Der Erste unter den Kardinälen
Dass er einen Eklat auslösen würde, damit hatte Kardinal Angelo Sodano wohl nicht gerechnet: Am Ostersonntag 2010, zu Beginn der Messe auf dem Petersplatz, trat er für ein Grußwort vor Papst Benedikt XVI. – ungewöhnlich, weil dies im kirchlichen Protokoll prinzipiell nicht vorgesehen ist. Sodano versicherte dem Papst in seiner kurzen Ansprache die Rückendeckung der Kardinäle und des Volkes Gottes insgesamt. "Von dem unbedeutenden Geschwätz dieser Tage" werde sich die Kirche nicht beeinflussen lassen, so der Kardinal.
Worum ging es? Das Offenbarwerden von sexuellem Missbrauch in der Kirche dominierte damals die Schlagzeilen, auch Benedikt XVI. war vermehrt ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. In diesem Kontext wurde die Formulierung "unbedeutendes Geschwätz" von vielen Menschen als mangelnder Respekt vor den Opfern des Missbrauchs durch Kirchenmänner, gar als eine Verhöhnung gedeutet. Und das aus dem Mund des Kardinaldekans, also des ranghöchsten Purpurträgers der Kirche. Der Vatikan sprach von einem Missverständnis.
Es war nicht das erste Mal, dass Sodano in die Kritik geriet. Und es war nicht das letzte Mal, dass er dem amtierenden Pontifex seine Solidarität und die der Kardinäle bekundete. Die Treue zum Papst, so scheint es, war stets ein Kernanliegen Sodanos. Am 23. November vollendet der Kardinal nun sein 90. Lebensjahr.
Eine steile Karriere
Geboren als zweites von sechs Kindern im norditalienischen Provinzstädtchen Isola d'Asti, wuchs Sodano in einem tief religiös geprägten Umfeld auf. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie empfing er im Alter von 22 Jahren die Priesterweihe und ging für weitere Studien nach Rom – die Stadt, in der er später eine steile Karriere bis in die Führungsebene der katholischen Kirche hinlegen sollte. Ab 1959 wurden Sodano erste diplomatische Aufgaben für den Heiligen Stuhl übertragen. 1977 erfolgte dann die Ernennung zum Apostolischen Nuntius in Chile und zum Titularerzbischof von Nova Caesaris.
Elf Jahre lang wirkte Sodano als Botschafter des Papstes in dem südamerikanischen Land. In dieser Zeit machte sich der Diplomat als Vermittler im Grenzkonflikt zwischen Chile und Argentinien einen Namen. Gleichzeitig war sein Verhältnis zum damaligen Militärregime und Diktator Augusto Pinochet umstritten. Kritiker betonten, Sodano habe angesichts der zahllosen Menschenrechtsverletzungen des Regimes seine Stimme nicht laut genug erhoben.
Papst Johannes Paul II. berief den hochgewachsenen Kardinal 1988 nach Rom zurück. Zunächst fungierte Sodano dort als vatikanischer Außenminister und engster Mitarbeiter des damaligen Kardinalstaatssekretärs Agostino Casaroli, bevor er zwei Jahre später selbst auf diesen Posten gehoben wurde. Ab 1990 zunächst als Pro-Staatssekretär, nach seiner Kardinalskreierung 1991 als Kardinalstaatssekretär war Sodano fortan maßgeblich für die politischen und diplomatischen Aktivitäten des Heiligen Stuhls verantwortlich; derjenige, der diesen Posten innehat, gilt gemeinhin als "Nummer Zwei" im Vatikan.
In seiner neuen Position verstand sich Sodano selbst als "treuer Diener" des Papstes und begleitete Johannes Paul II. auf 53 seiner Auslandsreisen. Als Chefdiplomat baute er weltweit die Beziehungen des Heiligen Stuhls zu anderen Staaten aus, erreichte den Abschluss zahlreicher Konkordate und war federführend an der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel beteiligt. Als Diplomat bewies sich der Kardinal, der fließend Deutsch spricht, auch im Konflikt um die katholische Schwangerenberatung Ende der 1990er-Jahre. Hier trat er als Vermittler zwischen den deutschen Bischöfen und der römischen Glaubenskongregation auf.
Im Jahr 2002 wurde Sodano zum Kardinalsubdekan gewählt, also zum Stellvertreter des ranghöchsten Kardinals. Im selben Jahr reichte der damals 75-Jährige seinen altersbedingten Rücktritt vom Amt des Staatssekretärs ein. Auf Bitten Johannes Pauls II. setzte er seine Arbeit jedoch fort. Der Kardinal hatte dem schwerkranken Papst in dieser Zeit vermehrt Aufgaben abgenommen – gemeinsam mit dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger. Unter anderem zelebrierte Sodano 2005 auf dem Petersplatz die Ostermesse und übermittelte die Ostergrüße von Johannes Paul II.
