Theologe Johann Baptist Metz wird 85 Jahre alt

"Jesu Blick gilt dem Leid"

Veröffentlicht am 05.08.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Metz während eines Vortrages an der Uni Münster.
Bild: © KNA
Theologie

Münster ‐ Er zählt zu den bedeutendsten Theologen Deutschlands. Auch im hohen Alter verfolgt Johann Baptist Metz das kirchliche und politische Geschehen, um sich mahnend in die aktuelle Debatte einzumischen. Der Wissenschaftler, der von 1963 bis 1993 Fundamentaltheologie in Münster lehrte und dort seinen Lebensabend verbringt, wird am Montag 85 Jahre alt.

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Sein langes Theologenleben ist geprägt von einem tragischen Ereignis: Als 16-Jähriger kehrte Metz gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nach einer Meldung vom Bataillonsgefechtsstand zu seiner Kompanie zurück. Und dort fand er "nur noch Tote, lauter Tote" - überrollt von einem kombinierten Jagdbomber- und Panzerangriff.

"Ich konnte ihnen allen, mit denen ich noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene tote Antlitz sehen. Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei."

Es ist diese Erfahrung, die Metz bewegt und ihn nach Gott und Gerechtigkeit für die unschuldigen Opfer fragen lässt. Auf seinem lebensgeschichtlichen Hintergrund beschreibt er seine Gotteserfahrung denn auch wesentlich als "Erfahrung des Leidens an Gott", wie sie sich nicht zuletzt im Schrei Jesu am Kreuz verdichtet - "der Schrei jenes Gottverlassenen, der seinerseits seinen Gott nie verlassen hatte", so der Theologe.

Begründer der "Neuen Politischen Theologie"

Entsprechend macht sich Metz für eine christliche Spiritualität stark, die für fremdes Leid empfindsam ist. Diese Haltung findet er im deutschen Wort "Mitleid" viel zu sentimental und unpolitisch ausgedrückt, weshalb er auf den englischen Begriff "compassion" zurückgreift. Damit meint der von der sogenannten Frankfurter Schule inspirierte Begründer der "Neuen Politischen Theologie" die "unverzagte Bereitschaft", dem Leid anderer nicht auszuweichen.

Von hier ausgehend fordert Metz Korrekturen ein. Der Kirche hält er vor, zu einseitig Sünde und Erlösung der Schuldigen in den Fokus gerückt zu haben. "Schließlich galt Jesu erster Blick nicht der Sünde der anderen, sondern dem Leid der anderen."

Ratzinger und Metz unterhalten sich.
Bild: ©KNA

Große Theologen unter sich: Joseph Ratzinger, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, und Johann Baptist Metz am 27. Oktober 1998 in Ahaus.

Eine "Kultur der Empfindsamkeit" und Mystik "der schmerzlich geöffneten Augen" müsse nicht nur den nahen Nächsten, sondern gerade auch "die fremden Anderen" in den Blick nehmen. So erinnert Metz an die leidenden Menschen der Dritten Welt, die in Europa in eine "antlitzlose Ferne gerückt" seien. Oder an die Muslime, denen gerade nach dem 11. September 2001 mit Dialogbereitschaft und nicht mit den "Profilängsten" des gegenwärtigen Christentums zu begegnen sei.

Fehlentwicklungen in der Kirche beklagt der Theologe, der Berater der Würzburger Synode (1971-75) der Bistümer in Deutschland war, auch an anderen Stellen: Mit Blick auf das Thema Religionsfreiheit fordert Metz die Kirche auf, die historische Wahrheit nicht zu unterschlagen. Glaubens- und Gewissensfreiheit, die die Kirche heute für sich und andere reklamiere, seien erst gegen sie erstritten worden - vor allem von der Reformation und der politischen Aufklärung.

Kirche als "pilgerndes Gottesvolk"

Die Kirche darf sich aus Sicht des Theologen nicht einfach mit dem Reich Gottes identifizieren. Vielmehr sei sie als "pilgerndes Gottesvolk" auf dem Weg dorthin - und müsse dabei Lernwilligkeit zeigen. Stattdessen breite sich aber heute eine "defensive Form der Rettung von Traditionen" aus.

Zu beobachten seien "schleichende Sektenmentalität", die Ausbreitung eines Loyalitätsüberdrucks und eine "anhaltende Reformunwilligkeit der kirchlichen Institutionen".

"Monströse Großraumpfarreien" lehnt Metz ab, weil diese den "Beteiligungsschwund" der Gläubigen und die Anonymität vergrößerten. Dabei wäre es doch wichtig, dass Gemeinden den Erfahrungsaustausch pflegten und "lernbereite Erzählgemeinschaften" bildeten. Dies gelte gerade auch für den Dialogprozess über die Zukunft der Kirche.

Entschieden macht sich Metz für die "Autorität der Glaubenden" stark: "Die Kirche ist als ganze eine lehrende und lernende Kirche." Damit sei das Lehramt keinesfalls überflüssig, aber "auf eine neue Hörsamkeit gegenüber den Glaubenden" verpflichtet.

Von Andreas Otto (KNA)