Katholischer Friedensethiker über einen Einsatz von Bodentruppen im Irak

Bloß nicht!

Veröffentlicht am 17.09.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.
Bild: © KNA
Militär

Bonn ‐ Angesichts der rohen Gewalt der Terrorgruppe "Islamischer Staat" im Irak hat der evangelische bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm gefordert, unter einem Mandat der Vereinten Nationen (UNO) auch Bodentruppen in den Irak zu schicken. Wie sieht das die katholische Kirche? Im Interview mit katholisch.de erklärt der Friedensethiker Heinz-Gerhard Justenhoven, warum er einen Einsatz der UNO für unrealistisch hält und wo neue Konfliktherde entstehen könnten.

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Frage: Wie stehen Sie zu der Forderung, Soldaten unter einem UNO-Mandat in den Irak zu schicken?

Justenhoven: Mein erster Gedanke war: Bloß nicht! In der Theorie ist die Forderung, UN-Truppen zu schicken, zwar richtig. Aber in der Praxis ist das nicht durchführbar. Die Vereinten Nationen verfügen überhaupt nicht über Truppen, die in der Lage wären, eine Schutzzone abzusichern. Was es gibt, sind die Blauhelm-Soldaten, die UN-Mitgliedsstaaten für eine bestimmte Mission abstellen. Aber die sind leider nicht so bewaffnet, dass sie einer Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat standhalten könnten. Das hat man ja am Beispiel der Golan-Höhen gesehen, wo UN-Soldaten wochenlang von Islamisten entführt worden sind.

Heinz-Gerhard Justenhoven im Porträt.
Bild: ©Privat

Prof. Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven ist Leitender Direktor des Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg.

Frage: Warum gibt es bei der UNO solche Truppen nicht?

Justenhoven: Die Vereinten Nationen haben das Problem, dass sie nicht über dauerhafte eigene Truppen verfügen. Das wird zwar schon seit Jahrzehnten gefordert, aber die Mitgliedstaaten - dazu gehört auch Deutschland – sind nicht bereit, diese Truppen der UN zu unterstellen. Darüber hinaus gibt es nur sehr wenige Länder, die Blauhelm-Soldaten in nennenswerter Mannschaftsstärke stellen. Die meisten Nationen schicken bestenfalls Führungspersonal. Daraus kann man keine Truppe zusammenführen, die Auseinandersetzungen mit einem hochbewaffneten Gegner wie dem IS führen könnte. Im Moment müssen die Vereinten Nationen von Fall zu Fall um Blauhelme bitten und erhalten dann schlecht ausgerüstete Truppen.

Frage: Hat die UNO in dem Konflikt mit dem IS versagt?

Justenhoven: Mir ist es zu einfach, der UNO Versagen vorzuwerfen. Sie kann nur soviel, wie der vereinigte Wille ihrer Mitgliedstaaten will. Wenn Sie sich die Diskussionen im Sicherheitsrat anschauen, wird deutlich, dass es den Vetomächten nicht darum geht, den Konflikt zu lösen, sondern dass sie ihre Einflusssphären im Nahen Osten im Blick haben. Das betrifft vor allem Russland. Russland hat das Gefühl, im Nahen Osten an den Rand gedrängt geworden zu sein. Das ist zuletzt in Libyen deutlich geworden, wo die USA, England und Frankreich das UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung völlig überdehnt haben bis hin zum Sturz des Gaddafi-Regimes. Präsident Putin hat deutlich gemacht, dass ihm das nicht noch einmal passiert. Die russische Regierung ist allerdings bereit, die syrische Bevölkerung den Preis dafür zahlen zu lassen, in dem sie das Regime in Damaskus weiterhin stützt.

Frage: Wie könnte ein militärisches Eingreifen im Nordirak aussehen, wenn die UNO als Akteur ausscheidet?

Justenhoven: Staatenverbindungen auf regionaler Ebene, etwa die Arabische Liga, könnten im Auftrag der UN solche Truppen stellen. Nur ist die Arabische Liga in der Frage dieses Konfliktes heillos zerstritten. Wenn sie aber schon auf der politischen Ebene nicht in der Lage ist, mit einer Stimme zu sprechen, wie soll sie dann eine gemeinsame Truppe entsenden? Die einzige Organisation, die das derzeit überhaupt könnte, wäre die NATO. Die Erfahrung des Afghanistan-Einsatzes hat aber gezeigt, dass die Präsenz westlicher Truppen den Konflikt eher anheizt, als ihn zu deeskalieren. Es ist also dringend davon abzuraten, Bodentruppen nach Syrien oder in den Irak zu schicken.

Frage: Aber es kann doch nicht sein, dass die Staatengemeinschaft einem drohenden Völkermord einfach zusieht…

Justenhoven: Mich wundert, dass laut nach einem militärischen Eingreifen verlangt, aber das Naheliegende nicht viel nachhaltiger gefordert wird: Nämlich, dass wir uns viel stärker in der humanitären Hilfe engagieren. Um eine noch größere Katastrophe zu verhindern, müssen wir beispielsweise dringend in Jordanien und im Libanon helfen, die immense Flüchtlingswelle zu bewältigen. Rund die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht. Auch die Situation in den nordirakischen Flüchtlingslagern ist katastrophal. Wenn diese Menschen keine Perspektiven sehen, werden viele sich radikalisieren. In der Folge könnte die Existenz von Jordanien wie auch des Libanon als Staaten gefährdet sein. Wir müssen dringend alles uns mögliche tun, um das zu verhindern.

Frage: Man kann den Menschen, die die Bilder von Enthauptungen durch den IS sehen und selbst panische Angst haben, doch nicht sagen, wir helfen den Flüchtlingen in Jordanien und im Libanon…

Justenhoven: Wir dürfen das eine gegen das andere nicht ausspielen. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass wir auch in diesen beiden Staaten eine Destabilisierung auf uns zukommen sehen und es keinen Sinn macht, so lange zu warten, bis sie in sich zusammenbrechen. Außerdem hat sich die Situation der Christen und Jesiden durch die Ausrüstung der Kurden und die Einsätze der US-amerikanischen Luftwaffe deutlich verbessert. Wir müssen von der Vorstellung Abstand nehmen, den Konflikt militärisch lösen zu können. Das ist ein zutiefst politischer Konflikt. Nur ein stabilerer syrischer Staat kann das Problem mit dem IS letztlich lösen. Das geht allerdings nur, wenn die Konfliktparteien zusammen mit den beteiligten Regionalmächten Iran, Türkei und den Golfstaaten und natürlich auch mit Russland und den USA einen Waffenstillstand vereinbaren.

Frage: Für wie realistisch halten Sie das?

Justenhoven: Es gibt unter den genannten Staaten im Moment keinen politischen Willen dazu. Das muss man ganz deutlich so sagen. Wir haben mehrfach gesehen, dass unterschiedliche Akteure ihre Milizen nach Syrien hineinschicken und den Konflikt noch anheizen. Auch in Europa ist die Situation in Syrien und im Irak nicht derart im Blick, dass dass die Europäische Union eine politische Initiative unternimmt und wirklich eingreift.

Das Interview führte Gabriele Höfling

Zur Person

Der katholische Theologe Prof. Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven ist Leitender Direktor des Instituts für Theologie und Frieden und Stiftungsvorstand der Katholischen Friedensstiftung in Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören soldatische Berufsethik und die Friedensethik der Katholischen Kirche im 20. Jahrhundert. Er ist Mitglied der Deutschen Kommission "Justitia et Pax".