Christliches Menschenbild in Gefahr?
Auslöser der Aufregung ist ein im trockensten Schulverwaltungsdeutsch verfasster Arbeitsentwurf für den neuen baden-württembergischen Bildungsplan, der verbindliche Leitlinien für den Schulunterricht zusammenfassen will und dabei als ein Ziel unter Vielen auch die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" ausruft.
Von einer Bedrohung des christlichen Menschenbildes und einem Angriff auf die Ehe warnen deshalb nun die einen. Die Befürworter des Entwurfs sprechen dagegen von ekelhafter Hetze und Hass gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der inhaltlich verantwortliche Kultusminister Andreas Stoch (SPD) haben den Kern und die Zielrichtung des Entwurfs, Themen wie Homosexualität oder Transsexualität in Schulen stärker als bisher und fächerübergreifend anzugehen, stets verteidigt. Zugleich wollen sie jetzt aber die aufgeheizte Stimmung der Debatte abkühlen und die Gespräche über die Weiterentwicklung des Bildungsplans auf die Fachebene zurückholen. Am Donnerstagabend steht ein länger geplantes Treffen des Ministerpräsidenten mit den vier baden-württembergischen Bischöfen an, von dem sich alle Beteiligten eine Versachlichung der Debatte versprechen.
Brisant: Viele Gegner aus sehr konservativen, christlichen Kreisen
Zur Brisanz der Diskussion trägt bei, dass viele Gegner des Bildungsplanentwurfs aus sehr konservativen, christlichen Kreisen stammen. Der Initiator der Online-Petition "Zukunft - Verantwortung - Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens", der Nagolder Realschullehrer Gabriel Stängle, gehört einer evangelikalen Gruppierung an.
Der mittlerweile von 135.000 Bürgern unterzeichnete Appell wirft dem Kultusministerium vor, durch die geplanten Leitlinien Schüler zu einer Akzeptanz sexueller Vielfalt "umerziehen" zu wollen und fordert den sofortigen Stopp einer "propagierenden neuen Sexualmoral ". In der Petition ist zudem die Rede von "negativen Begleiterscheinungen" eines homosexuellen Lebensstils, etwa eine "höhere Suizidgefährdung", "höhere Anfälligkeit für Alkohol und Drogen" oder ein "ausgeprägtes Risiko psychischer Erkrankungen" von Homosexuellen. Eine umgehend gestartete Gegenpetition fand bislang 70.000 Unterstützer.
Ob aus dem Internet-Massenprotest auch eine in der Landesverfassung verankerte Petition an den Landtag wird, ist noch offen. Beim Petitionsausschuss ist bislang kein entsprechender Antrag eingegangen. Allerdings spielt hierfür die Zahl der Unterzeichner gar keine Rolle: Egal ob Einzelperson oder Zehntausende Antragsteller - jede ordentlich eingereichte Petition wird vom zuständigen Landtagsausschuss geprüft und dann gegebenenfalls an das Plenum weitergegeben. Monatlich gehen im Landtag mehr als 100 Petitionen ein.
Kultusminister Andreas Stoch will auf die Kirchen zugehen
Kirchen wie Landesregierung sind sich einig, dass es jetzt vor allem gilt, in der ohnehin geplanten Überarbeitung des Bildungsplanentwurfs von der derzeitigen öffentlichen Fixierung auf das Bildungsziel "Akzeptanz der sexuellen Vielfalt" wegzukommen. Minister Stoch hat zugesagt, dabei auch auf die Kirchen zuzugehen. Zuvor hatte es Verstimmung gegeben, weil ein Brief der Kirchen mit Anfragen zum Bildungsplanentwurf vom Kultusminister nicht beantwortet worden war.
Die Kirchen unterstützen das Ziel, jeder Form von Diskriminierung entgegenzutreten. Sie stoßen sich aber auch daran, dass im 32 Seiten langen Entwurf der Unterrichtsleitlinien sehr viel von "LSBTTI" (als Abkürzung für die Gruppe von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen und intersexuellen Menschen), aber nur sehr wenig vom christlichen Menschenbild die Rede sei. Am Donnerstagabend wird der Ministerpräsident den Kirchen darauf eine Antwort geben müssen.
Von Volker Hasenauer (KNA)