Denkmal, Mahnmal, Fotomotiv
3,30 Meter groß, den Blick gen Himmel, die rechte Faust auf der Bibel - seit gut 130 Jahren ist Martin Luther auf dem Dresdner Neumarkt präsent. Zu Füßen der Bronzestatue rasten Passanten mit Shopping-Tüten, Stadtführer referieren, Touristen machen Fotos von einer der bekanntesten Kirchen Europas: der Frauenkirche. "Luther war ihr Spiritus Rector", sagt Pfarrer Sebastian Feydt. Seine Glaubensvorstellung bilde ihre geistliche Architektur - bis in die Gegenwart.
Das Reformationsjubiläum 2017 rücke die eher im Abseits stehenden Lutherdenkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutschland wieder ins Licht, sagt der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen. Es sei ein ambivalentes Erbe. "Einerseits erinnern sie an den wichtigsten deutschen Reformator, was in einer Gesellschaft zunehmend wichtig ist, die ihre religiösen Wurzeln zu wenig kennt." Zugleich sind sie belastet mit überholten nationalprotestantischen Vorstellungen.
Die Zahl der Lutherdenkmäler bundesweit ist nicht erfasst. Nach Angaben von Experten war vor allem das Lutherjahr 1883 für viele Städte und Denkmalvereine der Anstoß, Lutherstatuen zu errichten. Das älteste ist das Denkmal in der Lutherstadt Wittenberg, das 1821 zugleich das erste öffentliche für einen Bürgerlichen war. Aus Spenden finanziert entstand danach Ähnliches, "gefördert durch die Bedeutung des Reformators als nationale Identifikationsfigur", wie der Dresdner Denkmalpfleger Ulrich Hübner sagt.
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Als der Dominikanermönch Tetzel 1517 in Wittenberg aggressiv für den kirchlichen Ablasshandel wirbt, platzt dem Augustinermönch und Theologieprofessor Martin Luther am 31. Oktober endgültig der Kragen. Der Rest ist Geschichte.Allein im "Mutterland der Reformation" Sachsen-Anhalt betreut das Landesdenkmalpflegeamt 53 Statuen, Büsten und Reliefs, in Thüringen stehen vier Statuen und Anlagen unter Denkmalschutz. Auch in den sächsischen Orten Döbeln, Annaberg-Buchholz, Bad Schandau oder Görlitz ist der Reformator in Stein gehauen. Höhepunkt der Entwicklung aber ist das Reformationsdenkmal im rheinland-pfälzischen Worms. Die Gruppe mit Luther im Zentrum hatte der Dresdner Bildhauer Ernst Rietschel (1804-1861) konzipiert. Sie war nach dessen Tod vollendet und 1868 eingeweiht worden. "Vor allem die Lutherskulptur fand eine verblüffend große Verbreitung, wurde vielfach abgegossen", sagt Hübner.
Sie war auch Vorbild für die Dresdner Statue. "Kommt und helft uns Luther feiern, daß er sichtbar vor uns und unseren Kindern bleibe und wirke", hieß es im Spendenaufruf an die Bürgerschaft 1883. Auch die Kirche machte dafür eine Ausnahme und gestattete eine Kollekte für das Denkmal, das am Reformationstag 1885 enthüllt wurde - als Monument von "Deutschlands größtem Sohn", der Begeisterung für ihn, der Kraft, Ausstrahlung und Zukunftsfähigkeit der Protestanten. Inzwischen ist der Glanz der "Lichtgestalt" jedoch teilweise verblasst, nachdem die Forschung viel Negatives wie Juden- und Türken-Hass hervorgeholt hat.
Luthers Dresdner Bronzeabbild war lange nur Zierde eines Verkehrsplatzes und weitgehend unbeachtet. Nach der Bombennacht vom 13. Februar 1945 dann stürzten gar Trümmer der einstürzenden Frauenkirche den Reformator vom Sockel. An den Knien zerbrochen lag der Reformator im Talar vor der Ruine des spätbarocken Gotteshauses - die Bibel noch immer fest in der Hand. Erst 1955 kam er wieder auf seinen schwarzen Marmorsockel - und diente fortan wie die Reste des Kirchenbaus als Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung. Unter ihm demonstrierten kirchliche Friedensgruppen mit Kerzen, in den 1980er Jahren dann die Bürger auch gegen die SED-Machthaber, zuweilen boten der von Rasen umgebene Luther und der Trümmerberg auch die Kulisse für DDR-Propaganda. Später war Luther stiller Zeuge des friedlichen Umbruchs und im Dezember 1989 auch der Rede des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl.
In den Jahren danach zogen Rechtsextremisten an ihm vorbei - und nun sammeln sich wieder Fremdenfeinde in seinem Schatten. Luther steht bei Kundgebungen der Pegida-Bewegung, aber auch Demonstrationen für Weltoffenheit und Toleranz mittendrin. Für Frauenkirchenpfarrer Feydt ist der Neumarkt öffentlicher Raum kritischer Auseinandersetzung - mit dem, was passiert und mit Luther. "Er war ja selbst in späten Jahren ausgesprochen antisemitisch."