Die Katharer-Bewegung des Mittelalters wird zur Touristikmarke

Auf den Spuren der "Reinen"

Veröffentlicht am 05.06.2016 um 13:15 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 
Geschichte

Carcassonne ‐ Das Languedoc gehört vielleicht zu Frankreichs schönsten Regionen. Beim Dösen in der Sonne mag man sich nicht vorstellen, dass hier vor 800 Jahren ein Religionskrieg gegen die Katharer wütete.

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Seit Mitte des 12. Jahrhunderts grassierte hier die Sektenbewegung der Katharer, eine Häresie, die wohl durch die Kreuzzüge aus dem Orient importiert worden war. Ihre Anhänger wurden - nach ihrer Hochburg Albi - auch "Albigenser" genannt. Die eigentümliche und radikale Büßerethik und Weltflucht der Katharer (griechisch "katharoi", die Reinen) traf offenbar einen Nerv bei den so lebensfrohen wie frommen Südfranzosen. Jedenfalls breitete sich die Irrlehre in einer für Rom beunruhigenden Weise aus.

Geschickt verknüpfte die französische Krone die Ängste vor den Häretikern mit ihren eigenen Interessen - und schaffte es, ihren "Albigenser-Kreuzzug" (1209-1229) zur politischen Unterwerfung der Grafschaft Toulouse zu nutzen. Dass es dabei äußerst brutal zuging, belegt ein Zitat des päpstlichen Legaten Arnaud Amaury, der bei der Einnahme der Katharerstadt Beziers 1209 auf die Frage, was mit den Ketzern und was mit den rechtgläubigen Katholiken geschehen solle, geantwortet haben soll: "Tötet sie alle! Gott wird die Seinen schon erkennen."

Das französische Minerve
Bild: ©David Woods/Fotolia.com

Wohl an wenigen Orten kann man den Katharern heute noch so nah kommen wie in Minerve.

Waren die Katharer im Midi lange Zeit eher ein historisches Relikt unter vielen anderen, so erleben sie in den vergangenen Jahren eine Art Renaissance - ja sie werden als Kulturerbe Okzitaniens regelrecht adoptiert. "Wir sind stolz, in der Tradition der Katharer zu stehen": Sätze wie diese hört man oft, wenn die Rede auf sie kommt. Die "Chateaux Cathares" (Katharer-Burgen) sind ein touristisches Label; regionale Lebensmittel wie "Katharer-Brot", "Katharer-Oliven" und "Katharer-Wein" gehören zum Selbstbild einer Region, die heute fast ausschließlich vom Weinbau und vom Tourismus lebt.

Minerve, ein altes Katharerstädtchen

Wohl an wenigen Orten kann man den Katharern heute noch so nah kommen wie in Minerve, einem alten Katharerstädtchen am Zusammenfluss von Briand und Cesse. Der 130-Einwohner-Ort gehört zu den "Plus beaux villages de France", einem Label der "schönsten Dörfer des Landes". Bis 1210 war die am Steilhang gelegene Befestigung Sitz der Vizegrafen; nach der Eroberung durch die französischen Belagerer residierte hier der königliche Seneschall. Zur Zeit der Belagerung waren bei weitem nicht alle Bewohner Katharer. Doch eine Auslieferung, so verzeichnet die Stadtgeschichte stolz, sei nicht in Frage gekommen. 

Auf einem Lehrpfad kann man die Stätten des historischen Geschehens bis heute nachvollziehen. Oben an der Pfarrkirche erinnert ein Gedenkstein an die Getöteten von damals - mit der Taube, Symbol des Friedens und der katharischen Taufe. Weiter unten wird die Funktion der "Malvoisine" erklärt. Diese "böse Nachbarin" war das Katapult, mit dem die Belagerer die Stadt sturmreif schossen. 180 Bürger starben auf dem Scheiterhaufen, der am Fluss errichtet wurde. Jeden Sommer findet heute am breiten Flussbett ein Fest mit Winzererzeugnissen und Kunstgewerbe statt, früher auch ein Theater- und Musikfestival. Die Kunst des Feierns haben die Okzitanen nicht verloren - nur ihre politische Selbstständigkeit.

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Video: © steyl medien e.V.

Dominicus, der spätere Gründer des Predigerordens der Dominikaner, war beeindruckt vom geschlossenen Denksystem der Katharer und ihrer Überzeugungskraft. Glaubwürdig leben, überzeugend predigen und intellektuell bestechen, nur so könne die Kirche das Volk zurückgewinnen, davon war er überzeugt.

Ein weiteres Element, das die Geschichte und die Landschaft des Languedoc nachhaltig verändert hat, ist der Canal du Midi. 1666, vor 350 Jahren, unterzeichnete der Sonnenkönig Ludwig XIV. die Urkunde für den Baubeginn. Er führt über 245 Kilometer von Toulouse bis zum Mittelmeer über Carcassonne und Beziers bis nach Sete. Sein Zweck: die lange Umfahrung um Spanien und Portugal zu vermeiden - inklusive den anfallenden Steuern. Von der Gironde bis zum Mittelmeer sind es 500 Kilometer Luftlinie; davon waren rund zwei Drittel über die Garonne ohnehin schon schiffbar. Für die Umfahrung braucht man mehr als 3.000 Kilometer. 

Die Idylle am Kanal ist bedroht

Heute ist der Canal du Midi mit seinem ebenmäßigen Verlauf und seinen malerischen Pappelalleen wie geschaffen für "grünen Tourismus". Beim Radfahren, bei Spaziergängen und Bootstouren entlang malerischer Orte wie Le Somail an der Grenze zwischen den Departements Aude und Herault begegnet man gemütlichen und gemütvollen Menschen. So wie Nelly Bourgeois. Die 50-jährige Buchhändlerin aus Paris lebt inzwischen seit 35 Jahren am Kanal. Und mit ihr ihre antiken 50.000 Bücher und Comics in einem sehenswerten zweistöckigen Laden direkt am Wasser: "Le Trouve Tout du Livre". 

Doch die Idylle am Kanal ist bedroht. Mit dem Pilz Ceratocystis fimbriata wurde um 2005 die Platanenwelke (Massaria-Krankheit) aus Nordamerika eingeschleppt. Mehr als 5.000 der 42.000 Bäume aus dem 19. Jahrhundert sind inzwischen befallen. Über den Bootsverkehr kann der Pilz schnell von Baum zu Baum gelangen. Deshalb könnten über die nächsten 15 bis 20 Jahre sämtliche Platanen am Kanal erkranken und womöglich gefällt werden. Die Kosten der Wiederaufforstung werden auf bis zu 220 Millionen Euro geschätzt. Früher war alles besser - wo gilt das mehr als in der "France rurale", dem ländlichen Frankreich?

Von Alexander Brüggemann (KNA)