Der letzte Dinosaurier will nicht gehen
Kylian Mbappé ist in diesen Tagen der Star in Frankreich. Am Sonntag holte der gerade einmal 19-jährige Stürmer mit den "Bleus" den WM-Titel. Aufgewachsen ist Mbappé in einer Pariser Banlieue, sein Vater stammt aus Kamerun. Dort gibt es in diesen Tagen allerdings wenig zu feiern. Wie Mbappé sind über die Hälfte der Menschen in Kamerun unter 20 Jahre alt. Demgegenüber steht Präsident Paul Biya mit 85 Jahren. Er regiert das Land seit nunmehr 36 Jahren und ist damit einer der am längsten amtierenden Präsidenten Afrikas. Am 7. Oktober will sich Biya erneut zur Wahl aufstellen lassen.
Doch im Land spitzt sich der Konflikt zwischen der Zentralregierung und den beiden englischsprachigen Regionen Nordwest und Südwest immer weiter zu. Dörfer werden niedergebrannt, Menschen getötet oder vertrieben, mehr als 21.000 Kameruner sind aus dem englischsprachigen Teil Kameruns nach Nigeria geflohen, rund 160.000 sind Binnenvertriebene.
In Kamerun gibt es seit der Unabhängigkeit zwei anglophone Regionen, die das britische Rechtssystem und Englisch als Verkehrssprache beibehalten haben. Nominell sind die englischsprachigen und französischsprachigen Regionen in Sprache, Kultur und Verfassung gleichberechtigt. Doch spätestens seit der Machtübernahme durch Präsident Paul Biya 1982 fühlt sich die englischsprachige Minderheit in Kamerun diskriminiert.
Die anglophone Minderheit begehrt auf
Als dann die zentralistische Regierung begann, vermehrt ausschließlich französisch sprechende Richter und Lehrer in den anglophonen Regionen einzusetzen, riss der Geduldsfaden der Minderheit: Richter und Lehrer begannen im November 2016 zu streiken, Schulen blieben geschlossen. Demonstranten wurden verhaftet, es gab Verletzte und Tote – obendrein sperrte die Regierung im englischsprachigen Teil monatelang das Internet. "Der Präsident hat überhaupt keine Dialogbereitschaft gezeigt, er hat von vorne herein nur militärisch agiert", erklärt der Misereor-Länderreferent für Kamerun, Frank Wiegandt. Das Militär habe massive Menschenrechtsverletzungen begangen. Ganze Dörfer seien ausradiert worden, nur weil man Widerstandskämpfer in ihnen gesichtet habe. "Die Menschen mussten flüchten oder kamen um", erklärt Wiegandt.
Von da an geriet die Situation außer Kontrolle. Im englischsprachigen Teil kämpft mittlerweile eine Vielzahl an Milizen mit der Waffe für eine Abspaltung von Kamerun und die Gründung einer unabhängigen Republik "Ambazonien". Der Präsident bezeichnet die Rebellen als Terroristen und geht entsprechend auch gegen sie vor. Dabei kann er auf umfassende militärische Vollmachten zurückgreifen, die er im Zuge des Kampfes gegen die radikal-islamistische Sekte Boko Haram im Norden des Landes hat. "Das Regime Biya ist eigentlich am Ende und kämpft ums Überleben und tut das über Militäreinsätze im anglophonen Raum", resümiert Wiegandt, der selbst drei Jahre in Kamerun gelebt hat.
Die Kirche versucht in dieser angespannten Situation zu vermitteln. Im Dezember 2016 richteten die anglophonen Bischöfe ein Memorandum an Staatspräsident Paul Biya. Mit dem Schreiben versuchten sie, Lösungen des Konflikts aufzuzeigen. Zu den genannten Punkten gehören die Anerkennung des "anglophonen Problems" in der Republik Kamerun, der Abzug der Regierungstruppen aus den englischsprachigen Regionen und Städten, das Unterlassen von willkürlicher Gewalt und Inhaftierungen sowie die Bereitschaft aller Seiten zu einem konstruktiven Dialog.
"Die Kirche muss sich neutral verhalten, um für die Regierung als Vermittlerin infrage zu kommen", erklärt Frank Wiegandt. "Natürlich gibt es Bischöfe, die dem Regime gegenüber sehr kritisch auftreten; andere sind eher regimetreu." Die anglophonen Bischöfe haben sich bereits mehrfach geäußert und den Präsidenten in die Hauptstadt der Nordwest-Region, Bamenda, eingeladen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. "Das hat er nie getan."
Überhaupt sei der Präsident viel abwesend, weiß Frank Wiegandt. Er lebe mehrere Monate im Jahr in Genf, gelegentlich auch in Baden-Baden. "Dort wird er dann fit gemacht, kann sich ausruhen. Ihm ist es in 37 Jahren nicht gelungen, in Kamerun ähnliche funktionierende Strukturen zu schaffen für Gesundheit oder Bildung. Seine Kinder hat er auf ein Internat in die Schweiz geschickt", erklärt Wiegandt.
