Arbeitsrecht gestärkt
Der Zweite Senat unter Leitung von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hob hervor, welche kirchlichen Grundverpflichtungen bedeutsam seien, richte sich "allein nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben und dem konkreten Inhalt des Arbeitsvertrags". Das Bundesarbeitsgericht habe "Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bislang nicht ausreichend berücksichtigt".
Andere Instanzen hielten Entlassung für unwirksam
Im konkreten Fall geht es um den Chefarzt eines Düsseldorfer Krankenhauses. Nach dessen zweiter Eheschließung hatte ihm die Klinik gekündigt. In allen Instanzen war zuvor entschieden worden, dass die Entlassung unwirksam sei. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte zwar, dass Kirchen von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne des eigenen Selbstverständnisses verlangen könnten.
Allerdings habe die Klinik bei protestantischen Kräften nach einer zweiten Heirat nicht zum Mittel der Kündigung gegriffen. Zudem habe die Einrichtung gewusst, dass der Mediziner vor der Eheschließung lange unverheiratet mit der Frau zusammengelebt habe.
Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass das Grundgesetz "die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist". Die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates sei Grundlage der modernen, freiheitlichen Gesellschaft, verwehre dem Staat aber auch, Glauben und Lehre einer Kirche zu bewerten. "Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren", heißt es wörtlich. Einschränkend weist der Senat darauf hin, dass überwiegend der Gewinnerzielung dienende kirchliche Organisationen dieses Vorrecht nicht in Anspruch nehmen könnten.
Gerichte sind demnach lediglich berechtigt, "Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen". Zweifelsfragen seien durch Rückfragen bei den Kirchenbehörden oder durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Gutachten zu klären. Auf einer zweiten Prüfungsstufe sei zu prüfen, ob Schranken der für alle geltenden Gesetze überschritten worden seien.
„Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat der Staat zu respektieren“
Karlsruhe weist zugleich darauf hin, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) "keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfassungsrechts" biete. Straßburg hatte in einen ähnlichen Fall entschieden, dass die Kirche einem Organisten nach der Trennung von seiner Frau nicht kündigen dürfe.
"Bedeutung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt"
Karlsruhe betont, das Bundesarbeitsgericht habe "Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt", indem die Erfurter Richter "eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen" hätten. Erfurt muss nun "eine eingehende Gesamtwürdigung" vornehmen. Dabei könne auch der Gedanke des Vertrauensschutzes des Arztes gegenüber seinem Arbeitgeber berücksichtigt werden. Der Arbeitsvertrag werte eine Zweitheirat nicht anders als ein Leben in nichtehelicher Gemeinschaft. Daraus könne der Arzt gegebenenfalls einen Vertrauensschutz ableiten. (KNA)