Das weltallgrößte Bistum
Papst Paul VI. war überrascht: Normalerweise tauschen Bischöfe bei ihren alle fünf Jahre stattfindenden Ad-limina-Besuchen in Rom mit dem Papst und Kurienmitarbeitern Höflichkeiten aus. Doch ein noch recht neuer Bischof aus Amerika stellte sich 1969 forsch dem Papst vor. Er sei der Bischof des Mondes, sagte er zu Paul VI.
Bischof William Borders hatte gute Argumente für seine Behauptung, die die junge Diözese Orlando – erst 1968 war sie errichtet worden – zum weltweit, nein: weltallweit größten Bistum machen würde. Die Mission Apollo 11, die die ersten Menschen auf den Mond bringen sollte, nahm ihrem Ausgangspunkt auf dem Gebiet der neuerrichteten Diözese im Weltraumbahnhof in Cape Canaveral.
Es sei es doch wohl guter kirchenrechtlicher Brauch, erklärte Bischof Borders, dass neu entdecktes Land von dem Bistum aus verwaltet werde, in dem die Expedition ihren Ausgang genommen habe. Nicht von ungefähr brachte Borders den Punkt beim Papst vor. Paul VI. interessierte sich sehr für die Erforschung des Weltalls. Die amerikanische Mondmission hatte er kurz vor Bischof Borders Besuch in Rom von der päpstlichen Sternwarte nahe Castel Gandolfo aus verfolgt und den erfolgreichen Astronauten kurz nach ihrer Landung über Funk eine Botschaft geschickt: "Ehre, Gruß und Segen Euch, die ihr den Mond erobert habt, das bleiche Licht unserer Nächte und unserer Träume. Bringt dem Mond mit unserer lebhaften Teilnahme die Stimme des Geistes, den Hymnus für Gott, unseren Schöpfer und Vater."
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Buzz Aldrin war "nur" der zweite Mensch auf dem Mond. Aber immerhin der erste, der mit Brot und Wein außerhalb der Erde das Abendmahl empfing.Nicht Teil der Ansprache war allerdings eine Klärung, wer denn nun kirchenrechtlich die Zuständigkeit für den Mond hat. Wie Paul VI. nach der ersten Überraschung auf den Anspruch des Bischofs von Orlando reagierte, ist nicht überliefert. Bischof Borders Zuständigkeit für den Mond ist jedenfalls nicht so klar, wie er ihn vorbrachte. Historisch gibt es zwar durchaus Präzedenzfälle: So standen die von Christoph Kolumbus "entdeckten" Karibik-Inseln San Salvador, Kuba und Hispaniola zunächst unter der Jurisdiktion der Erzdiözese von Sevilla – von wo aus Kolumbus 1492 seine Entdeckungsfahrt begonnen hatte.
Der entsprechende Kanon im 1969 gültigen Kirchenrecht im Abschnitt "De clericis in specie" (das bedeutet nicht "Der Klerus im Weltraum") legt aber etwas anderes fest. Für Gebiete, "in denen die heilige Hierarchie noch nicht konstituiert ist", ist die Kongregation für die Verbreitung des Glaubens zuständig. 1967 wurde sie umbenannt in "Kongregation für die Evangelisierung der Völker".
Tatsächlich hat die Kongregation – bisher – den Mond noch nicht für sich reklamiert. Dafür aber andere Bischöfe: So etwa Kardinal Terence Cooke, der 1969 Erzbischof von New York und damit für das amerikanische Militär-Ordinariat zuständig war. Eine Militär-Erzdiözese mit eigenem Bischof, wie es sie heute in den USA gibt, war damals noch nicht errichtet. Zwar waren die Apollo-Astronauten Soldaten, die NASA ist aber eine zivile Behörde – weder der Erzbischof von New York noch der spätere Militär-Erzbischof können daher gute Argumente für ihre Zuständigkeit vorbringen. Kaum bessere Karten hätte der Erzbischof von Galveston-Houston, in dessen Diözese das irdische Kontrollzentrum der Apollo-Missionen liegt – aber eben nicht der Starthafen der Mondraketen.
Heute könnte noch ein weiterer US-Bischof seinen Hut in den Ring werfen: J. Kevin Boland, emeritierter Bischof von Savannah, Georgia. Er ist der von der US-amerikanischen Bischofskonferenz Beauftragte für das "Apostolat des Meeres", das sich um alle Seeleute kümmert. Mit dem Apostolischen Schreiben "Stella Maris" legte Papst Johannes Paul II. die Zuständigkeit für die Seefahrer-Seelsorge fest. Auch wenn Bischof Boland als Beauftragter der US-Bischofskonferenz für das Apostolat des Meeres damit keinen Anspruch auf den Mond erheben kann, so könnte er immerhin für Astronauten im Weltraum zuständig sein. In "Stella Maris" steht zwar nichts von Raumfahrern: Im Astronaut steckt aber immerhin der griechische "nautes", Seemann.
Und ganz pragmatisch gesehen: Der Bischof der Astronauten kann sechs katholische Mitglieder der Apollo-Mondmissionen zu seinen Schäfchen zählen. Der Bischof des Mondes dagegen wäre momentan für null Katholiken zuständig. Vielleicht hat auch deshalb seit Bischof Borders niemand kirchenrechtlichen Anspruch auf den Mond erhoben.