Die deutsche Kirche versucht zu helfen
Dass die Menschen im englischsprachigen Teil Kameruns in dem Konflikt auf sich alleine gestellt sind, lernte Anfang Mai auch eine Delegation des Bistums Limburg bei einer Reise in das Partnerbistum Kumbo im Nordwesten des Landes. "Die Menschen haben einfach Angst", erklärt Vanessa Treike, Referentin in der Abteilung Weltkirche des Bistums, nach der Rückkehr der Delegation. "Sie haben Angst, dass ihre Dörfer überfallen und sie bedroht werden – sowohl von Regierungstruppen als auch von Rebellen der sogenannten Ambazonian Defence Force." Beide Seiten seien sehr gewaltbereit und brennten Dörfer nieder. "Ein Problem in der Bevölkerung ist es auch, dass die Menschen sich gegenseitig diffamieren. Dann heißt es: 'Die auf der anderen Straßenseite haben für die Ambazonian Fighters gekocht.' Keiner traut dem anderen mehr über den Weg."
Limburg unterhält seit mehr als 30 Jahren eine Partnerschaft mit dem Bistum Kumbo. Im Juni kündigte die Diözese an, gemeinsam mit dem Diözesancaritasverband Limburg Flüchtlinge im Westen Kameruns mit 50.000 Euro zu unterstützen. Das Geld wird Partnern via Caritas International für die Soforthilfe in der Region zur Verfügung gestellt.
Jene Kameruner, die bereits in Europa oder den USA leben, unterstützen oft die Idee der Unabhängigkeit der englischsprachigen Regionen – "zum Teil auch mit Geld und Waffen", weiß Treike. "Die Bischöfe im anglophonen Teil haben auch Kontakt mit diesen Diaspora-Kamerunern. Sie versuchen ihnen deutlich zu machen, dass die komplizierte Konfliktlage in Kamerun aus dem Ausland nur schwer einzuschätzen ist und dass eine Unterstützung der bewaffneten 'Amba-Bays', die für einen unabhängigen Staat kämpfen, die Lage vor Ort nur noch weiter verschlimmert. Auch die Familien der Diaspora-Kameruner, die oftmals noch in der Heimat leben, sind betroffen von den Gewaltakten."
Aber auch im frankophonen Kamerun herrscht oft Unkenntnis über die Lage in den englischsprachigen Regionen. Das liege auch daran, dass die Krise in den nationalen französischsprachigen Medien in Kamerun nicht auftauche, so Treike. Und laut Präsident Biya gibt es nicht einmal eine Krise.
Vereinter Unmut über den Präsidenten
So sehr die beiden Teile des Landes im Zwist liegen, eint sie doch der Unmut gegenüber der Regierung. "Da gibt es eine Ungeduld und das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein. Die mehrheitlich jungen Kameruner orientieren sich an Vorbildern in Europa und den USA, etwa an Barack Obama oder auch an anderen afrikanischen Ländern, wo es einen Machtwechsel gegeben hat, wie in Burkina Faso, Mali und Ghana", so der Misereor-Referent Wiegandt. Die meisten Kameruner würden Veränderung, Reformen und auch eine Verjüngung der Staatselite wollen. "Das könnte auch jemand aus der Staatspartei sein, der anstelle des Präsidenten kandidiert. Jemand, der für die Jugendlichen akzeptabel ist, der für Öffnung, Demokratisierung und den effektiven Kampf gegen Korruption eintritt. Das wünschen sich frankophone wie anglophone Kameruner."
Doch ein Wahlsieg Biyas im Herbst gilt fast als sicher. Für seinen Wahlkampf werden die Staatsbeamten und Regierungsmitarbeiter freigestellt, um in ihren Dörfern für den Präsidenten zu werben. "Sie verteilen Geschenke, T-Shirts, laden die Leute zum Bier ein", erklärt Wiegandt. Zudem fehle eine echte Kontrolle der Wahlen. "Die angeblich unabhängige Wahlkommission in Kamerun wird von Menschen geleitet, die vom Präsidenten abhängig sind und auch von ihm nominiert und bezahlt werden."
Partnerportal Weltkirche
Dieser Text ist zuerst auf dem katholisch.de-Partnerportal Weltkirche erschienen.Ehrgeizige Konkurrenten aus den eigenen Reihen konnte Biya bislang erfolgreich aus dem Weg räumen – zur Not mit Diffamierungen und Vorwürfen der Korruption. Die Staatspartei jedenfalls will sich mit dem Wahlsieg Biyas im Herbst weitere sieben Jahre Regierungszeit sichern. Ob der alte Präsident in diesem Zeitraum abtreten muss, entscheiden nicht die Kameruner, sondern die Partei.
Frankreich hält zum alten Verbündeten
Dass ausgerechnet die ehemalige Kolonialmacht Frankreich Paul Biya noch immer unterstützt, hat auch geopolitische Gründe. Frankreich braucht diesen Partner in Kamerun, um Zugang zu Erdöl und anderen Ressourcen sicherstellen zu können. Das Land will auch den Einfluss in der Region wahren im Sinne der Frankophonie. "Biya ist einer der letzten Patrone der Verbindung zwischen Frankreich und Afrika. Früher waren es auch der Präsident von Gabun, Omar Bongo, oder Félix Houphouët-Boigny von der Elfenbeinküste. Der übriggebliebene 'Dinosaurier' aus diesem Zeitalter ist eben Biya", so Frank Wiegandt. Aus der europäischen Perspektive dürfte sich diese Unterstützung aber rächen: "Ich würde Biya als ersten Fluchthelfer im Lande bezeichnen", so Wiegandt. Dass immer mehr Kameruner in ihrer Verzweiflung in die Nachbarländer und nach Europa fliehen, liegt auch daran, dass Biya keine Reformen unternimmt und der Jugend keine Perspektiven bietet. Bleibt nur, von einer Karriere wie der von Frankreichs Nationalspieler Kylian Mbappé zu träumen.