"30 von 62 werden Ministrant"
Frage: Herr Biesinger, viele Gemeinden klagen darüber, dass nach der Erstkommunion nur noch wenige Kinder in den Gottesdienst kommen. Eine deutschlandweite Studie zur Kommunionvorbereitung kommt zu dem Schluss, dass die Katechese bei den Kindern unter bestimmten Bedingungen durchaus wirkt. Welche sind das?
Biesinger: Die Forschungsgruppe rät zu dem Modell der Familienkatechese, weil dabei positive Veränderungen nachgewiesen wurden. Allerdings wird immer noch rund die Hälfte aller Kommunionskinder mit losem, selbstkopierten Material vorbereitet - was laut Studie wirkungslos ist.
Frage: Worum geht es bei dem vorgeschlagenen Modell?
Biesinger: Bei der Familienkatechese erwerben auch die Eltern die Kompetenz, mit ihrem Kind über Glaubensthemen zu sprechen. Die Kinder, deren Eltern entsprechendes Material und Begleitung erfahren haben, waren laut Studie massiv im Vorteil gegenüber Kindern mit anderen Katechese-Modellen. Innerhalb so eines Prozesses wächst das Vertrauen der Eltern und Kinder zu Kirche, sie bekommen Zugang zur Kirche und erwerben Wissen über biblische Geschichten - und das wirkt auch ein Jahr nach der Erstkommunion noch. Praktisch läuft das so, dass die Eltern eingeladen sind, jede Woche eine halbe Stunde mit ihren Kindern in einem Familienbuch zur Erstkommunion zu lesen. Damit die Erwachsenen auf die Fragen antworten können, werden sie bei einem oder in monatlichen Elterntreffen begleitet und vorbereitet.
Frage: Viele Eltern haben aber keine Berührungspunkte mit der Kirche und wenige zum Glauben an Gott. Wie kann man mit so einer glaubensfernen und glaubenskritischen Elterngeneration umgehen?
Biesinger: Das Grundprinzip muss sein, den Glauben nicht vorauszusetzen, sondern Interesse zu generieren. Dazu sollte man niederschwellig anfangen und die Chance nutzen, die sich gleich zu Beginn des Kommunionweges anbietet: Fast alle Eltern kommen zu dem ersten Treffen, weil sie ihr Kind anmelden und wissen wollen, wie das alles ablaufen wird. Da sollten die Gemeinden nicht den Fehler machen, nur über Organisatorisches zu sprechen, sondern direkt Glaubensthemen ins Gespräch bringen. Man kann mit ihnen zum Beispiel ein ansprechendes Bild der Szene "Jesus segnet die Kinder" anschauen - etwa von Emil Nolde - und sie zu einem ersten Gespräch mit ihrem Kind über die Begegnung mit Jesus in der Erstkommunion zu ermutigen. Wir geben den Eltern gleich beim ersten Elterntreffen das Familienbuch "Gott mit neuen Augen sehen" und zeigen ihnen, wie sie anhand des Buches mit ihrem Kind über Wandlung und Verwandlung unkompliziert reden können. In monatlichen Treffen werden die Eltern außerdem von der Gemeinde darin unterstützt, ihre Kinder zu begleiten. Die Kinder haben natürlich auch regelmäßige Treffen mit Gleichaltrigen in den Kommunionkindergruppen oder mit einem eigenen Programm während der Elterntreffen.
Frage: Wie viele Eltern machen ein so anspruchsvolles Programm mit?
Biesinger: Bei dem zweiten Elterntreffen sind regelmäßig mehr als die Hälfte derer vom Anmeldeabend anwesend. Es stimmt: Man kann nicht alle erreichen, weil manche nur die Erstkommunion für das Kind wollen, aber selbst nicht mit dem Thema Glauben zu tun haben wollen. Aber weil ein Teil nicht mitmachen will, kann die Konsequenz nicht heißen, die zu bestrafen, die mehr wollen und die dann weniger zu begleiten. Sehr viele Eltern lassen sich für die erneute Beschäftigung mit Glaubensfragen gewinnen, wenn sie merken, dass es um sie persönlich und ihr Kind geht und ihr eigenes Leben zur Sprache kommt.
Frage: Gibt es auch praktische Erfolge zu vermelden jenseits der Studienergebnisse?
Biesinger: Ich erlebe viele ermutigende Beispiele: So sind etwa in Bühl bei Baden-Baden im letzten Jahr 30 von 62 Kommunionkindern Ministranten geworden. Es gibt dort regelmäßig Familiengottesdienste. In Kleinostheim bei Aschaffenburg erzählte man mir, dass früher Eltern noch die "Kommunion für ihr Kind mitgenommen" hätten und danach aus der Kirche ausgetreten seien. Seit es Familienkatechese gibt und die Eltern breit einbezogen werden, treten Menschen wieder neu in die Kirche ein. Im Dom von Rottenburg wird seit Jahren einer der drei Sonntagsgottesdienste als Familiengottesdienst oder Familienkirche gestaltet, sodass die von der Familienkatechese motivierten Christen liturgisch beheimatet sein können. Es ist ja auch für die Kinder wichtig, dass die Eltern einbezogen werden: Wenn etwa ein Kind ministrieren will, aber die Eltern keine Gottesdienstbesuche in ihre Sonntagsgestaltung aufnehmen wollen, dann hat das Kind kaum eine Chance.
