Eine Antwort auf Erik Flügges Thesen zum Kirchen-Comeback

Abriss und Kündigung: Keine Chance für die Kirche

Veröffentlicht am 16.01.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Zukunft der Kirche

Köln ‐ Der Politikberater Erik Flügge hat fünf Thesen für ein echtes Comeback der Kirche formuliert und freut sich über jeden Kirchenabriss. Jetzt widerspricht ihm der Kölner Pastoralreferent Norbert Bauer.

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Erik Flügge ist sich mit seiner Diagnose sicher: Depression. Gleich siebenmal erteilt er sie seinem Patienten, nicht in einem vertrauensvollen Arztgespräch, sondern mit ganzer Wucht in aller Öffentlichkeit. Der Patient ist wie so häufig bei Flügge die katholische Kirche. Wer eine Diagnose erteilt, sollte auch eine Therapie vorschlagen können. Das kann der junge Politikberater auch. Sein Therapievorschlag: Kirchenabriss und Mitarbeiterkündigung.

Die Debatte

Der Kölner Pastoralreferent Norbert Bauer antwortet mit diesem Beitrag auf die "fünf neuen Thesen für ein echtes Comeback" der Kirche, die der Politik- und Strategieberater Erik Flügge veröffentlicht hat.

Der Staub des unter Protest dem Braunkohleabbau geopferten Immerather Doms ist noch nicht verweht, da freut sich Erik Flügge schon auf den nächsten Abriss. Denn Kirchen sind "Beton gewordene Depression". Ein Großteil der Braunkohlegegner, die gegen den Abriss demonstrierten, sind sicherlich keine regelmäßigen Gottesdienstbesucher. Dennoch lag ihnen die Kirche am Herzen, wie offensichtlich auch der wirtschaftsfreundlichen FAZ, die bei der Zerstörung "ungeniert Gleichgültigkeit, Banausentum und Profitstreben herrschen" sah.

Kirchen in der Stadt – nicht voll, aber Ahnung von Heiligkeit

Zu meinen Wirkungsorten zählt die drittgrößte Kirche Kölns. Der neoromanische Kirchenbau von St. Michael ist für die Gottesdienstgemeinde viel zu groß. Meistens reichen die Bänke in der Apsis für die nicht ganz so jungen Gottesdienstbesucher. Daher entwickelten Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstände erste Ideen, um den Kirchenraum zu verkleinern. Büro- und Versammlungsräume sollten durch kluge Architektur im großen Kirchenschiff Platz finden. Diese ersten vagen Pläne stellten wir Menschen vor, denen wir sonntags nicht im Gottesdienst begegnen.

Wir luden ortsansässige Gastronomen, Kreative aus den umliegenden Bürogemeinschaften und Vertreter der Politik an einem Samstagmorgen in die Kirche ein. Und die zeigten uns die rote Karte: "Die ganze Stadt wird verdichtet – und jetzt fangt ihr auch noch damit an." "Wenn ich meine Ruhe haben will, gehe ich hier in die Kirche. Hier habe ich keinen Handyempfang." "Ich freue mich immer über diesen schönen Raum. Ich muss noch nicht einmal Eintritt bezahlen." Diese wenigen Statements zeigen, dass ein Kirchenraum offenbar mehr ist als ein Zweckbau für Gottesdienste. Er ist in einer kommerzialisierten Gesellschaft für viele Menschen ein Ort, der nicht der kurzfristigen Gewinnmaximierung unterworfen ist, sondern einer Ahnung von Heiligkeit Raum gibt. Nicht zuletzt deswegen zahlen sie weiterhin Kirchensteuern.

St. Michael in Köln
Bild: ©Norbert Bauer

Ein Ort der Stille im lauten belgischen Viertel in Köln: Die Kirche St. Michael.

Die Resonanz auf unsere Umbaupläne war und ist für die Kirchengemeinde Motivation, den Kirchenraum zu erhalten. Und ihn zu nutzen. Zum Beispiel für "Art & Amen", ein Projekt, mit dem die Kirchengemeinde die Türen dann öffnet, wenn sich im Sommer auf dem Brüsseler Platz hunderte junger Menschen treffen, um unter dem Kirchturm ihre Zeit zu genießen.

Innovative Projekte scheitern am Geld

Leider kann das Projekt aktuell nicht weitergeführt werden. Der jungen Mitarbeiterin, die drei Jahre lang mit großem Engagement ein Programm für "Art & Amen" entwickelt hat, konnte kein neuer Arbeitsvertrag angeboten werden. Das Erzbistum stellte keine weiteren Mittel für dieses erfolgreiche Projekt zur Verfügung. Das wird Erik Flügge aber nicht weiter stören. Denn für ihn scheinen "unkündbare Arbeitsverträge" ein Graus zu sein. Es ist schon erstaunlich, dass ein bekennender SPD-Anhänger die Errungenschaft von unbefristeten Arbeitsverträgen in Frage stellt und Kündigungen zum erfolgreichen Mitarbeiterführungsinstrument erklärt.

