"Fußtritt für die Demokratie"
Zur Gruppe der TTIP-Kritiker zählen auch zahlreiche kirchliche Organisationen. Sie äußern vor allem Befürchtungen über mögliche Inhalte und Auswirkungen des geplanten Abkommens. Außerdem bemängeln sie Art und Ablauf der seit Sommer 2013 laufenden Verhandlungen zwischen EU-Kommission und US-Regierung.
Die Gespräche über das Freihandelsabkommen finden in regelmäßigen Abständen abwechselnd in Brüssel und Washington statt - und immer hinter verschlossenen Türen. Zugang zu den Verhandlungspartnern und wichtigen Dokumenten der Beratungen haben nach Untersuchungen der lobbykritischen Brüsseler Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) fast ausschließlich Wirtschaftslobbyisten; Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppen kommen dagegen kaum zum Zug.
Justitia et Pax: Breite Diskussion über TTIP-Ziele erforderlich
Vor Beginn der sechsten Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen im Juli in Brüssel forderte die Deutsche Kommission Justitia et Pax deshalb mehr Transparenz. "Die Öffentlichkeit muss darüber informiert werden, was genau verhandelt wird und welche Zielsetzungen verfolgt werden", so die Organisation, die im Feld der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik tätig ist. Alle gesellschaftlichen Gruppen müssten in eine breite öffentliche Diskussion der Inhalte und Ziele von TTIP einbezogen werden.
Ähnlich hatte sich zuvor auch Kardinal Reinhard Marx geäußert. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der auch Präsident der Kommission der europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) ist, sagte in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Derzeit kennen wir den Stand der Verhandlungen nicht; doch Transparenz ist wichtig". Für die Kirche sei entscheidend, ob das Freihandels-Projekt den Armen oder nur den Reichen diene. "Es darf nicht sein, dass sich die Wohlstandsgebiete Europa und Nordamerika von den ärmeren Ländern abschotten. Der Westen steht in der Verantwortung für einen auch ethisch begründeten Rahmen für den Welthandel", so Marx.
Noch schärfer kritisiert die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) die fehlende Transparenz. Durch die Geheimverhandlungen werde "die Demokratie mit Füßen getreten", so der Verband in einem Beschluss seines Bundesausschusses. Hinter verschlossenen Türen werde über eine völlige Schleifung von Handelsbarrieren verhandelt. Die KAB fordert in dem Papier die sofortige Einstellung der Geheimverhandlungen, die Offenlegung der Vertragsentwürfe und des bisherigen Stands der Beratungen.
Noch deutlicher wird die Kritik der Arbeitnehmer-Bewegung, wenn es um die konkreten Inhalte des Abkommens geht. TTIP setze wirtschaftliche Fehlentwicklungen fort und sei Teil einer Wirtschaft, die tötet, so die KAB in Anlehnung an das berühmt gewordene Zitat von Papst Franziskus in seiner Enzyklika "Evangelii Gaudium". Es sei absehbar, dass das geplante Freihandelsabkommen soziale und ökologische Standards beim Verbraucher-, Klima- und Tierschutz sowie im Gesundheitsbereich absenken werde.
Stichwort: TTIP
Die Abkürzung TTIP steht für "Transatlantic Trade and Investment Partnership", auf Deutsch: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Mit dem Abkommen wollen die Europäische Union und die USA die weltweit größte Freihandelszone mit rund 800 Millionen Menschen schaffen. Ziel der seit Sommer 2013 laufenden Verhandlungen ist der Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen, die Vereinheitlichung von Industrienormen sowie die Liberalisierung der öffentlichen Beschaffungsmärkte. Die Verhandlungspartner erhoffen sich davon eine Steigerung des Wirtschaftswachstums und mehr Arbeitsplätze in Europa und den USA. Kritiker des Abkommens befürchten eine Aushöhlung des Daten- und Verbraucherschutzes, eine Aufweichung von Umwelt-, Gesundheits- und Sozialstandards sowie zu viel Macht für internationale Konzerne. (stz)Die KAB fürchtet, dass durch TTIP mühsam erkämpfte Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt werden könnten. So könnten die deutschen Mitbestimmungsgesetze, die es in dieser Form in den USA nicht gibt, "einen Zwang zur Angleichung nach unten erfahren" und die Gewerkschaften geschwächt werden. Darüber hinaus warnt die Arbeitnehmer-Bewegung vor massiven Folgen für den sozialen Frieden: "Freihandel vertieft die soziale Spaltung, da er Regelungen zum Schutz der Armen und Ausgeschlossenen außer Kraft setzt und an die Stelle staatlicher Regelungen des sozialen Ausgleichs die Ausgrenzung durch die 'Totalität des Markts' setzt."
Auf deutliche Kritik katholischer Gruppen stößt auch der geplante Investorenschutz. Dieser würde Unternehmen die Möglichkeit geben, Staaten vor privaten Schiedsgerichten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf Schadensersatz zu verklagen, wenn ihre Gewinnpläne von politischen Entscheidungen durchkreuzt werden. So könnten Konzerne im Extremfall beispielsweise bestimmen, ob ein Staat es sich leisten kann, aus der Kernkraft auszusteigen oder Gentechnik-Produkte zu verbieten.
Die Katholische Landjugendbewegung (KLJB) kritisiert diese Pläne massiv. Wenn Konzerne durch den Investorenschutz einen ähnlichen Rechtsstatus wie Staaten erhielten, würden nationale Rechtssysteme und Vorschriften ausgehebelt, so der Verband in einem Beschluss seines Bundesausschusses. Es drohe "eine Paralleljustiz in funktionierenden Rechtsstaaten".
Negative Auswirkungen von TTIP befürchten die kirchlichen Kritiker auch mit Blick auf die Entwicklungsländer. Durch den geplanten Wegfall von Zöllen zwischen Europa und den USA sei insbesondere in der Lebensmittelproduktion eine verschärfte Konkurrenz zu erwarten, so die KLJB. Um negative Folgen für arme Staaten und deren Landwirtschaft zu verhindern, fordert Justitia et Pax, dass das Abkommen "die Bemühungen um Armutsbekämpfung und nachhaltige wirtschaftliche Diversifizierung der Entwicklungsländer nicht negativ beeinflussen" darf.
"Wir brauchen eine gerechte Wirtschaftsordnung"
Die EU-Kommission kann oder will die Sorgen der Kritiker nicht nachvollziehen. In ihren Publikationen preist die Behörde vielmehr die Vorteile von TTIP und verspricht geradezu paradiesische Zustände: So soll das Abkommen für mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne sorgen; auch der Verbraucherschutz soll nicht angetastet werden. Die Geheimverhandlungen wiederum begründet die Kommission damit, dass es bei den Beratungen "einer gewissen Vertraulichkeit" bedürfe.
Die Kritiker lassen sich durch solche Aussagen nicht beruhigen. Für die KAB, die mit anderen kirchlichen Gruppen auch Mitglied des Bündnisses "TTIP unfairhandelbar" (siehe Textbox) ist, ist klar: "Was wir brauchen ist eine gerechte und solidarische Wirtschaftsordnung, die die Bedürfnisse der Armen und Ausgeschlossenen, die Rechte der arbeitenden Menschen und die Bewahrung der göttlichen Schöpfung in den Mittelpunkt stellt! Das Transatlantische Freihandelsabkommen steht dem unvereinbar entgegen!"