BGH verhandelt über Auskunftsanspruch von Kindern

Die Frage nach dem Vater

Veröffentlicht am 28.01.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ethik

Karlsruhe ‐ Erstmals befasst sich am Mittwoch das oberste deutsche Gericht mit dem Wunsch von Kindern, den anonymen Samenspender kennenzulernen, der ihr biologischer Vater ist. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) streben die Kinder gegenüber der Reproduktionsklinik einen Auskunftsanspruch über die Identität des Mannes an.

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Die Mutter und der mit ihr verheiratete soziale Vater der Kinder hatten vor der medizinischen Behandlung der Mutter in einer notariellen Erklärung gegenüber der Klinik darauf verzichtet, Auskunft über die Identität des Samenspenders zu bekommen. Die 1997 und 2002 geborenen Klägerinnen wollen trotzdem wissen, wer ihr biologischer Vater ist. Juristisch vertreten wurden die Kinder dabei von ihren Eltern.

Das Landgericht Hannover wies die Klage 2013 ab. Ein eigenes Recht auf die Kenntnis ihrer Abstammung könnten Kinder erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres geltend machen. Sie müssten ein Alter haben, in dem sie Konsequenzen ihres Wunsches beurteilen und verarbeiten könnten. Ein Ausnahmefall, etwa eine Erkrankung, bei der die medizinische Situation der Eltern eine Rolle spielen könne, liege nicht vor. Dass ein solcher Auskunftsanspruch generell besteht, wird nach einem entsprechenden Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm aus dem Jahr 2013 allgemein angenommen und aus dem Grundgesetz abgeleitet.

Giovanni Maio leitet den Lehrstuhl für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Bild: ©picture alliance / dpa/Horst Galuschka

Giovanni Maio leitet den Lehrstuhl für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Embryonenschutzgesetz nicht mehr zeitgemäß

Die Reproduktionsmedizin ist eine vergleichsweise junge Fachrichtung. Eine wesentliche Triebfeder ihrer Weiterentwicklung war der Kinderwunsch von Paaren, die ohne fremde Hilfe nicht zeugungsfähig waren. Das erste sogenannte Retortenbaby weltweit kam 1978 in Großbritannien zur Welt, vier Jahre später wurde in Erlangen nach einer In-vitro-Fertilisation das erste deutsche im Reagenzglas gezeugte Baby geboren. Dabei werden Spermien außerhalb des Mutterleibes in eine Eizelle verpflanzt.

Inzwischen haben sich die Zahl der Methoden und die wissenschaftlichen Kenntnisse vervielfacht. Das 1990 vom Bundestag verabschiedete Embryonenschutzgesetz hält schon lange nicht mehr mit der medizinischen Wirklichkeit Schritt. Zwar setzt sich der 2001 als Nationaler Ethikrat gegründete Deutsche Ethikrat mit einer Reihe von Fragestellungen auseinander, doch viele bezweifeln, dass das ausreicht.

Das Thema hat viele Facetten

Medizinische Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches ist keine Randerscheinung. Laut Deutschem IVF-Register kümmern sich in der Bundesrepublik rund 130 Klinken speziell um dieses Thema. Zwischen 1997 und 2013 kamen rund 203.000 Kinder durch medizinische Maßnahmen außerhalb des Mutterleibes zur Welt. Hinzu kommen 120.000 Fälle von Samenspenden. Nach Schätzungen ist inzwischen bei 3 bis 3,5 Prozent aller Fälle der Arzt nicht nur bei der Geburt, sondern auch an der Zeugung beteiligt.

Das Thema Samenspende ist nur eines von vielen in der Reproduktionsmedizin, das auch juristische, philosophische und psychologische Facetten hat. Für den Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio ist eine Samenspende keine "unverbindliche Dienstleistung". Sie dürfe nicht "auf das rein Technische innerhalb eines Geschäftsmodells reduziert werden".

