Wieder neu Feuer fangen
Engagement in Jugendgruppen, jahrelange Tätigkeit als Messdiener, Abitur, Studium der Theologie, Priesterseminar: Noch vor einigen Jahrzehnten war dies der Weg junger Priesteramtskandidaten. "Als ich im Jahr 1987 ins Priesterseminar aufgenommen wurde, kamen zehn von elf neu aufgenommenen jungen Männern direkt vom Abitur", erinnert sich Michael Bollig. "Mittlerweile hat sich die Zahl derer, die man damals als Spätberufene bezeichnete, deutlich vergrößert." Ein nicht zu übersehendes Zeichen für eine Veränderung in der Gesellschaft?
In der Tat liegt die Vermutung nahe, dass verzögerte Reifeprozesse dahinter stecken könnten. "Sowohl bei der Entscheidung für eine Heirat als auch für ihren beruflichen Weg lassen junge Menschen sich heute viel mehr Zeit", erklärt Michael Bollig. "Viele kommen erst über Umwege in anderen Berufen zu uns. Priesteramtskandidaten sind eben auch Kinder unserer Zeit. Nicht selten haben die jungen Männer vorher in Beziehungen gelebt. Sie sind sich also durchaus bewusst, was sie hinter sich lassen, wenn sie ihrer Berufung folgen."
Der erste Schritt in die neue Zukunft
Ihr Wunsch, Priester zu werden, ist zunächst einmal ein Gedanke, der reift, der sich auf einmal nicht mehr zurückdrängen lässt, und der allen Unkenrufen im Familien- und Freundeskreis standhält. "Da müssen wir natürlich genau hinschauen und gemeinsam mit dem einzelnen Kandidaten prüfen, ob seine Entscheidung die richtige ist", erklärt der Regens. Neben der persönlichen Prüfung kommt eine weitaus praktischere hinzu: Ist der Kandidat überhaupt in der Lage zu studieren? Besteht er die Aufnahmeprüfung, folgt der erste Schritt in die neue Zukunft. In der Regel lernen die jungen Männer in Gruppen von höchstens 20 Teilnehmern. "Diese kleinen Lerngruppen lassen den unmittelbaren Kontakt der Lehrenden zum einzelnen Studenten zu", sagt Bollig. "Sie ermöglichen ein persönliches Kennenlernen und dadurch ein betreuungsintensiveres Arbeiten, als dies an Universitäten möglich ist."
Der Lantershofener Weg
In den meisten Fällen interessieren sich Bankkaufleute, Verwaltungsangestellte, Kranken- oder Altenpfleger für den "Lantershofener Weg". Die Bischöfe Joseph Höffner und Bernhard Stein fassten im Mai 1972 den Entschluss, in Lantershofen einen außeruniversitären Weg der Priesterausbildung einzurichten. Männern, die sich im Beruf, im Leben sowie in ihrem kirchlichen Engagement bewährt haben, sollte die Möglichkeit gegeben werden, auch ohne Abitur einen Studiengang aufzunehmen, der sie zur Ausübung des priesterlichen Dienstes befähigte. Regens Michael Bollig kann heute stolz auf den Lantershofener Weg zurückblicken: "Hier hat sich ein Studiengang entwickelt, der in Anspruch und Ausrichtung der universitären Ausbildung nahe kommt. Fast alle Dozenten, die hier lehren, kommen aus universitären Kontexten. Und die Inhalte unserer Fächer orientieren sich vom Anspruch her an den Lehrveranstaltungen der universitären Fakultäten."
Prägende Erfahrungen machen stark
Was bewegt junge Männer, aus einem sicheren Beruf auszusteigen und ihr Leben komplett umzukrempeln? "Es ist die Arbeit am Menschen und der Wunsch, sie in Krisensituationen zu unterstützen", meint Michael Bollig. Oft führen Schicksale von Menschen zum Nachdenken: die total überschuldete Familie, die der Bankkaufmann gern auch über seine eigentliche Arbeit hinaus begleitet und beraten hätte; Kranke und Sterbende, die über rein pflegerische Maßnahmen hinaus viel seelischen Beistand benötigen. Prägende Erfahrungen wie diese machen stark. "Unsere Studenten sind sehr bodenständig und realistisch. Sie haben das Leben in all ihren Facetten kennen gelernt. Deshalb sind sie nicht so anfällig für ideologische Verblendungen als vielleicht junge Theologiestudenten gleich nach dem Abitur", so Bollig.
Die Nachfolger fehlen
Doch auch in Lantershofen macht sich der Priestermangel bemerkbar. Als Michael Bollig im Jahr 2006 Regens von St. Lambert wurde, gab es im Haus noch 76 Seminaristen, heute sind es nur noch 39. "Der Priestermangel ist immer auch ein Mangel an Gläubigen", meint er. "Kirche ist heute leider nicht mehr so prägend wie früher. Da war sie deckungsgleich mit dem gesellschaftlichen Leben und so in einer deutlich besseren Position. Hinzu kamen viel mehr kinderreiche Familien als heute. Auch dadurch war die Chance größer, dass in einer katholischen Familie auch einmal ein Sohn Priester werden wollte. Da konnte Berufung leichter entstehen."
