Bleibt die Öffnung oder nicht?
An Allerheiligen vor 243 Jahren wurde die Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale geweiht. Deshalb wählte Erzbischof Heiner Koch den 1. November, um bekanntzugeben, wie das Gotteshaus saniert werden soll. Seit Jahren wird das Thema in der Gemeinde, im Erzbistum Berlin und darüber hinaus heftig diskutiert. Dabei geht es vor allem um eine architektonische Besonderheit der Kathedrale.
1773 wurde Sankt Hedwig als erster katholischer Kirchenbau Berlins nach der Reformation geweiht. Der Rundbau entstand seinerzeit auch auf Initiative von Friedrich dem Großen. Anlass war die wachsende Zahl der Katholiken in Preußen durch den Ausbau der Armee und die Eroberung Schlesiens, die damals wie heute rund 10 Prozent der Bevölkerung beträgt. Die Kirche wurde nach der Patronin der neuen Provinz, der heiligen Hedwig von Schlesien, benannt.
Damals war vor allem das Kuppeldach eine Besonderheit. Friedrich soll eine Kaffeetasse umgedreht haben, um seine architektonischen Vorstellungen für die Kirche kundzutun. Bis heute ist sie ein historisches Wahrzeichen der deutschen Hauptstadt. 1930 wurde sie zur Kathedralkirche. Das Gotteshaus wurde dreimal umgestaltet. Der bislang stärkste Eingriff fand nach dem Zweiten Weltkrieg im Innenraum statt – seitdem gibt es mitten in der Kathedrale eine Öffnung, die von Kritikern abschätzig "Loch" genannt wird.
Die architektonische Besonderheit, die der Düsseldorfer Architekt Hans Schwippert schuf, ist eine rund acht Meter große Bodenöffnung unmittelbar vor dem Altar. Über eine Treppe ist damit die Krypta mit den Grabkapellen der Berliner Bischöfe und des seligen Dompropsts Bernhard Lichtenberg, der während der Nazi-Diktatur für die Verfolgten eintrat und 1943 auf dem Weg ins KZ starb, erreichbar.
Proteste gegen die Umbaupläne
Diese direkte Verbindung zu den Verstorbenen soll nun im Zuge von notwendigen Sanierungsarbeiten geschlossen werden – oder auch nicht. 2013 hatte der damalige Berliner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki einen Architektenwettbewerb ausgerufen. "Am Altar habe ich das große Loch vor mir", klagte er. "Und die Gottesdienstgemeinde ist links und rechts in zwei Lager geteilt." Tatsächlich gewann dann im Sommer 2014 das Büro Sichau und Walter Architekten in Fulda den Wettbewerb mit einem Entwurf, der die umstrittene Bodenöffnung vor dem Altar der Kathedrale zu schließen beabsichtigt. Stattdessen soll ein Altar in der Mitte stehen und Stühle sollen sich um ihn herum im Kreis gruppieren. Veranschlagte Gesamtkosten des Projekts: 43 Millionen Euro.
Doch nur wenige Tage später wurde Woelki vom Papst zum Erzbischof von Köln ernannt und das Erzbistum Berlin wurde führungslos. In diese Zeit ohne Oberhirten fielen Proteste gegen die geplante Umstrukturierung des Innenraums: 18 Denkmalschützer und Kunsthistoriker schrieben einen offenen Brief an die Deutsche Bischofskonferenz, in dem sie die geplanten Kosten und die Schließung der architektonisch einmaligen Bodenöffnung kritisierten. Die "Freunde der St. Hedwigs-Kathedrale" sehen in den Umbauplänen einen "Stuhlkreis um einen kleinen Altar". Ihrer Meinung nach reicht eine rund 4 Millionen Euro teure Sanierung ohne großen Umbau.
Aktuell: Hedwigskathedrale geht in Besitz des Erzbistums über
Die Sankt-Hedwigs-Kathedrale wechselt den Besitzer: Die Domgemeinde überträgt die Eigentumsrechte an das Erzbistum Berlin. Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand der Domgemeinde sowie der Diözesanvermögensverwaltungsrat des Erzbistums haben den Verträgen zugestimmt, wie das Erzbistum Berlin am 17. Oktober mitteilte. Die Bischofskirche gehörte aus historischen Gründen bisher der Domgemeinde. Hausherr war nicht das Erzbistum, sondern der Dompfarrer. Die Übertragung war seit längerem verhandelt worden. Zudem wurde ein Erbbaurechtsvertrag zwischen der Domgemeinde und dem Erzbistum Berlin über das benachbarte Bernhard-Lichtenberg-Haus geschlossen. Dieser sieht vor, dass der Domgemeinde auch künftig eine Etage für ihre gemeindlichen Aktivitäten und Pastoral mietfrei zur Verfügung steht. In der Kathedrale sind die Werktagsgottesdienste um 8 Uhr und die Sonntagsmesse um 12 Uhr weiterhin als Gottesdienste der Gemeinde festgelegt. (KNA)Im September 2015 wurde der neue Erzbischof Heiner Koch in sein Amt eingeführt. Er gab gleich bekanntgab, dass er beide Seiten hören möchte und ließ ein Expertensymposium veranstalten. Im Anschluss sagte der frühere sächsische Kulturminister und ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer von Seiten der Kritiker, dass der historische Rang der gegenwärtigen Kathedralfassung nun unstrittig sei. Beim Umbau zwei Jahre nach dem Mauerbau sei die Öffnung als Zeichen kirchlicher Einheit im geteilten Deutschland interpretiert worden.
Koch will zunächst das Finanzielle gesichert haben
Mit heutigen kirchlichen Vorgaben für die Liturgie argumentieren Befürworter wie Kritiker des Umgestaltungsprojekts: Die einen bemängeln, dass man derzeit den Altar nicht umkreisen könne, was für eine Neugestaltung spreche. Die anderen sagen, dass die Innenraum-Version der Liturgiereform von 1964 um ein Jahr vorausgegangen sei und ihr damit gerecht werde. Erzbischof Koch sieht sowohl beim bestehenden Kirchenbau als auch beim derzeitigen Umbauentwurf Defizite.
Im Februar stimmte der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin mit 46 zu 13 grundsätzlich für einen Umbau der Sankt-Hedwigs-Kathedrale. Demnach würde ein Umbau 43 Millionen Euro kosten, eine bloße Sanierung 16,8 Millionen Euro. Koch versicherte damals, "die letzte Unterschrift" unter die Bauverträge werde er erst leisten, "wenn das Finanzielle gesichert ist".
In den vergangenen Monaten hatte der Erzbischof diverse Spitzengremien im Erzbistum um ihr Votum gebeten. Zugleich mahnte Koch alle Beteiligten, sich auch dann für das Projekt zu engagieren, wenn das Ergebnis nicht den eigenen Vorstellungen entspräche. Im Pontifikalamt am Abend von Allerheiligen wird Koch seine Entscheidung in einem Hirtenbrief verlesen. (mit Material von KNA)