Mystikerin und Kirchenlehrerin

Hildegard von Bingen: Die Universalgelehrte

Veröffentlicht am 17.09.2019 um 00:01 Uhr – Von Valerie Mitwali – Lesedauer: 

Bonn ‐ Hildegards Lebenswerk lässt sich nur schwer in heutige Kategorien einordnen: Die Benediktinerin war Theologin, aber auch Komponistin und Medizinerin. Papst Benedikt XVI. nannte sie eine "Prophetin von großer Aktualität". Am 17. September ist ihr Gedenktag.

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Schon vor ihrer Geburt 1098 stand fest, dass Hildegard ihr Leben ganz Gott widmen sollte. Schließlich war sie das zehnte Kind des Edelfreien Hildebert und seiner Frau Mechthild von Bermersheim. Damals war es üblich, Söhne und Töchter bereits in jungen Jahren Klöstern als "Gotteszehnt" zu übergeben. So wurde auch Hildegard als "puella oblata" (dargebrachtes Mädchen) Jutta von Sponheim anvertraut. Diese war die Vorsteherin einer Frauengemeinschaft, die dem Benediktinerkloster auf dem Disibodenberg im heutigen Rheinland-Pfalz angegliedert war.

Lesen, schreiben und Latein

Dort wuchs Hildegard gemeinsam mit einem anderen Mädchen unter der Leitung Juttas auf. Obgleich von der Welt abgeschieden, lernte Hildegard hier lesen, schreiben und sogar etwas Latein. Daneben unterrichtete Jutta sie in Heilkunde und förderte ihre musischen Fähigkeiten. Diese Lehrjahre legten den Grundstein für Hildegards spätere Werke. 1115 legte sie selbst ihre Profess ab.

Juttas Ruf als exzellente Lehrmeisterin sorgte dafür, dass immer mehr Eltern des rheinischen Adels ihre Töchter in ihre Obhut geben wollten. Mit der Zeit entwickelte sich aus der einstigen Klause eine größere Klostergemeinschaft nach benediktinischem Vorbild. Als Jutta von Sponheim 1136 starb, empfahl sie Hildegard als ihre Nachfolgerin. Die Frauen folgten ihrem Rat und wählten Hildegard einstimmig zur Vorsteherin.

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Video: © katholisch.de

Hildegard von Bingen kennt nahezu jedes Kind. Als Frau des Mittelalters und Universalgelehrte war sie ihrer Zeit oft weit voraus. Inwiefern, das hat katholisch.de im Video kurz erklärt.

Das Jahr 1141 markiert die große Wende in Hildegards Leben: Schon als Kind hatte sie Visionen erlebt, doch diese wurden immer eindringlicher. Nun erhielt sie in ihren Visionen von Gott den Befehl, alles aufzuschreiben, was sie sieht und hört. Hildegard reagierte verunsichert und weigerte sich zunächst. Sie wurde sogar krank und gesundete erst, als sie innerlich in ihren Auftrag einwilligte.

Noch im selben Jahr begann Hildegard damit, ihr erstes Hauptwerk "Wisse die Wege" zu verfassen. Darin beschreibt sie ihre prophetische Berufung und erläutert die umfassende Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen von der Schöpfung bis zum Letzten Tag. Weil Hildegard die lateinische Grammatik jedoch nicht sicher beherrschte, hielt sie ihre Visionen zunächst auf Wachstafeln fest. Der Mönch Volmar, ihr Vertrauter und Sekretär, schrieb sie dann in korrigierter Form auf Pergament nieder.

Papst: Hildegards Schriften sind gottgewirkt

Im Laufe ihres Lebens verfasste Hildegard noch zwei weitere Hauptwerke: Das "Buch der Lebensverdienste" setzt sich mit der irdischen Existenz des Menschen auseinander und erläutert seine Verantwortung, im Namen der ganzen Schöpfung Antwort auf Gottes Heilswillen zu geben. Auch in ihrem dritten Hauptwerk "Buch vom Wirken Gottes" beschäftigt sich Hildegard mit dem Verhältnis von Gott, Welt und Mensch. Das Schöpfungsprinzip schlechthin sei die Liebe, so Hildegard.

Schnell galt Hildegard vielen Menschen als gottgesandte Prophetin – selbst Papst Eugen III. hörte 1147 auf einer Synode in Trier von ihr. Daraufhin ließ er ihre Aufzeichnungen prüfen und rief sie zu sich. Tatsächlich befand der Papst ihre Schriften als gottgewirkt und hieß sie ausdrücklich gut. Es war Hildegards endgültiger Schritt in die Öffentlichkeit: Sie war vielen Menschen Ratgeberin, stand in Briefkontakt mit den Mächtigen ihrer Zeit und forderte besonders den Klerus eindringlich zur Umkehr auf.