Laut Maio muss vielmehr die psychologische Seite aller Beteiligten beachtet werden. Paare müssten eine gute Beratung erfahren, damit sie wüssten, welche Herausforderungen auf sie zukämen und wie sie später mit ihrem Kind sprechen könnten. Auch der Samenspender brauche Beratung, damit er die Verantwortung "klar vor sich sieht und eine gereifte Entscheidung treffen kann". Dass das Thema nun stärker in die Öffentlichkeit gerät, hält Maio für gut: Im Interesse aller sei mehr Aufklärung und Information dringend geboten.

Von Michael Jacquemain (KNA)

Urteil: Kinder haben Recht auf Auskunft

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Urteil gefällt: Demnach haben Kinder grundsätzlich ein Recht darauf, frühzeitig den Namen ihres biologischen Vaters zu erfahren. "Ein Mindestalter ist nicht erforderlich", entschied der BGH am Mittwoch in Karlsruhe. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1989 hat jeder das Recht auf Kenntnis seiner Herkunft. Strittig war, ob das auch schon für Kinder gilt. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland etwa 100.000 mit Samenspende gezeugte Kinder. (som/dpa)

Im Interview erläutert der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio, welche Probleme mit Samenspenden verbunden sind. Der studierte Philosoph und Medizin-Professor gehört einer Reihe von Ethikkommissionen und -beiräten an. Er ist Mitglied des Ausschusses für ethische und juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer und bioethischer Berater der Deutschen Bischofskonferenz. Frage: Herr Professor Maio, der BGH befasst sich am Mittwoch mit dem Auskunftsanspruch von zwei Kindern, die von einer Reproduktionsklinik wissen wollen, wer ihr leiblicher Vater ist. Verstehen Sie das Interesse der Kinder? Maio: Natürlich. Es ist völlig klar, dass ein Kind nach seinem biologischen Vater fragt. Hier stoßen zwei unterschiedliche Interessen aufeinander. Die eine Seite ist die des Kindes und die andere die des Samenspenders, der dafür Geld bekommt. Er macht das in der Annahme, dass ihm daraus später kein Nachteil erwachsen wird. Er will vielleicht nur sein Studium finanzieren. Frage: Was ist das Problem? Maio: Dass die Samenspende als unverbindliche Dienstleistung gesehen wird, obwohl mit ihr unweigerlich ein Beziehungsgeschehen verbunden ist. Denn es entsteht ein Mensch, der unweigerlich danach fragt, wo seine Gene herkommen. Das sind Kinder, die sich zur Wehr setzen und verzweifelt nach ihrem biologischen Vater suchen. Frage: Was ist die Konsequenz? Maio: Eine Samenspende sollte nicht auf das rein Technische innerhalb eines Geschäftsmodells reduziert werden. Mit ihr sind unweigerlich existenzielle Fragen verknüpft. Die psychologische Seite aller Beteiligten muss beachtet werden - und zwar vor der Befruchtung. Die Paare müssen eine gute Beratung erfahren, auch damit sie wissen, welche Herausforderungen auf sie zukommen und wie sie mit ihrem Kind sprechen können. Sie dürfen nicht mit der Technik alleingelassen werden. Auch der Samenspender braucht eine gute Beratung, damit er die Verantwortung, die mit der Spende verbunden ist, klar vor sich sieht und eine gereifte Entscheidung treffen kann. Deshalb ist eine unabhängige, von ökonomischen Interessen freie Beratung nötig. Ansonsten wird zwar das Problem der Kinderlosigkeit technisch behoben, aber der Preis kann sein, dass viele zwischenmenschliche Probleme in Kauf genommen werden. Verzweifelte Kinder, getrennte Paare, verunsicherte Spender. Frage: Nun gerät das Thema wieder stärker in die Öffentlichkeit. Maio: Das ist auch gut so. Das ganze System wird so schwieriger. Aber im Interesse aller ist mehr Aufklärung und Information dringend geboten. Das Interview führte Michael Jacquemain (KNA)