Der Hüter der Hüte
Kalt ist der Raum, praktische Metallregale füllen ihn aus. Darin reihen sich Kisten, Schuhkartons und Plastiktüten aneinander, eine Leiter wirft Schlagschatten im grellen Licht der Leuchtröhren. An der Wand, als einzige Zierde, ein Porträt eines freundlich grüßenden Papst Benedikt XVI., im Goldrahmen. Doch in diesem nüchternen Archivraum verbirgt sich eine große Leidenschaft: Dieter Philippi bewahrt hier seine Sammlung aus klerikalen Kopfbedeckungen auf. Knapp 570 Stück, vom weißen Papst-Pileolus über kostbare orthodoxe Mitren, jüdische Shtreimel und islamische Gebetskäppchen bis zu buddhistischen Panditamütze und farbenfrohen Kopfbedeckungen des Caodaismus, hat er über Jahre zusammengetragen. Im Keller seines Firmengebäudes – er ist Vorstand bei Herweck, einem Großhändler für Informations- und Kommunikationstechnologie – lagert er sie, selbstverständlich klimatisiert und gesichert.
Angefangen hat seine Leidenschaft, wo auch sonst, in Rom: Im Herbst 1998 entdeckte er dort im Schaufenster von Gammarelli, dem römischen Schneider für klerikale Gewänder, ein Kardinalsbirett aus schimmernder roter Seide. "Das wäre ein schönes Mitbringsel", habe er zu seiner Frau gesagt. Doch die habe gezweifelt, dass man es ihm verkaufe, schließlich sei er ja kein Kardinal. Da sei er kurzerhand in das Geschäft gegangen und habe das Birett tatsächlich kaufen können. Noch heute klingt Erstaunen in seiner Stimme mit. Er lacht. "Das war dann das erste Stück der Sammlung." Weitere Birette und Scheitelkäppchen, dann auch Kopfbedeckungen anderer Religionen und Konfessionen kamen hinzu – auch, weil sich sein Hobby herumsprach. "Da hatte mich dann die Sammelleidenschaft gepackt". Inzwischen sei seine Sammlung komplett: "Es gibt nichts, was fehlt", meint der 55-Jährige.
Nun läuft Philippi, modische Brille, Kurzhaarschnitt, blauer Nadelstreifenanzug, zwischen den Regalen auf und ab. "Wo ist die Kiste?" Er klingt angestrengt, fast schon nervös. Die Kiste, die er sucht, ist auch irgendwie Teil seiner Sammlung, denn in ihr kam eines seiner weitgereisten Hüte, ein indischer Mudi-Thoppi, per Post zu ihm ins Saarland.
Philippi späht in ein Regal, in dem Schuhkartons aufeinander gestapelt sind. Auf einem klebt eine Adresse. "Adriano Stefanelli", liest Philippi vor, der Schuhmacher des Papstes. "Der hat mir auch rote Papstschuhe gemacht, obwohl er noch so viele Aufträge hatte", erzählt Philippi. Er lächelt und holt die sorgfältig verpackten Loafer aus rotem Leder aus dem Karton. Ihre Oberfläche glänzt im Licht, kein Knick findet sich im glatten Leder. "Die sind in meiner Größe, aber getragen habe ich sie nicht." Vorsichtig packt er sie wieder in den Karton. Aber das mit der Kiste lässt den Sammler nicht los, unruhig geht er zum nächsten Regal, um dort zu suchen.
Und da ist sie dann: Ein sorgsam zusammengehämmertes Holzquadrat mit Adressaufklebern auf jeder Seite. Innen ist sie mit Polstermaterial ausgelegt. Der Schneider in Kerala, den Philippi mit der Herstellung des Mudi-Thoppi beauftragt hatte, habe offenbar der indischen Post misstraut. Die schwarze, turbanartige Kopfbedeckung wird dort unter anderem von indisch-orthodoxen Geistlichen getragen. In wochenlangem E-Mail-Verkehr habe Philippi den Schneider davon überzeugen müssen, das Versenden doch auszuprobieren. "Dafür hat er dann diese Kiste gezimmert."