Mittlerweile war Hildegards Gemeinschaft so stark gewachsen, dass sie ein unabhängiges Kloster gründen wollte. Die Benediktinermönche auf dem Disibodenberg weigerten sich jedoch entschieden, die finanziell so einträgliche Frauengemeinschaft ziehen zu lassen. Erst nach zwei Jahren offenen Streits konnte sich Hildegard durchsetzen: 1151 zog sie mit 18 Schwestern auf den Rupertsberg bei Bingen, wo sie ein eigenes Kloster gründete. Der Ort lag günstig an einem alten Verkehrsknotenpunkt und war mit wichtigen Rheinmetropolen wie Köln und Worms verbunden. Von hier aus unternahm Hildegard ihre zahlreichen Predigtreisen.

Poste aus dem 12. Jahrhundert mit Hildegard von Bingen als Porträt
Bild: ©picture-alliance / akg-images

Die mittelalterliche Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179) aus der Nähe von Alzey in Rheinhessen ist Kirchenlehrerin in der katholischen Kirche.

Doch Hildegard sah sich weiterer Kritik ausgesetzt: Ihr Kloster sei elitär, nicht kontemplativ genug und die Schwestern würden es mit der Armut nicht allzu genau nehmen. Dennoch wuchs Hildegards Gemeinschaft weiter an, sodass sie 1165 ein Tochterkloster in Eibingen gründete. Hier durften auch nicht-adlige Mädchen aufgenommen werden.

Neben ihrer Tätigkeit als Seelsorgerin verfasste Hildegard zahlreiche Werke, die von der enormen Weite ihres Interessenhorizonts zeugen. Sie legte Bibelstellen aus, bezog Stellung in politischen Auseinandersetzungen und komponierte Musikstücke. Heute gilt Hildegard als bedeutendste Schriftstellerin des gesamten christlichen Mittelalters. Keine Frau ihrer Zeit hat mehr Literatur hinterlassen.

Obwohl ihr eigentliches medizinisches Werk nicht mehr erhalten ist, verbinden heute viele Menschen Hildegard vor allem mit ihrer Naturheilkunde. Es ist besonders ihr ganzheitlicher Ansatz, der in der Gegenwart Anklang findet. Die heute vorliegenden Abschriften, welche etwa 100 Jahre nach Hildegard entstanden, verdeutlichen ihr Bemühen, den Menschen als Teil der Schöpfung zu behandeln: So schrieb sie über Diagnose- und Therapiemöglichkeiten, aber etwa auch über die weibliche Sexualität. Besonders richtungsweisend war Hildegards Verknüpfung griechisch-römischer und regionaler Kräuterkunde.

Exkommunizierter Edelmann auf Klosterfriedhof

Hildegards Lebensende wurde von einer harten Auseinandersetzung mit dem Mainzer Erzbischof überschattet: Sie ließ auf ihrem Klosterfriedhof einen exkommunizierten Edelmann beisetzen, der sich ihren Angaben nach kurz vor seinem Tod noch bekehrt hatte. Der Erzbischof aber zweifelte an Hildegards Aussagen und befahl, den Leichnam in einem "Schandacker" zu verscharren. Weil sich Hildegard dem verweigerte, wurde ihr Kloster 1178 mit einem Kirchenbann belegt: Von nun an durften dort keine Gottesdienste mehr gefeiert werden.

Nachdem Hildegard dagegen angekämpft und ihre vielen Kontakte eingeschaltet hatte, wurde der Bann schließlich wieder aufgehoben. Sie starb ein halbes Jahr später am 17. September 1179 im hohen Alter von 81 Jahren. Ihre Gebeine ruhen heute in der Pfarrkirche von Eibingen. Papst Benedikt XVI. erhob die bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrte Hildegard im Oktober 2012 zur Kirchenlehrerin.

Von Valerie Mitwali

Gedenktag Hildegard von Bingen: 17. September

Patronin der Esperantisten, Sprachforscher und Naturwissenschaftler. Kirchenlehrerin.

Linktipp: Kräuterkunde nach Hildegard: Heilsam bis giftig

Ihr Rezept für Hustensaft wirkt, schmeckt aber bitter, weiß Medizinhistoriker Johannes Gottfried Mayer aus eigener Erfahrung. Von anderen Vorschlägen Hildegard von Bingens lässt er lieber die Finger.

Der ursprüngliche Artikel wurde am 17. September 2019 durch einen neuen Text ersetzt.