Linktipp: Mit Vorurteilen aufgeräumt
Eine deutschlandweite Studie zur Kommunionvorbereitung kommt 2014 zu dem Schluss, dass die Katechese zur Erstkommunion besser ist als ihr Ruf. Lesen Sie hier mehr über die Ergebnisse.Frage: Die Familienkatechese wurde jüngst von den Bischöfen bei der Familiensynode im Vatikan als "wirksame Methode" gewürdigt. Dennoch bedarf sie quantitativ in Europa noch dringend der weiteren Verbreitung - anders als in Lateinamerika.
Biesinger: Das Modell ist wirksam und gefragt - so haben in rund zehn Jahren weit mehr als 200.000 Familien das Familienbuch erhalten. Aber in Deutschland gibt es jährlich 188.000 Erstkommunionkinder. Von einer flächendeckenden Einführung - die ja dringlich und sinnvoll wäre - sind wir also noch meilenweit entfernt! Manchmal bin ich entsetzt über manche Teile unserer Kirche in Deutschland, die über Jahre so tun, als ob alles immer so weiter gehen könnte. In der Katechese geht "weiter so" einfach gar nicht: Die Ausgangslage der Eltern und Kinder hat sich so sehr verändert, dass es einer innovativen familienorientierten Katechese bedarf. Es gibt aber auch Lichtblicke und ein strukturelles Umdenken: So hat Bischof Franz-Josef Bode neulich mit der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz einen Studientag zum Thema Verkündigung und Katechese gestaltet, bei dem Familienkatechese vorkam. Ich kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen in den Diözesen das Konzept aufgreifen und endlich den "Hebel umlegen". So will der Berliner Erzbischof Heiner Koch sich als "Familienbischof" - ähnlich wie einige andere weitsichtige Bischöfe - um ästhetisch und inhaltlich anspruchsvolles Material für die Erstkommunionkatechese kümmern.
Frage: Warum klemmt es Ihrer Meinung nach in der Umsetzung?
Biesinger: Das könnte an dem Missverständnis liegen, dass manche haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Kirche denken, dass ihnen Aufgaben weggenommen werden, wenn die Eltern ihre Kinder selbst auf die Kommunion vorbereiten. Dieses Argument stimmt aber deshalb nicht, weil sowohl die Kinder weiterhin dringend Begleitung brauchen, als auch die Eltern in ihren Glaubenszweifeln und großen Fragen ein Recht auf spirituelle und religionspädagogische Wegbegleitung haben. Es ist eine ernst zu nehmende Herausforderung, sich auf die kritischen und differenzierten Fragen der Eltern einzulassen: Sie fragen, wie man Gott überhaupt spüren kann oder wollen ohne Vorkenntnisse wissen, wie sie ihr Kind religiös erziehen können - gerade auch angesichts des Leids auf der Welt. Sich auf diese inhaltliche Begleitung - dies geht leicht auch in größer werdenden Seelsorgeräumen - einzulassen, ist für mich eine große Freude und keineswegs zusätzlicher Stress. Es geht zeitlich ja nur um ein Elterntreffen - also um circa zwei Stunden - im Monat. Ich kann nur alle Verantwortlichen in der europäischen Katechese ermutigen, Familienkatechese zu realisieren. Wir gewinnen mit dieser Komplexitätserweiterung die Familien als Bündnispartner auf dem Weg zur Erstkommunion und weit darüber hinaus - und so manche Gemeinde blüht wieder auf.
Frage: Papst Franziskus kommt aus einer Region, wo Familienkatechese seit Jahrzehnten praktiziert wird. Denken Sie, dass sein Pontifikat die Familienkatechese aufwerten kann?
Biesinger: Papst Franziskus kennt Erstkommunionvorbereitung vorwiegend als Familienkatechese! In lateinamerikanischen Gemeinden ist diese Form der Katechese kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entstanden, zunächst in Chile. In seinen Ansprachen traut Franziskus den Eltern immer wieder zu, mit ihren Kindern die Gottesbeziehung zu realisieren. Wenn er fordert, mutig an die Ränder zu gehen und sich den Herausforderungen zu stellen, dann sind für mich auch die Eltern vor Ort gemeint, die ein Recht darauf haben, bei der religiösen Erziehung ihrer Kinder begleitet zu werden. Es ist eine gefährliche Engführung, wenn unter das Stichwort "Erwachsenenkatechese" nur die wenigen Hundert fallen, die sich taufen lassen wollen. Die Väter und Mütter der 188.000 Erstkommunionkinder jedes Jahr sind schließlich auch Erwachsene. So gesehen bringt Papst Franziskus starke Impulse für Familienkatechese.