Avantgarde auf alten Pfaden
Wenn verdiente Seelsorger der Kirche ihre Erfahrungswelt eröffnen, ist das ein unschätzbarer Dienst. So ist auch der Brief der elf Priester ein wertvolles Dokument. Die Autoren besinnen sich dabei auf die Aufbruchstimmung, die sie einst als junge Theologiestudenten während des Zweiten Vatikanischen Konzils erlebt hätten. Diese sei, so sagen sie, später durch manche Kirchenmänner wieder zunichte gemacht worden. Dieser harte Vorwurf gehe etwa in Richtung des emeritierten Kölner Erzbischofs, Kardinal Joachim Meisner, sowie des emeritierten Papstes Benedikt XVI., erklärte einer der Autoren gegenüber katholisch.de.
Deren ungenannten Stolpersteinen zum Trotz sei das Kirchenvolk seinen Hirten schließlich in "vorauseilendem Gehorsam" schnell – und forsch – vorangegangen. Heute sei "manches selbstverständlich geworden und kirchenamtlich geduldet oder sogar anerkannt, was wir damals nach Kräften unterstützt und befördert haben". Was das ist, lassen die Autoren jedoch im Ungewissen.
Ungleich verbindlicher und präziser arbeiten die Priester ein wesentliches Problem der Kirche in Deutschland heraus: "Die Frage nach Gott (ist) bei vielen Menschen hierzulande kein Thema mehr". Besonders schmerzhaft sei, so die Priester, das Fernbleiben der Jungen und Familien aus dem kirchlichen Leben. Grundsätzlich fehle es an Präsenz überzeugter Christen in der Gesellschaft.
Auf die ehrliche und wohl auch selbstkritische Bestandsaufnahme lassen die Kölner Priester eine Liste von sieben Forderungen folgen, die sie als "Wegweiser in die Zukunft" bezeichnen. In diesem Katalog finden sich jedoch kaum Antworten auf die genannten Probleme, sondern weitgehend unzusammenhängende Vorschläge.
Linktipp: "Weil uns die Kirche nicht gleichgültig ist"
1967 wurden die elf Männer im Erzbistum Köln zu Priester geweiht. 50 Jahre später nehmen sie in einem offenen Brief Stellung zur aktuellen Situation der Kirche. Sie sprechen von Enttäuschungen, Hoffnungen und darüber, warum der Zölibat für sie selten eine spirituelle Quelle war.Bedenkenswert erscheint der erste Einwurf, zumal vor dem Hintergrund der Lebens- und Diensterfahrung der Autoren. Diese fordern eine neue Sprache, "die heute bei der Verkündigung der biblischen Botschaft wieder aufhorchen lässt". Sie hatten schließlich selbst einst das Aggiornamento Papst Johannes' XXIII. erlebt, der mit dem Zweiten Vaticanum die Kirche in die Gegenwart bringen wollte. Was nötig wäre, um dieses Vorhaben ein halbes Jahrhundert nach dem Konzil erneut umzusetzen, erklären die Priester dabei nicht.
Dauerbrenner der kirchlichen Debatte
Mit den weiteren Forderungen bedienen die Autoren schlechterdings Dauerbrenner der innerkirchlichen Debatte: Abschaffung des Zölibats, Zulassung von Frauen zur Weihe, ökumenische Abendmahlsgemeinschaft.
Dabei kann man aus den Worten der Priester eine durchaus ernste Empathie für die benannten Probleme lesen. So etwa bei der Frage des Zölibats. "Uns bewegt die Erfahrung der Einsamkeit", schreiben sie dort. Nach fünf Jahrzehnten in Ehelosigkeit bekennen sie, dass viele von ihnen "diese klerikale Lebensform um des Berufes willen angenommen, aber nicht gewählt" hätten. Der Zölibat, wie sie ihn erlebten, führe nicht selten "zu fruchtloser Vereinsamung oder/und hilfloser Arbeitshetze".
Dieses beinahe intime Zeugnis muss ernst genommen werden. Zugleich darf man dem entgegen halten: Stress und Einsamkeit müssen das zölibatäre Priesterleben nicht zwangsläufig treffen. Dies offenbarte etwa die Stressstudie unter Seelsorgern aus dem vorvergangenen Jahr, die den Befragten trotz teils massiver Arbeitsbelastung eine hohe Lebenszufriedenheit beschied. Zwar hätten den Forschern zu Folge viele Seelsorger Bedarf für stärkere soziale Beziehungen. Dies jedoch auf die Frage des Zölibats zu reduzieren, greift wesentlich zu kurz.
Relevanter Teil der Zielgruppe verfehlt
Die Autoren des Priesterbriefs stellen es mit einer weiteren Forderung selbst fest: Die Pastoralplanungen fördern vielerorts eine "zunehmende Anonymisierung und Vereinzelung", die für Seelsorger wie Gemeinde gleichermaßen belastend ist. "Großpfarreien sind in jeder Hinsicht eine Zumutung", lautet das drastische Urteil. Darin sind sich die Fachleute in der Debatte der vergangenen Monate einig: Eine Seelsorge, die räumlich und personell nah bei den Gläubigen ist, bleibt das Ziel. Aber dies scheint weit entfernt, nicht nur aufgrund der Ressourcen in der Seelsorge. Oft fehlt es schlicht an der schieren Masse aktiver Katholiken vor Ort.
Die Kölner Priester fordern wohl auch deshalb mehr Mut, "die Geistesgaben von Männern und Frauen walten zu lassen". Zu Recht. Dazu braucht es jedoch in erster Linie Gläubige, die in ihrem Glauben firm sind. Das hat einerseits mit einer besseren Sprachfähigkeit der Kirche zu tun, ist andererseits aber vor allem eine Anforderung an alle Gläubigen. Wohl und Wehe der Kirche liegen nicht allein in der Verantwortung der Hierarchie. Eine solche Forderung, die sich allein an "die Kirchenleitungen" richtet, verfehlt einen relevanten Teil der Zielgruppe.
Nicht wirklich zukunftsweisend
Mit jeweils nur wenigen Worten fordern die Priester schließlich forsches Handeln in den Fragen der Frauenordination und der Ökumene. Die Eucharistische Trennung zwischen den Konfessionen bezeichnen sie als "unsere konfessionellen Querelen" und gehen somit auch mit keinem Wort auf zugrunde liegende theologische Fragen ein. In ähnlicher Weise müsse der Ausschluss von Frauen von der Weihe durch "mutige Vorstöße" überwunden werden. Beide Forderungen bleiben wohl bewusst vage und wirken mehr wie pflichtschuldige Nennungen. Auf den theologischen Gehalt der Fragen gehen die Autoren nicht ein.
Als ein mutiger Vorstoß darf man wohl auch das Schreiben der Priester insgesamt einordnen. Es ehrt die Weihejubilare, dass sie nach fünf sicher nicht immer leichten Jahrzehnten im pastoralen Dienst noch immer so viel Verve für das Wohl der Kirche aufbringen. Am Ende jedoch fehlt den Autoren vielleicht eben jener Geist des Konzils, den sie zu Beginn ihres Schreibens ins Gedächtnis rufen. Einst fühlten sie sich wie die "Avantgarde einer sich erneuernden Christenheit". Heute beschreiten sie mit ihren Forderungen altbekannte Pfade, die kaum den Anschein machen, wirklich zukunftsweisend zu sein.