Medienpädagoge kritisiert Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags

Medienkompetenz statt Verbote

Veröffentlicht am 01.04.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Netzpolitik

Bonn ‐ Der Jugendschutz im Internet ist nicht auf der Höhe der Zeit. Nachdem 2010 eine Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) aufgrund massiver Kritik von Experten gescheitert ist, machen die Länder einen neuen Anlauf für eine Aktualisierung des über zehn Jahre alten Regelwerks. Auch den nun vorliegenden Referentenentwurf kritisieren viele Experten . Unter ihnen Professor Andreas Büsch, Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz. Wir haben mit ihm über zeitgemäßen Jugendschutz im Internet gesprochen.

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Frage: Es gibt einen neuen Anlauf, den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zu novellieren. Worum geht es bei diesem Staatsvertrag?

Büsch: Mit der Neuregelung des Jugendmedienschutzes im Jahr 2002 ist es zu einer Doppelung gekommen. Das alte Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit gibt es nicht mehr. Seither gibt es das Jugendschutzgesetz, das vom Bundestag beschlossen wird, und den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, für den die Länder zuständig sind.

Frage: Wofür ist der Bund zuständig, wofür die Länder?

Büsch: Einerseits gibt es sogenannte Trägermedien, salopp gesagt: das was ich anfassen und mit nach Hause nehmen kann. Eine CD, eine DVD: So etwas sind Trägermedien. Da ist der Jugendschutz Sache des Bundes und entsprechend vom Bundesgesetzgeber zu regeln. Daneben gibt es noch die sogenannten Telemedien, also alles, was im Bereich Rundfunk stattfindet und natürlich das Internet. Das ist Ländersache.

Professor Andreas Büsch
Bild: ©angelika-kamlage.de

Andreas Büsch ist Theologe und Pädagoge. Er ist Professor für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaft an der Katholischen Hochschule Mainz und leitet die Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz.

Frage: An einem zeitgemäßen und angemessenen Jugendschutz für das Internet ist der JMStV bereits beim letzten Versuch 2010 gescheitert. Ist der neue Versuch besser durchdacht?

Büsch: Meine Prognose ist, dass er wieder scheitern wird. Schon weil dieser Entwurf handwerklich sehr schlecht gemacht ist. Die Autoren schlagen dort Dinge in Unkenntnis der bestehenden Rechtslage vor. Medienpädagogisch ist etwa die Frage interessant, wie ein Betreiber eines Blogs, eines Online-Tagebuchs, mit Kommentaren umgeht. Im Telemediengesetz gibt es eine klare Regelung: Erst, wenn ein Betreiber Kenntnis erlangt über einen rechtswidrigen Beitrag, muss er reagieren. Etwas anderes wäre gerade großen Seiten nicht zuzumuten, genauso wenig wie kleinen Blogs, die in der Freizeit betrieben werden. Nach dem vorliegenden Vorschlag sollen die Betreiber dafür haftbar gemacht werden können – das ist schlicht und ergreifend ein Widerspruch zum derzeit geltenden Telemediengesetz.

Frage: Das eine sind die handwerklichen rechtlichen Probleme. Gibt es auch inhaltliche?

Büsch: Ja, und das ist das größere Problem. Dieser Referentenentwurf versucht jetzt, alle dazu zu bringen, auch private Webseitenbetreiber und kirchliche Stellen, ihre Seiten mit einem Label zu versehen für die Altersstufen "ab 12" und "ab 18". Ich halte das für nicht durchführbar. Die Grundidee ist, dass die Seiten so aufbereitet sind, dass automatisierte Jugendschutzprogramme erkennen können, ob eine Seite erst ab 12 oder erst ab 18 geeignet ist und dann entsprechend ausfiltern für Kinder und Jugendliche.

Frage: Das klingt so, als müssten dann alle, die auf einer eigenen Seite publizieren, noch nebenher einen Jugendschutzbeauftragten haben, der einigermaßen rechtssicher sagen kann: Das ist ab 12, das ist ab 18.

Büsch: Das ist genau das Problem: Wie qualifiziere ich Webseitenbetreiber, um entsprechende Kennzeichnungen vorzunehmen? Was sind die Kriterien? Falls das überhaupt ein praktikables Verfahren sein sollte! Ich finde aber das ganze Vorgehen sehr dubios. Der Nutzen von solchen Filterprogrammen ist unter Experten sehr umstritten. Ein Kollege von mir, Jürgen Ertelt, prägte einmal das schöne Bonmot: Kind ist man so lange, wie man die Filterprogramme, die die Eltern installiert haben, nicht umgehen kann. Wer sie umgehen kann, ist Jugendlicher. Damit ist im Prinzip das Kernproblem schon umrissen.

