Countdown für Corvey
Denn hier, am Ufer der Weser, wurde Geschichte geschrieben. Die auf Initiative von Karl dem Großen und seinem Nachfolger Ludwig dem Frommen 822 gegründete Benediktinerabtei galt zeitweilig als kultureller und politischer Fixstern in der damaligen Welt. Ein wenig von diesem grenzüberschreitenden Glanz soll nun der Welterbetitel zurückbringen in das prachtvolle Anwesen, das heute ein wenig abseits der Touristenströme liegt.
Die Entscheidung fällt in einem Jahr, im Sommer 2014. Während das Welterbekomitee am Sonntag bei seiner Tagung in Kambodscha den Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe in die prestigeträchtige Liste aufnahm, laufen in Ostwestfalen die letzten Vorbereitungen. Im Herbst findet eine Begehung des Geländes durch eine Unesco-Kommission statt, "unter Ausschluss der Öffentlichkeit", wie es in Corvey heißt.
Die Spannung steigt - doch Viktor V., Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, bleibt gelassen, zumindest äußerlich. Vor bald 200 Jahren kam die etwas andere Immobilie als Spätfolge der Säkularisierung in den Besitz der Familie. 80.000 Quadratmeter Grund und Boden, 600 Fenster und drei Hektar Dachfläche wollen seither gepflegt und erhalten werden. Da braucht es bisweilen Demut und vor allem einen langen Atem.
Titel könnte Besucherzahl nach oben treiben
Der Welterbetitel könnte die derzeitige Zahl von 50.000 Besuchern im Jahr nach oben treiben - und damit auch mehr Geld zum Erhalt des Anwesens und zur Erforschung seiner Geschichte in die Kassen bringen.
"Ich kann hier keinen Spaten in die Erde stechen, ohne dem Denkmalamt Bescheid zu geben", sagt der Herzog. Rund um das Kloster, das in Sichtweite von Weserübergang und Handelswegen an einem mittelalterlichen Verkehrsknotenpunkt lag, entstand eine blühende Siedlung, die 1265 durch Truppen unter anderem aus dem benachbarten Höxter zerstört wurde. Die aufstrebende Stadt, die wenig später Mitglied im Bund der Hanse wurde, duldete keine Konkurrenz neben sich.
Ein bisschen davon ist auch heute noch zu spüren, wie Claudia Konrad einräumt, Leiterin des schlosseigenen Museums. So dürften ortsunkundige Gäste beispielsweise bestätigen, dass der Kommune an einer gut sichtbaren Ausschilderung zum kulturellen Highlight vor ihren Toren bislang wenig gelegen zu sein scheint. Immerhin: In der gemeinnützigen Gesellschaft "Kulturkreis-Höxter-Corvey" sitzen alle Beteiligten unter Leitung der promovierten Germanistin an einem Tisch.
Der besondere Schatz von Corvey: das Westwerk
Alle Beteiligten, das sind - außer Herzog Viktor und Geschäftsführerin Konrad - Vertreter aus der Politik und Seelsorger Ludger Eilebrecht. Der katholische Pfarrdechant vertritt die dritte in Corvey ansässige Partei und hütet einen ganz besonderen Schatz: das "Westwerk"von 885. Die Fassade der Klosterkirche bildet das Herzstück des Welterbeantrags.
Eilebrecht geht es aber nicht nur um die karolingische Architektur oder die kostbaren Malereien im Innern des Gemäuers. Obwohl die Kirchen auf dem Rückzug seien, blieben christliche Werte wichtig für die heutige Gesellschaft, findet er. "Das wollen wir in den Antrag mit einbringen."
Für den in Niederösterreich aufgewachsenen Herzog, der vor 17 Jahren seinen Hauptwohnsitz nach Corvey verlegte, ist es wichtig, "Leben in das Schloss zu bringen". Mit seiner Frau Alexandra und den vier Kindern zieht er gerade ins Hauptgebäude. Von dort sind es nur wenige Schritte zum Arbeitszimmer, in dem der pralle Aktenordner mit allen Unterlagen steht, die seit 1998 in Sachen Welterbe zusammengetragen wurden.
Deutschlands erstes Weltkulturerbe, der Aachener Dom, kam 1978 mit ein paar Blättern aus. Doch die Mühe ist es wert, meint der Herzog und blickt hinüber auf den alten Klosterfriedhof, auf dem auch August Heinrich Hoffmann von Fallersleben begraben liegt. Der Dichter der deutschen Nationalhymne arbeitete zeitweilig als Bibliothekar in Corvey. "Das Potenzial", sagt Herzog Viktor, "ist sehr groß".
Von Joachim Heinz (KNA)