Der Kaisermacher
Ob diese von Reiseführern hartnäckig behauptete Version stimmt, ist historisch umstritten. Allemal sicher ist, dass die Krönung des Frankenkönigs im Petersdom zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zu einem Eckdatum der europäischen Geschichte geworden ist. Ob Leo III. (795-816) den Franken tatsächlich mit der Proklamation und dem Aufsetzen der goldenen Krone überrascht hat, wie spätere Quellen glauben machen wollen, darf bezweifelt werden. Vermutlich war es ein abgesprochenes Ritual. Auf jeden Fall handelte es sich um ein Zeichen des Dankes und der Huldigung für jenen Herrscher aus dem Norden, der die westliche Hälfte Europas vereinigt hatte und von dem sich der römische Outsider Leo Schutz gegen seine Widersacher erhoffte, vor allem die Langobarden.
Mit der Krönung sollte das 476 untergegangene römische Kaisertum unter christlichen Vorzeichen wiederbelebt werden. Politisch sollten sich damit das Papsttum (und Italien) von der Vorherrschaft des übermächtig gewordenen Oströmischen Kaisers in Byzanz lösen. Zwar erhielt der Frankenherrscher durch die Kaiserkrone faktisch nicht mehr Macht - aber eine höhere moralische Autorität. Allerdings mischten sich, wie schon die Byzantiner, auch die christlichen Herrscher aus dem Norden schon bald verstärkt in innerkirchliche Belange ein.
Karl einte die Kulturen
Karl der Große habe die "großartige Synthese" zwischen der klassischen römischen Antike und den Kulturen der germanischen und keltischen Völker geschaffen, würdigte Papst Johannes Paul II. (1978-2005) zum 1.200. Jahrestag der Kaiserkrönung. Die Gestalt Karls des Großen rufe die christlichen Ursprünge Europas neu in Erinnerung. Denn "erst durch die Annahme des christlichen Glaubens" sei "Europa ein Kontinent" geworden, so der Papst aus Polen.
Papst Leo III. lebte nach dieser historischen Geste, die auch sein politisches Überleben sicherte, noch 16 Jahre. Doch der in Rom ohne Hausmacht agierende Outsider aus Süditalien, gegen stadtrömische Vorbehalte Papst geworden, blieb auch nach seiner kühnen Inszenierung zum Weihnachtsfest 800 abhängig von der karolingischen Gunst. Karl der Große seinerseits schien wenig erpicht auf weitere Symbolhandlungen: Für die Erhebung seines Sohnes Ludwig (des Frommen) zum Mitkaiser 813 jedenfalls brauchte er keinen päpstlichen Beistand.
Ein gönnerhafter Pontifex
Und auch in den theologischen Diskussionen der Zeit zog der Papst in Rom gegen den Kaiser in Aachen regelmäßig den Kürzeren. Mit seinem Hoftheologen Alkuin (735-804) hatte Karl die reichsweit überlegene Kraft am Start. Andererseits ermöglichte die materielle Großzügigkeit Karls des Großen gegenüber Rom dem Papst seinerseits, großzügig gegenüber den Kirchen der westlichen Christenheit auftreten zu können. Leo III. konnte sich als "der Schenker" präsentieren. In Rom selbst ließ er zahlreiche Kirchen neu errichten oder prächtig ausstatten. Ein echtes historisches Profil ergibt sich freilich nicht.
Nachdem Karl im Januar 814 starb, hätte Leo freier agieren können. Doch der damals 64-Jährige, taktisch versiert wie er war, überschätzte und überzog seine Möglichkeiten nicht, zumal er sich nach dem Verlust seines Schutzherrn bald einer weiteren Verschwörung zu erwehren hatte. Er führte sogar höchstpersönlich ein Verfahren wegen Hochverrats - was Karl der Große wohl niemals zugelassen hätte - und verurteilte zahlreiche Angeklagte zum Tod. Den fränkischen Hof konnte er mit schriftlichen Erklärungen beschwichtigen.
Leo III. starb am 12. Juni 816, ein harter Regent und geschickter Verwalter. Dass er 1673 in den Heiligenkalender der Kirche aufgenommen wurde, verdankt er einer gewissen Milde im Prozess: Das dafür nötige Wunder bestand darin, dass seine Augen und seine Zunge nach einem Mordkomplott wieder geheilt worden seien.