80 Seiten wider den Populismus
"Wir müssen was zum Thema Populismus machen", schlägt jemand aus dem ehrenamtlichen Redaktionsteam vor. "Nicht schon wieder Populismus", denkt Chefredakteurin Cäcilia Branz und schlägt innerlich die Hände über dem Kopf zusammen: Alle großen Medien haben in den vergangenen Monaten über das Thema berichtet – muss sich damit auch die Mitgliederzeitschrift des Diözesan- und Priesterrats eines süddeutschen Bistums befassen? Sie hat. Und weil das Ergebnis sich durchaus sehen lassen kann und das Thema noch immer relevant ist, hat die Katholikenvertretung der Diözese Rottenburg-Stuttgart das Heft online gestellt. Normalerweise geht die Zeitschrift intern mit einer Auflage von 5.300 Ausgaben an Kirchengemeinde- und Diözesanräte sowie an Angestellte und Einrichtungen des Bistums.
"Populismus ist ein Unwort, das die Leute satt haben", berichtet Branz. Niemand wolle Populist sein, so wie das Wort derzeit als Totschlag-Argument besetzt sei, sagt die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Diözesan- und Priesterrat. Deshalb sei das Schwerpunktthema mit "Nicht: Populismus" überschrieben, so Branz, die die einzige Hauptamtliche im Redaktionsteam der viermal im Jahr erscheinenden Publikation ist. Die aktuelle Ausgabe der knapp 80 Seiten dicken Zeitschrift "informationen" beleuchtet den Populismus aus regionaler und vor allem aus katholischer Perspektive.
Öffentliche Erklärung zum Populismus geplant
Für den Schwerpunkt habe man sich aus zwei Gründen entschieden, sagt Branz. Zum einen sei das Thema sowohl für die Gesellschaft als auch für die Kirche aktuell. Und zum anderen berät derzeit der Diözesanrat Rottenburg-Stuttgart darüber. Nach einer intensiven Diskussion Ende März entschieden die 120 Vertreter, sich im Mai in einer öffentlichen Erklärung zum Populismus zu positionieren, gab Sprecher Johannes Warmbrunn bekannt. Diese solle markant ausfallen und sich unter anderem dezidiert für Pressefreiheit aussprechen, berichtet Cäcilia Branz nach dem Treffen im Kloster Reute. Der Diözesanrat wolle sich von einer Vereinnahmung des Wortes "Volk" distanzieren, von der Stimmungsmache gegen das sogenannte Establishment – mit dem man die demokratisch gewählte Regierung meint – und davon, dass Ängste geschürt werden, in einer Zeit, in der es reale Probleme gebe. Die Publikation wolle das Thema im Vorfeld aufbereiten und zur Meinungsbildung beitragen.
Cäcilia Branz zeigt sich beeindruckt vom Engagement der Autoren für diese Ausgabe der Mitgliederzeitschrift: "Die Leute haben teilweise in Nachtarbeit ihre Beiträge geschrieben, weil es ihnen so wichtig ist, zu diesem Thema aus dem christlichen Glauben heraus Orientierung zu geben." Entstanden sind theologische Beiträge, Artikel über die Aktivitäten der kirchlichen Verbände und Interviews, etwa mit der baden-württembergischen Landtagspräsidentin Muhterem Aras und ihren Gesprächsreihen zu Menschenwürde, Rassismus und Meinungsfreiheit. Oder mit dem Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes, der bei einer Bürgerversammlung mit "besorgten Bürgern" ins Gespräch kommen will.
Beiträge auch über die AfD
"Darf sich das Publikationsorgan eines Diözesanrats überhaupt parteipolitisch äußern?", fragt Ordinariatsrat Joachim Drumm in seinem Essay. Der Leiter der Hauptabteilug Kirche und Gesellschaft des württembergischen Bistums wagte sich an die Frage, ob die AfD rechtspopulistisch sei – und wenn ja, was daraus für Christen folge. Sechs Seiten standen Drumm zur Verfügung und er endet mit einer Absage an Wählerbeschimpfung oder Dialogverweigerung und mit einem Appell an Wachsamkeit und an der christlichen Botschaft orientierte Mitgestaltung.
Den Linkspopulismus behandelt eine Fotostrecke mit gewaltverherrlichenden Aufklebern auf Straßenlaternen, die Cäcilia Branz bei einem Spaziergang durch Stuttgart eingefangen hat. Natürlich könne auch darüber oder über den "sanften Populismus" eines Martin Schulz geredet werden, aber wirklich flächendeckend relevant sei derzeit der Rechtspopulismus und -extremismus, sagt sie. Es sei ein Luxus, dass die Zeitschrift des Diözesanrats das Thema von verschiedenen Seiten beleuchten konnte und viele Artikel umfangreicher ausfallen durften, als es in einer normalen Tageszeitung ginge.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Durch die Lektüre der eingereichten Artikel für die Ausgabe der "informationen" habe sie gelernt, wie leicht zu verwechseln einige katholische Begriffe mit den Ausdrücken seien, die Populisten benutzen: "Sie sagen – wie wir Katholiken –, dass die Familie geschützt werden muss, aber sie wollen dafür andere kleinhalten, etwa die Homosexuellen", erklärt Branz. Es stimme etwas nicht, wenn man nicht aus der Familie heraus begründen könne, warum sie besonders schützenswert sei und finanzielle Vorteile brauche. Die Kirche dürfe sich auch Begriffe aus der Bibel, die sie theologisch auslegt, wie Volk oder Heimat nicht nehmen und populistisch-abgrenzend umdeuten lassen.
Als Christen dialogbereit bleiben
Um "die feinen Unterschiede etwa zu AfD- oder sehr konservativen CSU-Positionen" aufzuzeigen, hat Branz einige Grafiken erstellt, die zeigen, wie Angst vor Fremden überwunden werden kann, wie sich das traditionelle Familienbild von dem rechtspopulistischen unterscheidet und warum Demokratie keine Diktatur der Mehrheit, sondern eine gemeinsame Sorge für alle ist. Die Fertigkeit, komplexe Themen einprägsam bildlich darzustellen, habe sie in ihrer Zeit als Religionslehrerin gelernt, sagt die Diplomtheologin.
Die Autoren der Zeitschrift fürchten sich nicht vor eventuellen negativen Rückmeldungen. Man wolle über das Thema ins Gespräch kommen, denn die Katholiken gehörten zur Durchschnittsbevölkerung, die auf die gegenwärtigen Entwicklungen und die persönlich Sorgen unterschiedlichen Antworten finden, so Branz. "Es ist aber wichtig zu betonen, dass das Christentum nicht neutral ist, sondern eine Orientierung hat – im Evangelium."
In unübersichtlichen Zeiten, in denen viele verwirrende Antworten unterwegs seien, versuche die Ausgabe der Mitgliederzeitschrift, erst einen Schritt zurück zu gehen und zunächst darüber nachzudenken, was es bedeutet, als Christ in dieser verunsicherten Welt zu leben. Zum Abschluss zitiert Branz ihren Bischof Gebhard Fürst: Es sei wichtig, als Kirche ein Ohr für die Sorgen, Ängste und Anliegen der Menschen, die von Populisten vereinnahmt werden, zu haben und ihnen nicht das Gefühl zu geben, dass sie belanglos seien. Gleichzeitig sei aber die Trennlinie zwischen kirchlichen und populistisch-nationalistisch geprägten Positionen klar zu benennen.