Philippi läuft zum nächsten Regal und zieht ein Scheitelkäppchen und einen sogenannten Floppy Hat, der einem Regenhut ähnelt, heraus. Beide sind aus Stoff mit Camouflage-Muster gemacht, der Floppy Hat hat ein schwarzes Kreuz eingestickt. Auch den Pappkarton, in dem sie ihm zugeschickt wurden, hat Philippi aufbewahrt. Denn diese beiden Hüte stammen von einem Militärkaplan für die US-Streitkräfte im Irakkrieg: "Monsignore Rouen hat von meiner Sammlung erfahren und wolle nun die zwei Mützen, die er während seines Einsatzes getragen hat, dazugeben, damit sie nicht irgendwo verstauben." Also schickte er beide nach Beendigung seines Einsatzes an den Saarländer.
Eine Krone - für den Papst
Genau diese Geschichten sind für Philippi Teil seiner Sammelleidenschaft. Er vergleicht es mit den Ausgrabungen von Archäologen: Diese versuchten über ihre Funde, historische Umstände zu rekonstruieren. "Für mich dient die Kopfbedeckung als Vehikel, mehr über die Religion zu erfahren." Er begreift sein Hobby auch als Gegenpol zu seiner Arbeit in der Informationstechnologie, "wo sich alles praktisch monatlich ändert." Religiöse Kopfbedeckungen hingegen blieben über hunderte von Jahren gleich.
Und dann war da noch die Sache mit der Tiara, der Papstkrone. "Das war sicherlich ein Höhepunkt im Sammlerleben." Philippi strahlt. Er hatte die Idee, eine solche Tiara für den damaligen Papst Benedikt XVI. herzustellen und sie ihm sogar zu überreichen. Denn Papst Paul VI. sei zwar der letzte Papst gewesen, der gekrönt worden war. "Aber die Papstkrönung ist nicht abgeschafft, man vollzieht sie einfach nicht mehr." Also fragte er seine Bekannte Milka Botscheva an, die in Sofia in Bulgarien eine Werkstatt für orthodoxe Bekleidung hat, zu der auch die Herstellung von orthodoxen Bischofsmitren gehört. Ihre charakteristische kugelige Form wird durch eine spezielle Verarbeitung von Holz, Gewebe und Leim erzielt. "Für sie war es also gar kein Problem, die Grundform einer Tiara herzustellen", berichtet Philippi, der bei der Gestaltung half: Er sah sich etwa Abbildungen von Papstkronen an, um die Proportionen dieser Kopfbedeckung zu studieren. Die Krone für Benedikt XVI. wurde dann mit einem Netz aus vergoldetem Draht überzogen und mit drei Metallreifen und Schmucksteinen verziert. "Es war im Mai 2011 tatsächlich möglich, bei einer Papstaudienz die Tiara zu überreichen." Bis heute stehe die Papstkrone in der päpstlichen Sakristei im Petersdom. Und ein großformatiges Foto der Übergabe hängt selbstverständlich in Philippis Büro.
Weite Wege hat der Sammler für seine Leidenschaft schon auf sich genommen, unter anderem war er in New York, um bei einem jüdischen Hutmacher einen Shtreimel zu besorgen. Das ist ein kreisrunder Hut aus Fell, der von orthodoxen Juden getragen wird. Doch die meisten klerikalen Kopfbedeckungen könne man nicht in einem Geschäft kaufen, sondern die Glaubensgemeinschaften fertigten sie selbst an. Oftmals machten dies Ordensleute ausschließlich auf Bestellung von Geistlichen. "Man steht da oft vor einer Wand und kommt nur mit Referenzen weiter." Wieviel er für die einzelnen Kopfbedeckungen ausgegeben hat und was die Sammlung wert ist? Das sei schwer zu sagen. "Viele Hüte habe ich geschenkt bekommen, den Wert könnte ich also nur schätzen."
Verblüffende Entdeckungen - in allen Erdteilen
Nun hält Philippi drei weiße Kopfbedeckungen in der Hand: ein katholisches Pileolus, eine jüdische Kippa und ein islamisches Gebetskäppchen. "Die, die sich am Meisten die Köpfe einhauen, haben die gleichen Dinger auf dem Kopf", sinniert er. Er habe viele solcher verblüffenden Entdeckungen gemacht: Die Escime etwa, eine Haube, die von syrisch-orthodoxen Mönchen getragen wird, ist mit zwölf kleinen und einem größeren Kreuz bestickt; längs des Scheitels verläuft eine Naht. Die Kreuze stehen für die zwölf Aposteln und Jesus. Die Naht erinnert an den heiligen Antonius, der immer wieder von Dämonen geplagt worden sein soll. Sie sollen sogar dessen Haube zerrissen haben, sodass er sie wieder zusammennähen musste. "Die Mütze soll die Seele vor den schmutzigen, unreinen Gedanken und den Plagegeistern, die sie vom rechten Weg abbringen wollen, schützen", erklärt Philippi.
