es Spannungen innerhalb der Familie gebe oder sie den Erwartungen nicht genügen könnten. Werner Hübner empfiehlt, aus ungeliebten Inszenierungen auszubrechen und sich ein persönliches Weihnachtswunder zu kreieren. "Das gelingt, wenn ich es schaffe, mich an Weihnachten selbst als wertvollen Menschen zu sehen, mir Auszeiten zu nehmen und offen für die leisen Töne zu sein. Wer diese Offenheit übt, wird feststellen, dass sich Wunder nicht nur auf die Weihnachtszeit beschränken."
Von Janina Mogendorf