Heilend auf andere wirken
Niemand ist vor Krankheiten gefeit. Jede und jeden von uns kann es treffen, und das Leben ändert sich nicht selten von einer Sekunde zur anderen. Eine gesunde Ernährung, Fitness, ein guter Arbeitsplatz, ein erfülltes Familienleben sind keine Garantie, von Krankheiten und Unfällen verschont zu bleiben. Aber in jeder Krankheit steckt immer auch die Chance, das Leben in einem anderen Licht zu sehen, über sich und seinen Lebensentwurf nachzudenken und vielleicht andere Schwerpunkte zu setzen.
Vielleicht hat jemand Raubbau betrieben an Leib und Seele: übermäßiges Essen, Rauchen, Alkohol, zu wenig Zeit für sich und die Familie, für Verwandte und Freunde. Vielen wird erst bei einer Krankheit klar, wie ihr Leben aus der Balance geraten ist und was sie selber dazu beigetragen haben. Eine schwere Krankheit bringt jede und jeden in Verbindung mit dem Gedanken an die eigene Endlichkeit. Sie zwingt dazu, manches Liebgewordene loslassen zu müssen.
Krankheit wird oft verdrängt
"Leider versucht die heutige Gesellschaft, Krankheit und Tod zu verdrängen und in die Krankenhäuser und Hospize zu verbannen", sagt Pater Anselm Grün. "Die Kirche aber macht diese Verdrängung nicht mit, sondern setzt gerade im Sakrament der Krankensalbung ein Zeichen dafür, dass sie sich als Gemeinschaft um die Kranken kümmert und ihnen nicht nur die Liebe Gottes zuteilwerden lässt, sondern sich auch menschlich den Kranken zuwendet und die Sorge für sie wahrnimmt. Das Sakrament der Krankensalbung fordert uns heraus, uns mit Krankheit und Tod auseinanderzusetzen und sie aus dem Glauben heraus zu bewältigen. Zugleich verheißt es uns, dass kein Bereich unseres Lebens von der liebevollen Fürsorge Gottes ausgeschlossen ist."
Pater Anselm Grün sieht den Heilungsauftrag aber nicht an den Priester und Krankenhausseelsorger gebunden. "Wenn wir die Worte Jesu ernst nehmen, sind wir alle in die Welt gesandt, um Kranke zu heilen", sagt er. "Aber nicht jeder Mensch hat eine heilende Ausstrahlung. Manche Menschen erleben wir als angenehm, sie tun uns gut. Wir haben den Eindruck, in ihrer Nähe gesünder leben zu können. Andere machen uns krank. Sie stecken uns an mit ihrer Unzufriedenheit, mit ihrem ständigen Jammern und Klagen, mit ihrem Kritisieren und Schimpfen.
Wir können unsere Ausstrahlung nicht von heute auf morgen verändern. Aber wir können an uns arbeiten, dass wir auf andere heilend wirken. Die erste Aufgabe besteht darin, dass wir uns mit uns selbst versöhnen und im Einklang mit uns leben. Wer mit sich im Frieden ist, von dem geht auch Frieden aus. Die zweite Aufgabe wäre, sensibel auf die Bedürfnisse des Kranken zu hören: Was braucht er? Was täte ihm gut?"
„Ich weiß dann, dass auch der Tod mich nicht aus der Hand Jesu reißt.“
Auch das Gebet für einen kranken Angehörigen oder Freund kann heilend wirken. Pater Anselm schränkt jedoch ein: "Wir dürfen mit dem Wunder der Heilung rechnen, aber wir müssen es Gott überlassen, wie er auf die Krankheit reagiert." Das Gebet ist kein Zaubermittel. Wir können unsere Ängste und Sorgen vor Gott bringen. Doch wir haben keine Gewissheit, dass Gott alles so richtet, wie wir es uns wünschen. "Gott erhört unsere Gebete, aber sein Wille bleibt uns ein Geheimnis", erklärt Pater Anselm. "Das Sakrament der Krankensalbung möchte uns einladen, die Krankheit spirituell zu bewältigen. Ich darf vertrauen, dass Gott mich heilt."
"Aber wenn ich spüre", fährt Grün fort, "dass es dem Ende zugeht und wenn der Arzt das durch seine Diagnose bestätigt, dann hat es keinen Sinn, krampfhaft am Leben festzuhalten. Dann ist die Krankensalbung zugleich Einübung ins Sterben. Die Hand Jesu, die mich im Sakrament berührt, lädt mich ein, alles loszulassen, meine Aufgaben, meinen Besitz, die Menschen um mich herum und schließlich mich selbst. Ich weiß dann, dass auch der Tod mich nicht aus der Hand Jesu reißt, sondern dass sie mich durch die Pforte des Todes hindurch geleitet, dass ich im Tod in Gottes Arme fallen werde, die mich auffangen und an sich drücken. Dann werde ich für immer daheim sein, am Ende meiner Wünsche. Dann werden mir die Augen aufgehen, und ich werde Gott schauen, wie er ist."