Kirchen versuchen eine Eskalation in der Ukraine zu verhindern

Beistand von oben

Veröffentlicht am 10.12.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ukraine

Bonn/Kiew ‐ Die Demonstranten auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz haben geistlichen Beistand: Mehreren Priestern reichte Oppositionsführer Vitali Klitschko am Montag das Mikrofon, damit sie zu den pro-europäischen Regierungskritikern sprächen. Gut eine Stunde lang beteten sie bei starkem Schneefall mit den ausharrenden Demonstranten für eine friedliche Lösung im Machtkampf.

  • Teilen:

Doch die ist weiterhin nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im Stadtzentrum zogen Hunderte Polizisten auf. Die Opposition befürchtet eine gewaltsame Niederschlagung der Proteste. Seelische Unterstützung ist da willkommen, zumal die meisten Ukrainer religiös sind.

Ein orangenes Zelt am Rande des Unabhängigkeitsplatzes mit einem kleinen Holzkreuz auf dem Dach dient als Kapelle. Ein griechisch-katholischer Priester stellte dort Altar, Ikonen und Kerzen auf. Nun feiern hier katholische und orthodoxe Geistliche Gottesdienste. Manchmal fänden nicht alle Gläubigen Platz, sagt der katholische Ordensmann Leonid Grigorenko. Wie viele an den Messen teilnehmen, ist ihm auch nicht so wichtig. Selbst wenn nur ein einziger käme, sollte die Zeltkapelle bestehen, meint er.

Gebet vor dem Protest

Jeder Kundgebungstag beginnt gegen acht Uhr mit einem Gebet. Priester verschiedener Konfessionen sprechen es auf der großen Bühne, Lautsprecher übertragen es in die umliegenden Straßen. "Die Lage ist angespannt", sagt der Präsident der ukrainischen Caritas, Andrij Waskovycs. '"Es droht ein Sturm der Milizionäre auf den Unabhängigkeitsplatz." Nicht nur er hofft, dass die Anwesenheit der Priester vor einer weiteren Eskalation schützt.

So am Montag: Als Polizisten eine Straße beim besetzten Rathaus abriegeln, stellt sich ein Geistlicher zwischen Sicherheitskräfte und Oppositionelle. Schon mehrfach verhinderten in Kiew Priester eine Zuspitzung des Konflikts.

Bild: ©dpa/Jan A. Nicolas

Auf der Seite der Demonstranten: ein Priester der orthodoxen Kirche vor einer Kette ukrainischer Sicherheitskräfte.

Rückendeckung bekommt die pro-europäische Opposition besonders von der mit Rom verbundenen griechisch-katholischen und der orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, der Klitschko angehört.

Als vor gut einer Woche eine Sondereinheit der Polizei die Demonstranten mit Gewalt vom Unabhängigkeitsplatz vertrieb, wurde das nahe gelegene orthodoxe Michaelskloster ihr Zufluchtsort. Inzwischen stehen fast alle Kiewer Kirchen in den bitterkalten Nächten für die Demonstranten offen. Viele übernachten dort in Schlafsäcken.

Kardinal: Wandel notwendig

Bei der mit bis zu einer Million Menschen bisher größten Kundgebung trat am Sonntag auch Kardinal Lubomyr Husar auf, früheres Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine. Er ermunterte die Bürger, sich für einen notwendigen großen Wandel im Land zu engagieren. Als Losung gab Husar das Zitat des Jesuiten-Gründers Ignatius von Loyola aus: "Handle so, als ob alles von dir abhängen würde, und bete so, als ob alles von Gott abhinge."

Husars Nachfolger als Kirchenoberhaupt, der Kiewer Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, und die anderen Religionsführer blieben dem Unabhängigkeitsplatz bisher fern. Keiner von ihnen fordert bisher einen Rücktritt der Regierung oder Neuwahlen. Die Religionsführer riefen jedoch in getrennten Erklärungen zum Gewaltverzicht auf. Schewtschuk warf der Regierung zudem vor, "nicht auf das Volk zu hören oder zu glauben, es sei nichts passiert".

Frei und unabhängig

Ende September hatten die Spitzen von zehn großen Glaubensgemeinschaften in einer gemeinsamen Erklärung für eine "europäische Integration" der Ex-Sowjetrepublik geworben. Sie sprachen sich damit indirekt für jenes Assoziierungsabkommen mit der EU aus, das die ukrainische Regierung Ende November platzen ließ - der Auslöser der Massenproteste.

Die Ukraine, so damals die Botschaft der Religionsvertreter, solle "ein unabhängiger Staat im Kreise der freien europäischen Völker" werden. Dadurch wende sich die Ukraine nicht von ihrem "historischen Nachbarn Russland" ab. "Wir hoffen, dass das russische Volk und der russische Staat das Recht der Ukraine als eines unabhängigen Staates anerkennen und respektieren werden, ihren eigenen Weg in die Zukunft zu wählen - genauso wie die Ukraine die Unabhängigkeit und die Souveränität der Russischen Föderation anerkennt und respektiert."

Von Oliver Hinz (KNA)