Bertones Bilanz
Auch wenn dem hochgewachsenen Salesianer aus dem norditalienischen Piemont manche Pannen bei der Koordination der Kurie angelastet werden: Die politischen und diplomatischen Leistungen im Pontifikat von Benedikt XVI. sind unbestritten. Dazu leistete Bertone als dessen engster Mitarbeiter einen maßgeblichen Beitrag - und trat oft selbst als Akteur auf diplomatischem Parkett hervor.
Den erreichten Standard halten
Natürlich ließ sich die politische Dynamik aus dem Pontifikat von Johannes Paul II. (1978-2005) nicht wiederholen. In die lange Amtszeit des Vorgängers fiel der Umbruch in Europa und der Fall der Mauer. In diesen gut 26 Dienstjahren stieg die Zahl der Staaten, mit denen der Vatikan volle diplomatische Beziehungen unterhielt, von 80 auf rund 170.
Die Amtszeit von Benedikt XVI. (2005-2013) und seines Chefdiplomaten Bertone war politisch weniger spektakulär, konnte jedoch den erreichten Standard halten: Ein knappes Dutzend weiterer Staaten tauschte Botschafter mit dem Heiligen Stuhl aus, darunter die Russische Föderation, Botsuana und Malaysia. Der Vatikan war weiterhin gesuchter Gesprächspartner von Spitzenpolitikern und Staatsoberhäuptern. Im Pontifikat gab es vielversprechende Kontakte mit Vietnam sowie einen neuen Gesprächsanlauf mit der Volksrepublik China.
Religionsfreiheit auf die Agenda
Zu den politischen Höhepunkten zählte die Rede von Benedikt XVI. im April 2008 vor den Vereinten Nationen. Internationale Beachtung fanden zudem seine Reden bei Auslandsreisen in London, Wien, Berlin oder Prag zu aktuellen Fragen der globalisierten Welt. Zu den thematischen Schwerpunkten der von Bertone mitgetragenen politischen Agenda gehörte die Situation der Christen im Nahen Osten, vor allem im Irak, in Ägypten und Syrien. Zudem konnte der Vatikan das Thema Religionsfreiheit auf die internationale Agenda setzen.
Zu den Rednern bei der Buchpräsentation gehörte auch der frühere Präsident des Europaparlaments, Hans Gert Pöttering. Er war ein wichtiger Ansprechpartner Bertones und der Vatikandiplomatie.
Benedikt XVI. hatte anders als die meisten seiner Vorgänger mit Bertone nicht einen Diplomaten als engsten Mitarbeiter ausgewählt, sondern einen langjährigen Vertrauten aus der Glaubenskongregation. Dass Bertone, von Haus aus Theologe, an der Kurie über keine eigene Hausmacht verfügte, erwies sich dabei als Handicap - und war zweifellos als Grund mancher Pannen im Vatikanapparat. Als nachteilig erwies sich zudem, dass der Kardinalstaatssekretär anfangs häufig im Auftrag des Papstes Auslandsreisen unternahm - und damit im Vatikan fehlte.
Franziskus würdigt Bertone
Bertone habe mit großem Einsatz und einer hohen kulturellen und intellektuellen Bildung die Beziehungen des Heiligen Stuhls zu den Staaten gelenkt; so dankt der neue Papst Franziskus der früheren Nummer zwei des Vatikan im Vorwort des Buches. Mit Nüchternheit und im Geiste des Evangeliums habe Bertone eine Kultur des internationalen Dialogs gefördert. Dabei habe er mit einer Mischung aus Gehorsam und Eigeninitiative in absoluter Treue zum Papst seine Aufgaben erfüllt; den Widerständen im Amt sei Bertone mit "Mut und Geduld" begegnet. Mit diesen Worten ermöglicht Franziskus dem früheren Staatssekretär, der während des Vorkonklaves mehrfach Zielscheibe von Kritik war, einen gesichtswahrenden Abschied.
Unklar bleibt weiter, ob und wie Bertone nach seinem Rücktritt als Staatssekretär aktiv bleibt. Er bleibt Camerlengo der Kirche, gehört zum exklusiven Kreis der sechs Kardinalbischöfe und leitet weiter ein Kardinalsgremium zur Kontrolle der Vatikanbank. Zurzeit wird für ihn eine Wohnung innerhalb der Vatikanmauern renoviert. Spekulationen, er wolle noch eine neue Aufgabe übernehmen, etwa das Amt eines Erzpriesters von Sankt Peter, scheinen ohne Fundament.
Von Johannes Schidelko (KNA)