"Das Abenteuer von Frieden und Brüderlichkeit wagen"
Die politische Entwicklung im Nahen Osten hat einen Schatten auf das Weihnachtsfest im Heiligen Land geworfen. In Bethlehem, der Geburtsstadt Jesu, feierten die Christen am Sonntag wie in jedem Jahr die Erinnerung an die Geburt Christi. Doch nach der jüngsten Jerusalem-Erklärung von US-Präsident Donald Trump war die Stimmung unter den einheimischen Christen verhaltener. Auch etliche ausländischen Gäste hatten storniert.
Tourismus-Boom endete mit Trumps Jerusalem-Erklärung
Nach Einschätzung der örtlichen Franziskaner kamen weniger Menschen als in früheren Jahren. Und einmal mehr waren die Sicherheitsmaßnahmen und die Polizeipräsenz rund um die 1.500 Jahre alte Geburtsbasilika verstärkt.
Dabei war 2017 eigentlich ein gutes Jahr für Bethlehem - und auch für die Christen, die hier zu einem nicht geringen Teil vom Tourismus leben. Mit 2,7 Millionen Besuchern erreichten die Palästinensergebiete einen Besucherrekord, von dem besonders Bethlehem profitierte. Doch der Boom endete abrupt mit dem 6. Dezember, als Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels ausrief - und damit eine Protestwelle unter den Palästinensern und in der Arabischen Welt auslöste. Auch in Bethlehem kam es zu Zusammenstößen, die zwar bald abebbten - aber nicht komplett. Noch am Samstag gab es Demonstrationen am Hauptübergang nach Jerusalem, bei dem Israels Militär auch Tränengas einsetzte.
Der Heiligabend beginnt traditionell mit dem Einzug des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Interims-Verwalter Pierbattista Pizzaballa kam zu Mittag über den israelischen Checkpoint nach Bethlehem. Viel Zeit nahm er sich für den Gang durch die von Tausenden Menschen gesäumten Straßen. Angeführt von Hunderten Pfadfindern mit Musikgruppen zog er bei kühlem und windigen Wetter durch die engen Gassen zur Geburtskirche. Immer wieder stockte der Zug, vor allem auf dem überfüllten Krippenplatz. Pizzaballa schüttelte Hände, die Menschen applaudierten.
Mitternachtsmesse war Höhepunkt der Weihnachtsfeiern
Der große Christbaum auf dem Krippenplatz ist praktisch das einzige auffällige Weihnachtsdekor in der Geburtsstadt Jesu. Nachdem sich der Patriarchatsleiter und sein Gefolge ins Franziskanerkloster zurückgezogen hatten, verteilte sich die Menschenmenge. Rund um den Weihnachtsbaum gab es einen kleinen Weihnachtsmarkt, wo man Tee, Nüsse oder Popcorn erstehen konnte. Unter den Einheimischen bildeten die Polizisten freilich fast die Mehrheit.
Höhepunkt der Weihnachtsfeiern war die Mitternachtsmette des Erzbischofs in der Katharinenkirche. In den Abendstunden hatte es angefangen zu regnen. Jene, die eine der 1.300 Zugangskarten erhalten hatten, mussten sich einer gründlichen Kontrolle unterziehen und Metalldetektoren durchschreiten - zumal auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einige Zeit an der Messe teilnahm.
Abweichend von seinem Manuskript ging Pizzaballa kurz auf die aktuelle Lage ein. Das Heilige Land sei ein faszinierendes Land, reich an Geschichte und Tradition, das "wir nicht besitzen, sondern dem wir dienen sollen - für die gesamte Menschheit". Er verwies auf Papst Franziskus, der Jerusalem als Stadt des Friedens bezeichnet hatte. "Das ist sie aber nicht, wenn eine Seite davon ausgeschlossen wird." Er nutzte seine Ansprache für einen dreifachen Weckruf.
Zunächst redete er den Politikern und den Entscheidungsträgern der Region ins Gewissen. Trotz vieler Enttäuschungen und Rückschläge sollten sie Mut haben und nicht auf eigene Visionen verzichten. "Mehr denn je brauchen wir heute eine echte und ernsthafte Politik", sagte er.
Christen sollen Heimat nicht verlassen
Mut verlangte der Kirchenführer auch von den Christen im Heiligen Land: Sie sollten ihre Heimat nicht verlassen. Angesichts kleiner werdender Gemeinden und den Unsicherheiten des täglichen Lebens sollten sie nicht resignieren oder kapitulieren. Weihnachten müsse Konsequenzen für alle Christen und ihr Handeln haben. Sie sollten für ein Reich des Friedens und der Wahrheit eintreten und sich vom Schrei der Armen und Niedergeschlagenen anrühren lassen.
Und zu Mut rief der Jerusalemer Erzbischof schließlich die Mächtigen der Welt auf: Es sei Zeit, das "Abenteuer von Frieden und Brüderlichkeit zu wagen". Statt auf Größe und Macht zu setzen, sollten sie dem Wohl der Mitmenschen dienen. Die niedrige Eingangspforte der Geburtskirche - nur 1,20 Meter hoch - sei auch der "Eingang zu wahrer Größe".
25.12.2017, 11.30 Uhr: ergänzt um weitere Informationen wegen der Abweichung Pizzaballas vom Redemanuskript. /rom