Misstöne
Der Rest weiß nicht so genau, woran er glaubt. In der evangelischen Kirchengemeinde singen wir am liebsten. Aus zwei Gründen: Der Pfarrer predigt so, dass er uns alle nachdenklich hinterlässt. Er bedankt sich jedes Mal, wenn wir im Gottesdienst singen; wir spüren, dass es ihn freut. Und unser Kantor hat ein sensibles liturgisches Gespür, egal ob er barocke Stücke oder Pop auswählt. Wir werden Teil der Predigt, wir sind Teil der Gemeinde. Gottesdienst mit den beiden, das ist ein Erlebnis, Ausnahmezustand für die Sinne. Wir begegnen Gott. Es fasziniert alle, gleich wie alt sie sind.
Die Kirche ist sonntags meist gut besetzt. Gerne würden wir mehr in katholischen Kirchengemeinden singen, so wie früher. Aber es ist selten geworden. Wir werden nicht mehr eingeladen, man findet keine Termine mehr oder ein Ansprechpartner fehlt. Wir haben immer öfter den Eindruck: Wir sind nicht willkommen. Und betreten beobachten wir Protestanten, dass die katholischen Sängerinnen und Sänger mit immer größerer Wut über ihre Pfarrer und ihre Kirche reden.
Vor einiger Zeit, auf einer Konzertreise nach Paris, spielte es keine Rolle, dass unser Chor aus einer evangelischen Kirchengemeinde kam. Ländergrenzen scheinen Kirchengrenzen aufzuheben. Der Ort aller Orte für Ökumene ist Taizé in Frankreich. Der Prior, Frère Alois, ist überzeugt, dass bei Jugendlichen die Verkündigung nur noch ökumenisch gehe. Taufe und Wort Gottes hätten wir gemeinsam, die Gemeinschaft der Konfessionen sei schon real. Den Glauben weiterzugeben, das fange mit dem gemeinsamen Christlichen an. In der Kantorei nehmen wir das ein bisschen vorweg. Wir singen Bruckner, Bach, Berthier und Bortnianskij, Nikolaus Decius und Hilde Domin. Und den Juden Louis Lewandowski. Ökumene ist auch in meiner Kantorei real. Aber es gibt eine Gegenbewegung. Sie geht von der katholischen Hierarchie aus.
Die Passion Jesu neu erlebt
Im kommenden Frühjahr wird die Kantorei verreisen und ein Passionskonzert in einer päpstlichen Basilika geben, wie schon seit Jahren. Zuhause war es ebenfalls Tradition, dass wir auch in einer katholischen Kirche zur Passion singen. Da traten wir gern auf. Die Leute gingen unglaublich mit, bis zum stillen Schluss, denn wir bitten darum, am Ende des Konzerts nicht zu applaudieren. Die Akustik, die großen Kruzifixe – wir haben die Passion Jesu selber neu erlebt.
Jetzt hat uns die Zusammenlegung von Pfarreien eingeholt. Der bisherige Priester wurde versetzt. Der neue Dechant hat unseren Auftritt verboten. Ab Palmsonntag, also dem Sonntag vor Ostern, hörten wir, erlaube er nur noch liturgische Musik. So sei die Regelung im Bistum. Das stimmt nicht, sagen die Katholiken in der Kantorei. Es gebe überhaupt keine Regelung, er wolle nur seine persönliche Auffassung durchsetzen. Und eigentlich sei er ja grundsätzlich gegen Ökumene. Die katholischen Sänger ärgern sich. Sie würden gern mit uns zusammen in mehr katholischen Gottesdiensten singen. Bei ihnen wächst Misstrauen gegen ihre eigene Kirche.
Vor ein paar Wochen, am Ende der sommerlichen Tage, brach es nach der Probe aus einer Sopranistin heraus. Ein paar Sänger standen noch zusammen. Wir sprachen über die Sparanstrengungen in unseren Kirchen. Wir Protestanten fürchten den Tag, an dem der Kantor geht. Wahrscheinlich will eine Verwaltungsbehörde die Stelle dann herunterqualifizieren. Der Nachfolger bekäme nur noch eine Teilzeitanstellung. Ein Bassist sitzt im Presbyterium, der Leitung der Gemeinde. Das wird sich wehren, berichtete er, und bis jetzt hat es dafür triftige Argumente und gute Aussichten.
„Ländergrenzen scheinen Kirchengrenzen aufzuheben.“
Wie dumme Kinder
Die katholische Sopranistin hörte zu und berichtete, dass ihre Gemeinde vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei. Dann sagte sie: "Wir haben da ja nichts zu melden. Wir werden von unserer Kirche behandelt wie dumme Kinder." Einer wollte die Wogen glätten und meinte, katholische Bischöfe suchten doch auch, mehr oder weniger geschickt, nur nach Wegen, um Menschen zu erreichen. Da ärgerte sie sich erst recht und erzählte, wie es bei ihr ankommt, wenn katholische Bischöfe von einer Glaubenskrise reden und bemängeln, dass immer weniger Katholiken zur Kirche gehen oder über ihren Glauben Bescheid wissen. "Das klingt so, als seien Leute wie ich dafür verantwortlich", sagt sie bitter. "Aber wer hat denn das Lehramt?"
Wir gingen ohne Antwort auseinander. Ich dachte daran, was Papst Benedikt vor einem Jahr in einem ökumenischen Gottesdienst in Erfurt sagte: "Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muß es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht." Was machen wir bloß, frage ich mich, wenn Bischöfe und Dechanten genau dieses gemeinsame Zeugnis unterbinden? Der Dialog zwischen den Kirchen steht in einer besonders harten Belastungsprobe, hat Wolfgang Huber gerade gesagt, der frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche. Das bekommen wir zu spüren.
Von Wolfgang Thielmann