Das war überfällig
Dass der letzte Gedanke des Tages der an ein politisches Thema ist, kommt bei mir nicht allzu oft vor. Doch es spiegelt wider, was die seit Monaten schwelende Debatte über den assistierte Suizid so besonders macht: Obwohl es aktuell nur um sehr geringe Fallzahlen geht, betrifft das Thema doch jeden Einzelnen.
Marietta Slomka sucht nach Worten
Im Gespräch mit dem CDU-Abgeordneten Peter Hintze suchte neulich sogar die erfahrene und für ihre harten Interviews bekannte heute-journal-Moderatorin Marietta Slomka für einen kurzen Moment nach Worten, um zu beschreiben, was es bedeutet, einen anderen Menschen in den Tod zu begleiten. Die, die sonst mit den Kameras flirtet, wandte den Blick für einen kurzen Moment ab und ließ ihn suchend durch das Studio schweifen. Eine existenziellere Frage als den Tod gibt es nicht.
Deshalb ist es so wichtig und begrüßenswert, dass sich die katholische und evangelische Kirche zum rechten Zeitpunkt – kurz vor der ersten Lesung der verschiedenen Gesetzentwürfe am Donnerstag im Bundestag – gemeinsam zum Thema Sterbehilfe positioniert haben. Das mag angesichts der Tatsache, dass der Lebensschutz ein Kernthema der christlichen Botschaft ist, geradezu als Selbstverständlichkeit wirken. Ist es aber nicht.
Themenseite: Ethik am Lebensende
Politik und Gesellschaft diskutieren über die Sterbehilfe. Für die katholische Kirche ist klar: Auch im Sterben hat der Mensch eine Würde, die es zu achten und zu schützen gilt. Sie setzt sich deshalb besonders für eine professionelle Begleitung von Sterbenden ein.Denn in den vergangenen Jahren haben die beiden Kirchen bei ethischen Debatten nicht immer so entschieden mit einer Stimme gesprochen. Als vor Jahren etwa die Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PID) diskutiert wurde, gab es auch Zeiten, in denen das Thema zu ökumenischen Streitigkeiten führte.
Unterschiedliche Positionen
So hatte etwa im Jahr 2011 zeitweise der Kölner Kardinal Joachim Meisner die weitere Zusammenarbeit bei der ökumenischen "Woche für das Leben" infrage gestellt und das mit unterschiedlichen Positionen zur PID begründet. Und 2012 hatte Papst Benedikt XVI. die unterschiedlichen Positionen der christlichen Kirchen was etwa bei Lebensschutz, Familie und Sexualität angeht als neue Herausforderung für den ökumenischen Weg bezeichnet. Dass die evangelische und katholische Kirche in Bezug auch auf die Homo-Ehe unterschiedliche Positionen haben, ist weithin bekannt.
Umso wertvoller ist jetzt das gemeinsame Zeichen. Dass es in dieser Woche schon die zweite gemeinsame Erklärung der beiden großen Kirchen in Deutschland ist, mag auch daran liegen, dass die beiden noch recht neuen wichtigsten Führungspersonen einen guten Draht zueinander haben. Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), und Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, teilen nicht nur die Stadt München als gemeinsamen Dienstsitz. Auch im übertragenen Sinne wird ihnen nachgesagt, eine "Ökumene der kurzen Wege" zu verfolgen. Die am Dienstag verkündeten Planungen zu gemeinsamen Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum 2017 können jedenfalls als echter Durchbruch bezeichnet werden.
Kirchen verlieren sich in inneren Streitigkeiten
Die Erklärungen dieser Woche weisen in eine gemeinsame Richtung, die die Kirchen häufig zu sehr vernachlässigen: Es geht darum, sich Gehör zu verschaffen und als relevanter Akteur einen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Debatte zu leisten. Viel zu oft sind die Kirchen damit beschäftigt, sich in inneren Streitigkeiten zu verlieren, anstatt ihre Kräfte zu bündeln.
Streitthemen der Ökumene wie das Papier der EKD über die Rechtfertigungslehre im vergangenen Jahr oder die scheinbar endlosen innerkatholischen Debatten um Homosexuelle und wiederverheiratete Geschiedene haben für die Kirchen selbst sicher eine große Relevanz. Aber von außen werden solche Debatten nicht selten buchstäblich nicht verstanden, was dazu führt, dass Menschen sich abwenden. So verpassen die Kirchen Chancen, kraftvoll nach außen zu wirken. Und das können sie sich angesichts steigender Austrittszahlen eigentlich schon lange nicht mehr leisten, wollen sie weiter ein relevanter gesellschaftlicher Player sein.