Ähnlich ist es beim Tendrel Uesham, einer blauen Kappe, an deren Spitze eine Kaurimuschel befestigt ist. Das ist die Kopfbedeckung für den Je Khenpo, dem ranghöchsten Lama im buthanesischen Buddhismus, wenn er von der Sommer- in die Winterresidenz, oder umgekehrt, umzieht. Die Muschel dient dabei als Versteck für die Seele, sollte sie während der Reise von Dämonen oder bösen Geistern angegriffen werden. "So kann die Seele diesen Weg rein überstehen", erklärt Philippi.
Bei so vielen Ähnlichkeiten sei ihm schon oft die Frage gekommen: "Was war zuerst da?" Keine Frage, die Sammlung füllt nicht nur seine Regale, sondern beschäftigt ihn auch geistig. "Es war ja unumgänglich, dass, wenn man sich mit religiösen Kopfbedeckungen beschäftigt, man dann auch etwas über die Kirche und die Hierarchie der einzelnen Glaubensgemeinschaften lernt. Dadurch kommt man zwangsläufig mit den Bräuchen und Glaubenssätzen dieser Gemeinschaft in Berührung." Ein enormer Lerneffekt sei es für ihn gewesen, meint der Katholik. Die Ausübung seines eigenen Glaubens habe sich zwar nicht verändert. Aber er habe auch hier viel gelernt, gerade über den Vatikan.
Seine Beschäftigung mit diesem Fachgebiet hat Philippi inzwischen den Ruf eines Experten eingebracht. Er bekomme verschiedenste Anfragen, etwa aus dem Bereich der Kunst, wenn es Fragen zu Kopfbedeckungen in einem Gemälde gebe. "Anfragen kommen auch von Modistinnen etwa am Theater, die sich für Maße oder historische Korrektheit interessieren." Seine Erkenntnisse fasste er nicht nur in dem Bildband "Sammlung Philippi" zusammen, der 2009 veröffentlicht wurde. Sondern veröffentlichte auch Fotos und detaillierte Beschreibungen auf seiner Internetseite.
Als Sammler von klerikalen Kopfbedeckungen bedauert Philippi es, dass immer weniger Geistliche in klerikaler Kleidung vor die Haustüre gehen. "Ich freue mich natürlich, wenn ich live und in freier Wildbahn kirchliche Würdenträger sehe, die Kopfbedeckungen tragen." Mit Soutane und Saturno vor die Haustüre – das sehe man in Rom durchaus, in Deutschland jedoch selten. Nicht gerade nach Philippis Geschmack: "Ich mag persönlich nicht unbedingt Priester, die sich als Laien verkleiden." Wenn man es nämlich genau nähme, sei der Priester 24 Stunden im Dienst. "Er sollte also auf der Straße auch für jeden erkennbar sein" – wozu nicht unbedingt ein Birett nötig sei, ein Römerkragen oder ein Kreuz am Revers reiche ja schon aus. Die traditionelle Kleidung gehört für ihn fest zur Kirche dazu, "es kommt eben auch kein Polizist und keine Stewardess im Trainingsanzug zum Dienst". Da sei er konservativ.
Seinen Teil für die Bewahrung dieser Tradition hat Philippi mit seiner Sammlung unzweifelhaft beigetragen. Nur einen Ausstellungsort hat Philippi bisher noch nicht gefunden. Bis dahin müssen die Birette und Mitren, Kippas und Scheitelkäppchen noch im Archivraum lagern. Selbst trägt Philippi übrigens gerne Hüte – wenn auch nicht die aus seiner Sammlung, zumindest nicht öffentlich: "Ich probiere die Kopfbedeckungen aus, so für mich." Aber damit zu posieren, findet er unpassend: "Es ist eine Sammlung und die dient nicht der Belustigung." Wenn jedoch einmal Besucher der Sammlung fragten, ob sie das ein oder andere Stück mal aufsetzen dürften, würde er nicht nein sagen.