Bescheiden, gütig, liebend
Frage: Herr Dyckhoff, was bedeutet Ihnen Maria persönlich?
Peter Dyckhoff: Als ich mit meiner Mutter im Krieg im Luftschutzkeller saß und draußen die Bomben einschlugen, betete meine Mutter häufig das "Gegrüßet seist Du Maria". Das hat sich mir als Ur-Gebet sehr eingeprägt. Später war ich mehrere Jahre als Kaplan im Marienwallfahrtsort Kevelaer. Während der siebenmonatigen Wallfahrtssaison habe ich dort von morgens bis abends marianische Liturgien, Vorträge und Gesänge erfahren. Bei mir stellte sich eine Übersättigung ein, so dass mir danach längere Zeit der Zugang zu Maria verstellt war. Vor ein, zwei Jahren war die Zeit reif, mich wieder mehr mit Maria zu beschäftigen - daraus ist dann das Buch entstanden.
Frage: Sie möchten darin Menschen von heute "spirituelle Lebenshilfe" anbieten. Lebenshilfe ist ja "in", aber von der Gottesmutter erwarten sie wohl die wenigsten...
Peter Dyckhoff: Wenn man auf Maria und auf ihr Leben schaut, dann spürt man, dass sie eine Frau ist, die ein sehr weites und offenes Herz hatte. Vor allem - und auch darauf kommt es bei Lebenshilfe an: Sie konnte schweigen und warten, bis es angebracht war, etwas mitzuteilen. Im Kontrast zu unserer sehr geschwätzigen Zeit, wo persönliche Dinge gleich an die Öffentlichkeit gezerrt werden, ist das sehr wohltuend. Maria hat durch die 30 Jahre ihres Zusammenlebens mit Jesus viel durchlitten; dennoch lebte sie im Vertrauen auf Gott und strahlte eine solche Liebe und Güte aus, wie sie heute viele Menschen vermissen und durchaus gebrauchen können.
Frage: Inwieweit kann Maria als Vorbild in kritischen Situationen dienen?
Peter Dyckhoff: Menschen in Krisen sind geneigt, sehr genau zu ergründen, warum ihnen dieses oder jenes widerfährt. Maria aber ließ sich schrittweise führen, ohne gleich den ganzen Weg wissen zu wollen. Maria konnte also mit dem Geheimnis Gottes leben, bis es sich offenbarte. Sie blieb ruhig. Heute möchten psychisch Kranke oder unzufriedene Menschen in ihrem Leben allem auf den Grund gehen. Sie konsultieren dabei Ärzte, Psychologen und Psychiater. Das ist verständlich, aber oft entsteht auch ein Zuviel, mit dem der Patient gar nicht fertig wird. Es fehlt das Grundvertrauen, dass es Gott gibt, der es gut mit mir meint und dass er mich führt. Maria ist dafür ein wunderbares Beispiel. Wenn ich diesen Weg der Führung Gottes vertrauensvoll wahrnehme und gehe, dann bin ich geborgen, lebe in meiner Mitte und bleibe auch psychisch gesund.
Frage: Warum überhaupt Maria anrufen, wenn man direkt zu Gott beten kann?
Peter Dyckhoff: Diese Frage ist berechtigt. Ich kann durchaus zu Jesus Christus oder zu dem dreieinigen Gott beten. Viele Menschen - dazu gehöre ich als zölibatär lebender Priester auch - vermissen jedoch etwas Mütterliches, mehr Gefühlsbetonendes und Entgegenkommendes. Lange herrschte ein sehr strenges, herbes Bild von Gott als dem strafenden und richtenden Vater. Maria ist ein Mensch wie wir - sie verstand vieles nicht, was Jesus tat und sagte. Aber sie spürte seine Entgrenzung in das Kosmische, in das Reich Gottes, und blieb ruhig und gelassen. Dieses tiefe Verstehen ist wie eine Brücke zu ihrem entrückt wirkenden "göttlichen Sohn" oder zu Gott, dem Vater. Maria, die Mutter, kommt uns entgegen. In ihr haben wir eine geistige Mutter, die uns ihrem Sohn vorstellt und Fürbitte für uns einlegt. Wir können zu ihr beten, dass sie unsere Bitten weitertrage; sie selbst nimmt sich dabei zurück und strahlt Bescheidenheit aus.
Frage: Marienverehrung ist im katholischen Glauben tief verankert. Dennoch scheint die Verehrung eher ältere Menschen anzusprechen...
Peter Dyckhoff: Das kann ich unterstreichen. Ältere Menschen haben durch ihre religiöse Prägung und Erfahrung zum Teil mehr Zugang zu Maria. An Orten wie Fatima, Lourdes oder Medjugorje erlebt man aber, dass auch junge Menschen von der Atmosphäre und der Glaubenswirklichkeit ergriffen sind. Sie spüren, dass etwas mit ihnen geschieht und in ihrem Inneren etwas zu wachsen beginnt. Nach solch einem Erleben bricht dann auch bei Jüngeren eine gewisse Marienverehrung auf.
Frage: Wer in einen Marienwallfahrtsort reist, bringt meist bereits eine gewisse religiöse Motivation mit. Wie aber kann man auch jüngere Menschen für Maria sensibilisieren?
Peter Dyckhoff: Es ist nicht einfach, Menschen zu einer bestimmten Glaubenspraxis zu führen - auf Maria oder das Rosenkranzgebet reagieren manche Menschen sogar "allergisch". Als langjähriger Krankenhausseelsorger habe ich erlebt, dass auch jüngere Menschen, wenn sie in existenzielle Grenzsituationen kommen, sensibel werden für Religion und Gebet. In bestimmten Lebenssituationen offenbart sich das Heilige ganz von selbst - auch bei jüngeren Menschen.