„Wir brauchen eine Verzahnung von Medienkompetenz und Jugendmedienschutz.“

Frage: Es scheint einen Widerspruch zu geben: Einerseits gibt es ein Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit für alle im Internet, gleichzeitig soll es aber auch Jugendschutz geben. Was wären sinnvolle Regeln, um Jugendschutz im Internet zu sichern und gleichzeitig auch Redefreiheit?

Büsch: Das Dilemma ist richtig beschrieben. Ich will gar nicht den Jugendmedienschutz wegdiskutieren. Wir brauchen einen besonderen Schutz für Heranwachsende – das steht zu Recht auch so im Grundgesetz. Ich glaube aber, dass die Denke grundsätzlich falsch ist, die hinter dem JMStV steht. Die kirchliche Position ist, dass der Bildungsaspekt im Vordergrund stehen sollte. Wir brauchen eine Verzahnung von Medienkompetenz und Jugendmedienschutz. Die Grundidee müsste sein, Kinder, Jugendliche, Heranwachsende, benachteiligte Personen so zu bilden und zu qualifizieren, dass sie eigenverantwortlich entscheiden können, was gut ist und was nicht, und idealtypisch dann gewisse Angebote gar nicht erst aufsuchen oder ignorieren.

Frage: Was müsste ein Jugendmedienschutz-Staatsvertrag regeln, um sinnvoll zu sein?

Büsch: Das steht leider im größeren Kontext der Föderalismusdebatte. Wünschenswert wäre eine einheitliche Gesetzgebung für den Jugendmedienschutz, und nicht die Trennung in Trägermedien, für die der Bund zuständig ist, und Telemedien, für die die Länder zuständig sind. Diese Unterscheidung ist angesichts der Medienkonvergenz nicht mehr zeitgemäß.

Frage: Es wird noch viel in einem Sender-Empfänger-Modell gedacht: Einer sendet, viele empfangen. Tatsächlich sind heute potentiell alle Sender, jeder kann Inhalte ins Netz stellen. Wie kann man da überhaupt eine Regelung treffen, die dem Rechnung trägt?

Büsch: Erst einmal gelten alle rechtlichen Regeln auch im Netz: Das Grundgesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch. Wer in einem Blog oder in sozialen Netzen etwa beleidigende oder volksverhetzende Inhalte veröffentlicht, macht sich strafbar. Hier gibt es keine Regelungslücke. Aber natürlich ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich über die Spielregeln zu verständigen angesichts der sich weiterentwickelnden Medien. Aber bitte nicht auf einer derart dünnen Basis wie diesem Entwurf! Das andere ist die Frage von Medienkompetenzvermittlung, von Medienbildung. Dass ich Menschen befähige, sich zu beteiligen. Das heißt dann: Menschen so qualifizieren, dass sie vernünftig und reflektiert Dinge veröffentlichen können.

Frage: Wie sollte es politisch jetzt weitergehen?

Büsch: Ich kann nur hoffen, dass dieser Entwurf schnell wieder kassiert wird. Er ist schlechterdings nicht satisfaktionsfähig. Was wir bräuchten, wäre wirklich eine umfassende Neuregelung des Jugendmedienschutzes im Bereich Internet und da ist als Clearingstelle unsere ganz klare Option: Medienkompetenz. Es ist allemal die klügere Strategie, Menschen zu qualifizieren, als mit ohnehin wirkungslosen Verboten und fragwürdigen Filterungen zu arbeiten.

Das Gespräch führte Felix Neumann

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag

Ziel des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (amtlich "Gesetz zum Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien") ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Inhalten im Rundfunk und in sogenannten Telemedien (vor allem Internet-Angeboten), die ihre Entwicklung gefährden könnten. Für diese Regelungen sind die Länder zuständig, während der Bund im Jugendschutzgesetz Richtlinien für Trägermedien (gedruckt oder auf Datenträgern wie CDs und DVDs) aufstellt. Damit es eine bundeseinheitliche Regelung gibt, beschließen die einzelnen Länder nicht separate Gesetze, sondern einen einzigen Staatsvertrag. Die derzeit gültige Fassung ist aus dem Jahr 2003, 2009 wurden nur Details geändert. Eine grundlegende Novellierung scheiterte 2010 am Protest von Wissenschaftlern und Netzexperten, die den Entwurf für nicht praktikabel und gefährlich für die Redefreiheit im Netz einschätzten. Hauptkritikpunkt war die Einführung von Alterskennzeichnungen für alle Webseiten. Derzeit kursiert ein Referentenentwurf für einen erneuten Versuch einer Novelle. Bereits im Vorfeld soll dieser Entwurf von der Öffentlichkeit diskutiert werden, um ein erneutes Scheitern zu verhindern. Dazu hat das zuständige Land Sachsen eine Online-Konsultation ins Netz gestellt, an der sich alle Interessierten beteiligen können. Detaillierte Hintergrundinformationen und weiterführende Links hat die Clearingstelle Medienkompetenz in ihrem Blog gesammelt. (fxn)