Weihbischof Ulrich Boom über das Heilige Jahr und die Heiligen Pforten

"Barmherzigkeit ist keine Kuschelecke"

Veröffentlicht am 09.10.2015 um 00:01 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Heiliges Jahr

Bonn ‐ In zwei Monaten beginnt das Heilige Jahr. Weihbischof Ulrich Boom koordiniert die Planungen in Deutschland. Im Interview mit katholisch.de erklärt er, was eine Heilige Pforte ausmacht und er verrät, was für ihn persönlich Barmherzigkeit bedeutet.

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Frage: Weihbischof Boom, was ist für Sie Barmherzigkeit?

Boom: Barmherzigkeit ist für mich erfahrbar: Du bist angenommen, so wie Du bist. Ich brauche nicht alles zu können, sondern Gott begegnet mir genau so, wie ich in die Welt gekommen bin. Wir gehen auf das Reformationsgedenken zu. Eigentlich ist es das, was Martin Luther bewegt hat: Wie finde ich den gnädigen und barmherzigen Gott? Muss ich vor ihm etwas leisten? Nein, ich muss nicht leisten. Ich muss ein Herz haben, so wie Gott es hat. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass Barmherzigkeit auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat.

Frage: Was heißt das?

Boom: Das sagt uns zum Beispiel Thomas von Aquin: Zur Barmherzigkeit gehört die Gerechtigkeit. Oder mit anderen Worten: Barmherzigkeit ist keine Kuschelecke. Wir können hier in Deutschland leicht von Barmherzigkeit sprechen. In Bezug auf das Heilige Jahr könnte die Gerechtigkeit aber beispielsweise bedeuten, dass wir den Flüchtlingen, die zu uns kommen, die Türen öffnen. Und das machen viele Gemeinden ja auch schon.

Frage: Eine der Besonderheiten dieses Heiligen Jahres ist es, dass es sich nicht nur auf Rom konzentrieren, sondern auch in den Ortskirchen in aller Welt begangen werden soll...

Boom: Man könnte den Gedanken sogar noch weiterdenken: Die Herzen jedes einzelnen sollen zu Heiligen Pforten werden. In der Verkündigungsbulle zum Heiligen Jahr sagt Franziskus, dass wir Christen für unser Leben die Barmherzigkeit Gottes entdecken, dass jeder einzelne die Türen für Gott öffnen soll. Und damit ist klar, dass das Heilige Jahr nicht nur in Rom, sondern auch in den Ortskirchen und sogar in jedem Getauften und Gefirmten stattfindet.

Bild: ©dpa/Picture Alliance

Ein großes Symbol: Papst Johannes Paul II. schließt die Heilige Pforte im Petersdom am Schluss des Heiligen Jahres 2000.

Frage: Wie ist der aktuelle Planungsstand in Deutschland?

Boom: Die Planungen konzentrieren sich bei den einzelnen Diözesen. Und da gibt es schon sehr viele Vorhaben, bis hin zu den Gemeinden. In vielen Diözesen spielen Wallfahrtsstätten eine prominente Rolle, auch Gesten wie Armenspeisungen wird es geben. Die Deutsche Bischofskonferenz hat eine eigene Internetseite zum Jahr der Barmherzigkeit freigeschaltet und auch vom Vatikan gibt es über das Internet Informationen. Es lohnt sich aber auch, den Social-Media-Kanälen der jeweiligen Bistümer zu folgen. Herausragende Punkte des Jahres sind unter anderem die Eröffnung in Rom zum Konzilsjubiläum am 8. Dezember und der Auftakt in den Diözesen fünf Tage später, also am Dritten Advent. Ebenso steht die Fastenzeit 2016 im besonderen Fokus.

Frage: Der Papst hat besondere Gesten der Barmherzigkeit angekündigt gegenüber Menschen in existentiellen Randsituationen. Werden auch die deutschen Oberhirten in Krankenhäuser und Gefängnisse gehen?

