Benedikt XV. und der Genozid
Dokumente aus dem Vatikanischen Geheimarchiv, die der Düsseldorfer Historiker Michael Hesemann ausgewertet hat, zeigen, dass man in Rom schon sehr früh im Bilde war über das Ausmaß der Gräuel. Papst Benedikt XV. intervenierte bereits im September 1915 bei Sultan Mehmet V. Kurz zuvor hatten ihm neben Bischöfen und Ordensleuten aus der Region auch der deutsche Reichstagsabgeordnete der katholischen Zentrumspartei, Matthias Erzberger, und das italienische Außenministerium über die Massaker an den Armeniern berichtet, die am 24. April 1915 begannen.
Der Papst bat den Sultan daraufhin in einem auch im "Osservatore Romano" veröffentlichten Schreiben um "Mitleid mit dem Schicksal [...] des schwer bedrängten armenischen Volkes, das an den Rand der Vernichtung gebracht wurde". Die türkische Regierung tat nach Erkenntnissen Hesemanns allerdings alles, um die persönliche Überreichung dieses Briefes durch den diplomatischen Vertreter des Papstes in Konstantinopel solange zu verzögern, bis die Deportationen und Massaker abgeschlossen waren. Nach zwei Monaten teilte der Sultan dem Papst dann mit, dass "eine spürbare Verbesserung der Lage dieses unglücklichen Volkes eingetreten" sei. Das war, wie der deutsche Historiker kommentiert, durchaus die Wahrheit, wenn auch eine sehr zynische: Zu diesem Zeitpunkt sei die Zahl der Armenier bereits so dezimiert gewesen, dass es keiner weiteren Massaker mehr bedurft hätte.
Benedikt XV. interveniert erneut beim Sultan
Anfang 1918 intervenierte Benedikt XV. erneut beim Sultan, nachdem es im Osten des Osmanischen Reiches zu weiteren Ausschreitungen gegen Armenier gekommen war. Der Papst wusste, wie Hesemann darlegt, dass seine Erfolgsaussichten erheblich steigen würden, wenn er das Deutsche Reich für sein Anliegen gewinnen könnte. Denn Berlin war damals der wichtigste Verbündete des Osmanischen Reiches. So beauftragte er den Apostolischen Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, den späteren Papst Pius XII., bei der Regierung in Berlin zugunsten der Armenier vorzusprechen. Doch die wollte ihren Bündnispartner nicht verprellen und schwieg zunächst.
Was Benedikt XV. mit einer frühzeitigen Hilfe des Deutschen Reiches zugunsten der Armenier womöglich hätte bewirken können, zeigte das Vorgehen nach Ausschreitungen gegen die Juden in Palästina 1917. Die Zionistische Weltorganisation wandte sich mit der Bitte um Hilfe an den Papst. Daraufhin sprach der vatikanische Botschafter Pacelli beim Außenminister des Königreichs Bayern vor, Otto Ritter von Dandl, der seinerseits beim Auswärtigen Amt in Berlin intervenierte. Das Ergebnis: Der türkische Befehlshaber für die Region durch einen deutschen General ersetzt.
"Dringlichste" Bitte an die Reichsregierung
Schließlich wandte sich Pacelli am 9. März 1918 persönlich an den damaligen deutschen Reichskanzler Georg Graf von Hertling, einen Katholiken. In dem Schreiben bat er "dringlichst" darum, dass Kaiser und Reichsregierung "allen Einfluss aufwenden, um zu erreichen, dass die armen Armenier von den Türken in schonender Weise behandelt werden".
Die Antwort des Reichskanzlers: Die Kaiserliche Regierung habe sich bereits nach dem Vertragsschluss "überzeugen können, dass die Türkische Regierung entschlossen ist, die Armenier mit Milde zu behandeln". Schließlich rang sich Berlin doch noch zu einer Intervention zugunsten der Armenier durch. Was sie letztlich bewirkte, lässt sich nach Hesemanns Einschätzung allerdings nur schwer sagen, weil der Erste Weltkrieg wenige Wochen später ohnehin beendet gewesen sei. Berlin habe aber wohl zumindest Schlimmeres verhindert.