Papabile 2005
Nach dem Tod des polnischen Papstes am 2. April 2005 galt Sodano als "papabile", ihm wurden durchaus Chancen eingeräumt, neuer Pontifex zu werden. Als dann der damalige Kardinaldekan Ratzinger im Konklave zum Papst gewählt worden war, oblag es seinem Stellvertreter Sodano ihn zu fragen, ob er sein Amt annehmen wolle, welchen Namen er sich geben werde, und ihm später bei seiner Amtseinführung den Fischerring zu übergeben. Das Verhältnis zwischen Sodano und Ratzinger galt nicht immer als spannungsfrei. Der neugewählte Papst beließ ihn jedoch zunächst im Amt des Staatssekretärs, sodass Sodano Benedikt XVI. unter anderem bei seinen Deutschlandreisen zum Weltjugendtag in Köln 2005 und nach Bayern 2006 begleitete. Am 15. September 2006 wurde Kardinal Tarcisio Bertone Sodanos Nachfolger im Staatssekretariat.
Zum Nachfolger Ratzingers als Kardinaldekan hingegen wurde noch 2005 Sodano durch die sechs ranghöchsten Kardinäle, die sogenannten Kardinalbischöfe, gewählt. Fortan war er Vorsitzender des Kardinalskollegiums – ein Amt, das vor allem mit repräsentativen Aufgaben einhergeht. Als "primus inter pares" (Erster unter Gleichen) hat der Kardinaldekan keine Leitungs- oder Jurisdiktionsgewalt über die übrigen Kardinäle. Zum Zuge kommt der ranghöchste Kardinal vor allem in der Sedisvakanz: Er ruft die Kardinäle der Welt zum Konklave nach Rom zusammen, leitet bis zur Papstwahl die täglichen Generalkongegrationen des Kardinalskollegiums zur provisorischen Kirchenleitung, steht für gewöhnlich dem Beerdigungsgottesdienst für den verstorbenen Papst vor und leitet schließlich das Konklave in der Sixtinischen Kapelle.
Blitz aus heiterem Himmel
Dazu kam es erneut 2013: Überraschend gab Benedikt XVI. am 11. Februar vor den versammelten Kardinälen seinen Rücktritt vom Papstamt bekannt. "Wie ein Blitz aus heiterem Himmel" habe die Nachricht die Kardinäle getroffen, formulierte Sodano unmittelbar nach der Ankündigung. "Wir haben sie mit Fassungslosigkeit und beinahe ungläubig gehört", so der Kardinal, der Benedikt versicherte, "dass wir Ihnen näher sind denn je, wie wir es in diesen leuchtenden acht Jahren Ihres Pontifikates waren". Bereits im sogenannten "Vatileaks"-Skandal, der 2011 offenbar wurde, hatte Sodano dem deutschen Pontifex öffentlich den Rücken gestärkt. Die Treue des Kardinals galt also auch dem Nachfolger Johannes Pauls.
Im Konklave 2013 wirkte Sodano dann jedoch selbst nur am Rande mit. Zwar berief er die Papstwahl ein und leitete die Generalkongegrationen. Weil er aber die Altersgrenze von 80 Jahren bereits überschritten hatte, war er nicht mehr wahlberechtigt. Das Konklave leitete deshalb Giovanni Battista Re, der damals höchstrangige wahlberechtigte Kardinalbischof. Den Fischerring wiederum steckte Sodano selbst dem neuen Papst Franziskus an.
In den vergangenen Jahren wurde es eher still um den Kardinal. Der jetzt 90-Jährige gilt jedoch als rüstig, von gesundheitlichen Problemen ist nichts bekannt. Und an die gebotene Treue gegenüber dem Pontifex Maximus erinnert er seine Amtsbrüder auch heute noch hin und wieder: Im Mai rief Sodano per Brief den Kurienkardinälen ihre Residenzpflicht in Rom in Erinnerung. Wer die Ewige Stadt verlasse, müsse sich beim Papst abmelden, so der Kardinal. Er selbst tue dies stets mit "vollster Rücksichtnahme" auf den Heiligen Vater. Ob Sodano seinen runden Geburtstag außerhalb des Vatikan feiert – und sich entsprechend bei Franziskus abgemeldet hat –, wurde vorab nicht bekannt.