Der neutrale Vermittler
Frage: Herr Sommeregger, bei der Annäherung zwischen Kuba und der USA soll Franziskus eine große Rolle gespielt haben. Wie kann ein Papst Einfluss auf die Politik nehmen?
Andreas Sommeregger: Mir fällt das katholische Netzwerk ein, das weltweit aktiv ist - auch auf Kuba. Da sind die katholischen Orden oder die Hilfsorganisationen, die humanitäre Hilfe leisten. Dann gibt es die päpstlichen Nuntiaturen – auch in Havanna –, die die katholischen Interessen wahren und Gesprächskontakte herstellen. Und es gibt die Sondergesandten, die vermitteln sollen. Wir kennen das zum Beispiel von der Auseinandersetzung zwischen Argentinien und Chile im sogenannten Beagle-Konflikt, in dem Kardinal Antonio Samorè die Verhandlungen übernahm. Der Heilige Stuhl kann außerdem durch seine Mitgliedschaften in internationalen Organisationen intervenieren. In diesem Fall hat sicher die Konferenz der Bischöfe Lateinamerikas – die CELAM – eine gewichtige Rolle gespielt.
Frage: Und warum sollten die Politiker nun auf die Kirche hören?
Sommeregger: Die Kirche ist als neutraler Vermittler seit Jahrhunderten weltweit geschätzt. Der Heilige Stuhl ist ein kompetenter Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung. Er bricht seine diplomatischen Gesprächskanäle nie ab. Das hat man zum Beispiel während des Ost-West-Konflikts gesehen. Wenn Staaten nicht mehr miteinander gesprochen haben, dann wurde "über Bande gespielt", also die Kirche als Vermittler eingesetzt. Dann gibt es Organisationen wie die Gemeinschaft Sant’Egidio, die politisch betrachtet als eine Art Außenministerium gehandelt wird. Sie können in Konflikten diskret agieren und vermitteln. Das ist zum Beispiel in Mosambik, in Kolumbien oder im Kosovo geschehen. Man nimmt diese Organisationen in internationalen Beziehungen nicht wahr. Sie sind aber da.
Frage: Wie kann der Papst selbst agieren?
Sommeregger: Indem er zum Beispiel selbst das entsprechende Land besucht. Als Papst Johannes Paul II. 1998 auf Kuba war, wurde das als Pilgerreise deklariert, obwohl es letztlich eine politische Reise war. Eine Hundertschaft von Journalisten hat ihn begleitet und das Elend auf Kuba in die Welt gesendet. Durch die Aufmerksamkeit war es dem Papst möglich, das Thema "Kuba" und die Embargo-Politik der USA auf die Tagesordnung zu setzen. Johannes Paul II. hat einerseits Fidel Castro von links kritisiert, indem er sagte: "Die Werte, die du mit deinem Kommunismus vermitteln willst, sind ja gut und schön, aber wo sind die Früchte?" Andererseits hat er dem US-Präsidenten Bill Clinton vor Augen geführt, wie die Menschen in Kuba leiden. Benedikt XVI. hat 2012 bei seinem Besuch übrigens auf ähnliche Weise gehandelt.
Reaktion: Kubas Bischöfe setzen Hoffnung auf Neuanfang mit USA
Die kubanischen Bischöfe hoffen, dass der Neubeginn in den diplomatischen Beziehungen Kubas mit den USA zu mehr materiellem und geistigen Wohlstand der kubanischen Bevölkerung beiträgt. In ihrer Stellungnahme wandten sie sich auch an Papst Franziskus.Frage: Wie schätzen Sie die offiziellen Ansprachen des Papstes ein?
Sommeregger: Seit Paul VI. ist das sonntägliche Angelus-Gebet ein neues Instrument. Da hat der Papst die Möglichkeit, auf aktuelle Entwicklungen Bezug zu nehmen. Das kann natürlich auch Kritik sein. Insgesamt können wir das unter dem Aspekt der "weltweiten Öffentlichkeit" des Papstes zusammenfassen, die natürlich durch das enorme Medieninteresse noch einmal wächst.
Frage: Der Papst empfängt aber auch regelmäßig Staatsoberhäupter im Vatikan…
Sommeregger: Das ist richtig. Die Regierungschefs geben sich dort die Klinke in die Hand. Von den Informationen, die der Papst dort erhält, kann er natürlich profitieren. Im März 2014 war US-Präsident Barack Obama im Vatikan. Bei diesem Treffen soll es wohl auch um Kuba gegangen sein. Was da genau besprochen wird, dringt natürlich nicht nach außen. Auch dafür wird der Vatikan geschätzt: Man versteht es dort zu schweigen. Nur deshalb sind solche Vorstöße überhaupt möglich.
Frage: Übt der Vatikan auch Druck auf Politiker aus?
Sommeregger: Das schließe ich nicht aus, aber er geht subtiler vor. Der Vatikan kann gut humanitäre Hilfe leisten. Wenn er sagt, dass er sein Engagement in einem Staat wie Kuba ausbauen könnte und dann die Möglichkeit dazu bekommt, dann profitieren davon auch die Kubaner – und letztlich auch Raúl Castro.
Frage: Jetzt ist unter Franziskus der Durchbruch auf Kuba gelungen. Was hat er anders gemacht als seine Vorgänger?
Sommeregger: Bereits Papst Johannes XXIII. hat während der Kuba-Krise vermittelt, auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben sich für die Menschen auf Kuba eingesetzt. Franziskus führt das päpstliche Engagement also fort. Er wirkt zunächst agiler, spontaner und kraftvoller, als es Benedikt XVI. getan hat. Er erinnert ein wenig an Johannes Paul II. zu Beginn seines Pontifikats. Dieses Auftreten sagt letztlich aber nur wenig über die tatsächlichen Initiativen aus. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass Franziskus als Lateinamerikaner in diesem Fall noch einmal einen anderen Ansatz gewählt hat. Im vergangenen Sommer soll er an Obama und Castro je einen Brief geschrieben haben, der Vatikan war dann Treffpunkt von Delegationen beider Länder mit dem Heiligen Stuhl als dritter Partei. Außerdem gibt es ja auch Beziehungen zwischen den Bischofskonferenzen von Argentinien und Kuba. Ich glaube aber, dass wir die Mühlen der päpstlichen Diplomatie hier nicht unterschätzen sollten, die einfach lange gemahlen haben. Diese Diplomatie steht für Kontinuität und Verlässlichkeit und ist der eigentliche Akteur.
Das Interview führte Björn Odendahl