Um einen Blick von kirchlicher Realität zu gewinnen, hätte Flügge das in seiner Nachbarschaft liegende kirchliche Jugendcafé aufsuchen können. Dank nicht verlängerter Projektmittel, abgelehnter Förderanträge und nicht bewilligter Mittel aus Fundraisingtöpfen begann für viele gut ausgebildete Mitarbeiter das Jahr 2018 mit dem Gang zum Arbeitsamt. Die katholische Soziallehre kennen viele Berufsanfänger im kirchlichen Raum höchstens noch aus dem Sozialkundeunterricht, aber nicht mehr von ihren befristeten Arbeitsverträgen. Davon abgesehen: die einzig wirklich unkündbaren Mitarbeiter in der katholischen Kirche sind Priester, also die Leitungskräfte.

Reform-Thesen: Der Geist der Agenda-Politik

Auch im Jahr 1 nach dem Reformationsjubiläum sind Thesen weiterhin attraktiv. Anlass für Flügges Ruckrede sind auch die 10 Thesen des Missionsmanifests, denen er 5 eigene Thesen für ein "echtes Comeback der Kirche" entgegensetzt. Luther hat sich mit seinen 95 Thesen vor allem Gedanken über Gott gemacht und damit eine Reformation angestoßen. Die 10 + 5 Thesen für ein (echtes) Comeback der Kirche halten sich erst gar nicht mit theologischen Inhalten auf, sondern reden in aller Unterschiedlichkeit nur über Kirche. Die beiden Texte würden auch funktionieren, wenn man statt des Begriffs Kirche die Begriffe Siemens, SPD oder Stadt Köln einsetzen würde. Die Augsburger Missionsthesen haben den Sound einer Kabinenansprache von Christoph Daum (Gib alles!), die Thesen Flügges Thesen atmen hingegen den Geist der Agenda-Politik Gerhard Schröders (Fordern & Fördern).

Bild: ©Norbert Bauer

Die Installation "Das Paradies ist anderswo" von Kane Kampmann ist eines der Kunstprojekte, die bei "Art & Amen" in der Kölner Pfarrei St. Gereon verwirklicht wurden.

Flügges Sympathien für die im Augsburger Gebetshaus geborenen Thesen halten sich in Grenzen. Dennoch wird er schwach angesichts der darin empfohlenen Charaktereigenschaften. "Die Kirche muss wieder wollen, dass Menschen ihr Leben durch eine klare Entscheidung Jesus Christus übergeben." Das will ich nicht. Mein missionarischer Tatendrang hört spätestens da auf, wo Totalidentifikation erwartet wird. Daher bin ich auch froh in einem Land zu leben, wo religiöses Eifertum nur für wenige Menschen ein attraktives Lebensmodell ist. Man mag mir jetzt fehlenden Missionseifer vorwerfen. Damit kann ich aber leben.

Nicht alles dem Kosten-Nutzen-Faktor opfern

Begeisterung reicht Flügge natürlich auch nicht. Angesichts der leeren Kirchenbänke setzt er vor allem auf Benchmarking und formuliert dafür auch ein Ziel. "Thesen für eine lebendige Kirche sollten in meinen Augen darauf zielen, die lebendige Kirche zu stärken und die dahin siechende Kirche endlich hinter sich zu lassen." Stimmt. Ein Warmwasserbecken sollte möglichst viel warmes Wasser enthalten. Ich bin auch kein Freund davon, mangelnde Nachfrage von pastoralen Angeboten mit der Weisheit "Gott schreibt auf krummen Zeilen" weichzuzeichnen. Einen großen Kirchenraum für 10 Gottesdienstbesucher zu heizen darf nicht die finanziellen Mittel für ein innovatives Kirchenprojekt auffressen.

Nicht zustimmen kann ich hingegen Flügges neoliberalem Bürokratiebashing. Wer einmal einen Tag in einem gut geführten Pfarrbüro verbracht hat, weiß, wieviel seelsorgliche Kompetenz dort anzutreffen ist. Jede Zentralisierung von Verwaltung geht vor allem auf Kosten der nicht so mobilen Bürger. Das gilt auch für die Kirche, die auch zukünftig nicht nur für die Car2Go Nutzer da zu sein hat. Verwaltungsstrukturen sollen Menschen entlasten. Ich weiß, oft genug kommen sie dieser Aufgabe nicht nach – auch in der Kirche. Aber Deregulierung kann nicht die Antwort darauf sein.

Der französische Soziologe Ehrenberg hat in seinem Buch "Das erschöpfte Selbst" darauf hingewiesen, dass die gewonnene Eigenverantwortung in einer kapitalistischen Gesellschaft immer auch die Gefahr der Depression birgt. Wer sich nur auf sich selbst zurückgeworfen fühlt, fühlt sich auch schnell überfordert. Eine zuverlässige, überschaubare Infrastruktur, vielleicht sogar mit bekannten freundlichen Gesichtern bietet da Entlastung und bewahrt einen vor der Vorhölle eines anonymen Servicecenters. Vielleicht mag ich deshalb die Begeisterung für das Reformmodell "Abrissbirne und Kündigung" nicht teilen. Aber auch, weil jede Kirche eine Gesellschaft daran erinnert, nicht alles dem Kosten-Nutzenfaktor zu opfern. Dafür zünde ich gerne eine Kerze in der Kirche an – mag sie noch so leer sein.

(Der Text erschien zuerst im Blog Theosalon.)

Von Norbert Bauer