Junge Menschen brauchen Vorbilder
Müsste die Kirche selbst nicht ihre ganzen Kräfte bündeln und versuchen, junge Menschen für den Glauben zu begeistern? "Wir sind leider in der Sicht vieler junger Leute langweilig geworden, weil wir uns zu sehr mit uns selbst beschäftigen", kritisiert Michael Bollig. "Kirche lenkt den Blick oftmals sehr stark nach innen. Zu den drängenden gesellschaftlichen Fragen hört man sie oft nicht mehr, vielleicht noch einige wenige exponierte Vertreter. Wie soll Kirche da anziehend sein? Doch junge Menschen brauchen gerade heute dringend Vorbilder, die glaubwürdige menschliche Lebensmodelle vorleben und sie nicht nur einfordern oder davon sprechen. Sie brauchen Menschen, die zu echten Visionen fähig sind und die sich zu Wort melden in den Problemen, um die es heute geht: Angst vor Terror und Gewalt, Unfrieden, Armut, Arbeitslosigkeit, Beziehungskrisen, Zusammenbruch vieler Familien usw."
„Der Priestermangel ist immer auch ein Mangel an Gläubigen.“
Wofür würde Jesus sich heute einsetzen?
Der Regens von St. Lambert hat sich als früherer Studentenpfarrer intensiv mit dem Thema Glaubensvermittlung auseinander gesetzt und ist überzeugt: "Wer sich auf die Lebenswelten junger Menschen einlässt, findet im christlichen Glauben wertvolle Impulse." Wichtig sei es, der Frage nachzuspüren, wofür Jesus sich heute interessieren würde. "Möglicherweise", so der Regens, "gar nicht so sehr für das ängstliche Kreisen der Kirche um sich selbst, sondern eher für die vielen Aidskranken in Afrika, für das globale Hungerproblem und die himmelschreienden Ungerechtigkeiten, für die schleichende Zerstörung der Schöpfung und die Angst vor fundamentalistischem Terror, der bis in unsere Städte und Dörfer reicht, für die wachsende Vereinsamung in unserer Gesellschaft, für die Orientierungslosigkeit so vieler junger Menschen, für die vielen zerbrechenden Familien und das große Leid der Kinder, das damit zusammenhängt. Ich glaube, hier entscheidet sich Nachfolge, hier wird sie interessant und ansteckend. Hier spricht sie aus sich selbst, und hier hat sie möglicherweise auch kein Vermittlungsproblem mehr, weil ihre Evidenz auf der Hand liegt: die Liebe zu den Menschen, der Einsatz für die Armen, die Bewahrung der Schöpfung, Kultur des Zusammenlebens, Friede und Versöhnung."
Wo ist Kirche glaubwürdig?
Der Regens sieht die großen Herausforderungen, aber auch neue Chancen in der Jugendpastoral darin, nah dran zu bleiben am Leben junger Menschen – dort, wo diese die Knackpunkte ihres Lebens erfahren: Beziehungskrisen, Existenzängste, Abhängigkeiten oder einfach nur die schlichte Überforderung, dem eigenen Leben eine sinnvolle Ausrichtung zu geben. "Dies sind die Orte, wo Glaube und Kirche als hilfreich und sinnstiftend erfahren werden müssen", sagt er. "Kirche wird für junge Menschen dort glaubwürdig, wo sie dem Aufbau des einzelnen Menschen in seiner Suche nach gelingendem Leben und Zusammenleben dient."
Grundsteine für Berufung legen
Einen Satz der französischen Philosophin und Mystikerin Simone Weil zitiert der Regens von St. Lambert in solchen Zusammenhängen gern: "Nicht an der Art und Weise, wie ein Mensch über Gott spricht, sehe ich, ob er durch das Feuer der göttlichen Liebe gegangen ist, sondern an der Art, wie er mit mir über die irdischen Dinge (über das Leben ) spricht. Dieser Satz habe es in sich, meint Michael Bollig, und ist überzeugt: "Wir müssen mit jungen Menschen über ihre Welt sprechen, dann finden wir eine Verkündigung, die anschlussfähig bleibt. Und wenn es uns dann gelingt, im Sprechen über die Welt jenes Feuer der göttlichen Liebe hier und da aufscheinen zu lassen, dann werden wir möglicherweise gehört und vielleicht auch verstanden werden. Mit einem solchen Verhalten legen wir als Kirche vielleicht auch wieder neue Grundsteine für die Berufung junger Menschen zum Dienst in der Kirche – sei es als Priester, als Diakon oder Pastoralreferent."