Apfelstrudel aus dem Ghetto
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Vom emeritierten Papst Benedikt XVI. weiß man, dass er sich Apfelstrudel aus dem römischen Ghetto in den Vatikan bringen ließ. Und dass er eine Schwäche für Zimtkekse und jüdische Pizza hatte, ein ebenso schweres wie süßliches Gebäck aus kandierten Früchten, Mandeln, Rosinen und Pinienkernen, das den Öfen der Bäckerei Boccione im Ghetto entstammt. Schwere Rauchschwaden steigen gerade aus dem Etablissement, kein guter Moment für kniffelige Fragen. "Ich weiß nicht", raunzt die burschikose Chefbäckerin im Blaumann auf die Frage, ob auch der Papst aus Argentinien Bocciones jüdische Leckereien zu schätzen weiß.
Am Sonntag besucht Franziskus erstmals die Synagoge in Rom. Die Liebe der Päpste zu den süßesten Seiten des jüdischen Lebens in der Stadt ist nicht etwa erkaltet, versichert Ilan Dabush, der das Ba’Ghetto führt, das bekannteste Restaurant im Viertel. Er belieferte den Papst, als dieser vor Jahresfrist im Vatikan eine Runde argentinischer Rabbiner verköstigen ließ. Franziskus goutierte insbesondere das Sardellentörtchen und die laktosefreie Pistaziencreme. "Ihr seid nicht nur schlau, sondern könnt auch noch kochen!", witzelte der Papst. Den Scherz bekam glücklicherweise niemand in den falschen Hals, alsbald lag sich der Papst mit seinem Freund Rabbi Abraham Skorka und den anderen in den Armen. "Hine ma tov uma naim", sang die Runde voller Inbrunst. "Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!"
Ist das der Soundtrack zum katholisch-jüdischen Dialog in Zeiten von Papst Franziskus? Nicht immer klang die Melodie so harmonisch. Differenzen kamen zuletzt auf, als Benedikt XVI. 2008 die Karfreitagsfürbitte für die alte Messe neu formulieren ließ, in der für die christliche "Erleuchtung" der Juden gebetet wird. Sein Besuch in der römischen Synagoge zwei Jahre später stand unter anderen unglücklichen Sternen. Benedikt hatte die Exkommunikation von vier Lefebvre-Bischöfen aufgehoben. Einer von ihnen hatte den Holocaust geleugnet. Kompliziert auch, dass gerade der deutsche Papst die Seligsprechung von Pius XII. vehement angeschoben hatte, dessen Rolle unter anderem bei der Deportation der römischen Juden 1943 aus dem Ghetto umstritten ist.
Jetzt, 50 Jahre nach der Annäherung der katholischen Kirche an das Judentum während des Zweiten Vatikanischen Konzils und 30 Jahre nach der ersten Synagogen-Papstvisite durch Johannes Paul II. erwarten viele ein Heimspiel für Franziskus. Einfach wird es aber auch diesmal nicht. Der römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni hatte auch am Argentinier einiges auszusetzen: Der Papst solle lieber nicht über Juden als "ältere Brüder" sprechen, weil diese im Alten Testament meist negative Rollen besetzten. Auch Bergoglios Rede von den Pharisäern habe missverständliche Untertöne. Schließlich sei die Dauerbotschaft des Papstes, dass Gott im Neuen Testament barmherzig auftrete, "gefährlich". Denn so stünden die Juden als alttestamentliche Fanatiker da. Klingt kompliziert. Wäre irgendwie schön, wenn am Sonntag eine konfessionsverbindende Süßspeise über diese Differenzen hinweghelfen könnte.