Boom: Natürlich haben die Bischöfe diese sogenannten leiblichen Werke der Barmherzigkeit besonders im Blick. Dazu gehört es auch, Gefangene und Kranke zu besuchen und ihnen gegebenenfalls die Beichte abzunehmen. Auf die Menschen an den Rändern der Gesellschaft gehen sie ja unabhängig vom Heiligen Jahr zu: Wie oft feiert der Bischof oder Weihbischof zusammen mit Obdachlosen Weihnachten? Das macht nicht nur der Heilige Vater, sondern Oberhirten weltweit. Gleichwohl ermahnt uns Franziskus jetzt noch einmal, diese Verpflichtung nicht zu vergessen und es ihm nachzutun.

 Basilika San Paolo fuori le Mura (Sankt Paul vor den Mauern) in Rom.
Basilika Santa Maria Maggiore in Rom.
Galerie: 4 Bilder

Frage: Auch in den Kathedralkirchen der Diözesen sollen ab Dezember Heilige Pforten geöffnet werden. Inwiefern ist das eine Neuerung?

Boom: Bisher war es tatsächlich nur in Rom Tradition, dass die Pilger in den Basiliken durch die Heiligen Pforten gehen konnten. Im Heiligen Jahr 2000 gab es das zwar vereinzelt schon in den Diözesen, aber eben nicht flächendeckend. Jetzt ist jedes Bistum aufgefordert, mindestens eine Heilige Pforte festzulegen. Das kann ein Tor an der Kathedralkirche sein, aber genauso gut auch anderswo, zum Beispiel an einem Wallfahrtsort. Bei uns in der Diözese Würzburg wird vom Dom aus eine Art Spur zur Heiligen Pforte gelegt, die sich im Würzburger Franziskanerkloster befindet. Es entsteht so ein kleiner Wallfahrtsweg durch die Stadt.

Frage: Welche Kriterien muss eine Tür erfüllen, um zur Heiligen Pforte zu werden?

Boom: Das hängt von der jeweiligen Diözese ab. Im Bistum Hildesheim gibt es Überlegungen, dass die berühmte Bernwardstür die Heilige Pforte wird. Das ist ein Portal, das fast immer geschlossen ist, und auch sonst nur zu besonderen Anlässen geöffnet wird. An den Türen und Portalen anderer Domkirchen dagegen ist oft soviel los, dass sie sich gar nicht als Heilige Pforte eignen. Sie sollen ja zu einem Ort der Stille führen, an dem es möglicherweise die Gelegenheit für ein seelsorgliches Gespräch und für die Beichte gibt. Im Übrigen könnte es durchaus mehrere Heilige Pforten in einem Bistum geben. Wenn Franziskus in der Verkündigungsbulle von einer Tür spricht, heißt das ja nicht, dass es nicht zwei oder drei geben darf, die uns die Barmherzigkeit erschließen.

Frage: Wird das dann nicht beliebig?

Boom: Man sollte in der Tat die Symbolik der Heiligen Pforten nicht überfrachten. Die Tür in die Kirche ist Christus selbst. Da geschieht etwas sehr Existentielles: Dass wir sozusagen durch ihn in den Raum des Glaubens gelangen. Es geht ja nicht um einen Wettbewerb, in welchem Bistum es wieviele Pforten gibt, wer durch wieviele Pforten geschritten ist und wie originell diese Pforten sind. Die Heiligen Pforten sind ein Symbol, durch das wir uns selbst berühren lassen und das nicht zu einer Äußerlichkeit verkommen darf. Das Heilige Jahr kann für uns Gläubige so etwas werden wie ein Jahr der Exerzitien. Das, was wir im Advent singen werden: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, eu'r Herz zum Tempel zubereit': Das ist genau das, was die Heilige Pforte meint.

Themenseite: Heiliges Jahr

Papst Franziskus hat am 13. März 2015 die Feier eines außerordentlichen Heiligen Jahres angekündigt. Dieses "Jubiläum der Barmherzigkeit" beginnt mit der Öffnung der Heiligen Pforte im Petersdom am 8. Dezember 2015, dem Hochfest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, und endet am 20. November 2016 mit dem Christkönigssonntag. Diese Themenseite bündelt die katholisch.de-Berichterstattung zum Heiligen Jahr.
Von Gabriele Höfling