"Der Winter steht vor der Tür"
Der 30-Jährige ist seit 2011 ehrenamtlich bei den Maltesern aktiv und heute in Steinhaus bei Fulda Ortsbeauftragter der Hilfsorganisation. Am 21. August bekam der Landkreis morgens die Information, dass er Flüchtlinge zugewiesen bekomme. Keine vier Stunden später begannen die Malteser zusammen mit dem Roten Kreuz, der freiwilligen Feuerwehr und dem Technischen Hilfswerk mit dem Aufbau der Zelte. "Die Zusammenarbeit war wunderbar. Es war toll zu sehen, wie die verschiedenen Hilfskräfte, die normalerweise alle für sich arbeiten, plötzlich zusammen nachgedacht und gearbeitet haben", zeigt sich Leitsch begeistert. Auch bei den Flüchtlingen, von denen die meisten äußerst anstrengende Wege hinter sich haben, kommt dieser Einsatz gut an. "Sie sind sehr erleichtert, dass sie hier sind und froh, dass und wie ihnen geholfen wird", freut sich der Malteser.
In der Freude des Angekommen-Seins, die zwei bis drei Tage anhalte, zeigten sich noch keine Traumatisierungen, sagt Leitsch. Anderes erfährt Dipali Dutta-Quaer in ihrem Aufgabenfeld. Die 41-Jährige arbeitet hauptamtlich und Vollzeit als Rettungsassistentin in einer Flüchtlingszeltstadt in Bensheim, südlich von Darmstadt. "Wenn man sie darauf anspricht, erzählen die Menschen von dem, was hinter ihnen liegt: Wochenlange unvorstellbar beschwerliche Fluchtwege, teilweise zu Fuß. Viele kamen über das Mittelmeer, andere über die Balkanroute", berichtet sie.
Manchmal zeugten Wunden und Narben von Unfällen auf der Flucht oder Folter in der Heimat. Mitunter könne man nur erahnen, was die Menschen durchgemacht haben: Etwa bei besonders zurückgezogenem oder ängstlichem Verhalten und einer großen Angst, nicht berücksichtigt zu werden. "Die Menschen haben seelische Narben", so die Rettungsassistentin. Für die medizinische Versorgung sind in Bensheim die Malteser zuständig, damit auch außerhalb der täglichen Arztsprechstunde eine medizinische Rundumversorgung gewährleistet ist. "Wir machen Termine für Fachärzte und geben Medikamente aus. Das wird rege in Anspruch genommen", berichtet Dutta-Quaer, die zuvor zwölf Jahre als Krankenschwester in der Anästhesie gearbeitet hat.
Trotz der schlimmen Erfahrungen der Menschen und der vielen verschiedenen Ethnien - Syrer, Albaner, Pakistani, Somalier, Eritreer, Afghanen sind vertreten - ist die Stimmung im Camp mit seinen rund 600 Bewohnern bisher harmonisch, berichtet Dutta-Quaer. "Die Leute sind einfach nur froh, einen sicheren Hafen zu haben", erklärt sie. Es ist ein Hafen, der sehr gut organisiert ist. Neben zwei Betreuungszelten, in denen die Kinder spielen können, gibt es eine Wäscherei, einen Friseur, Ärzte und - alles andere als selbstverständlich - eine Schule. "Im Unterricht geht es darum, den Kindern und Jugendlichen im Schulalter vor allem die deutsche Sprache beizubringen", sagt die Rettungsassistentin. Die Kurse werden von hauptamtlich eingestellten Lehrern und Sozialarbeitern erteilt. Für Erwachsene würden Deutschkurse bislang noch von Ehrenamtlichen organisiert, eine offizielle Regelung sei aber auch hier angedacht, fährt sie fort.
Es gebe dennoch zahlreiche Möglichkeiten für die erwachsenen Camp-Bewohner, sich zu betätigen und ihre Kenntnisse einzubringen, beispielsweise als Dolmetscher für Mitflüchtlinge, berichtet Dutta-Quaer. "Wir haben aber auch viele gut ausgebildete Menschen unter den Flüchtlingen. So engagieren sich beispielsweise Elektriker in der Logistik und im Unterhalt des Camps", sagt sie. Einige arbeiteten in der Wäscherei mit, andere setzten sich für die Infrastruktur in der Zeltstadt ein. "Die Reinigung organisieren die Flüchtlinge völlig selbständig. Zudem haben sie einen großen Platz hier in Eigenregie selbst geschottert. Dafür erhalten sie dann eine kleine finanzielle Zuwendung", so die Malteserin. Obwohl Ortsansässige das Camp nicht ohne weiteres betreten können, bemühen sich viele Bensheimer Bürger, über die Grenzen hinweg Begegnungen zu ermöglichen. "Es gibt einen lokalen Verein für eine gute Willkommenskultur. Jetzt im Herbst stehen beispielsweise Fußballturniere auf dem Plan, die Kontakte ermöglichen", erzählt die Malteserin. Von Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung gegenüber Flüchtlingen habe sie bislang in Bensheim noch nichts bemerkt.
Auch Sebastian Leitsch ist von der Unterstützung der Fuldaer Bürger besonders begeistert. "Es war wunderbar, wieviel Zuneigung die Menschen hier den Bewohnern der Zeltstadt entgegengebracht haben. Für die Kinder wurden uns direkt Spielsachen zur Verfügung gestellt", erzählt der 30-Jährige. Zudem sei die Zusammenarbeit mit der Stadt positiv verlaufen. "Viele der Camp-Bewohner haben von der Stadt bereitgestellte Stadtpläne in Anspruch genommen. So erfuhren sie, wo sie überhaupt gelandet sind, und konnten nach all den Strapazen etwas Schönes erleben", erzählt er. Für Leitsch selbst ist es sein christlicher Glaube, der ihn motiviert, sich in einer katholischen Organisation für die Hilfesuchenden zu engagieren. Schon als Jugendlicher war er bei den Maltesern aktiv, für die er bis heute mehrere Stunden in der Woche arbeitet. Er half zunächst beim Aufbau der Zelte mit und war dann als "Zugführer" verantwortlich für die Organisation der Bereiche Technik, Betreuung und Versorgung. "Meinen Glauben zu leben und dem Nächsten zu helfen, sind zwei Dinge, die für mich zusammengehören. So habe ich bei den Maltesern meine Heimat gefunden", erklärt er seinen Einsatz.
Einen anderen Zugang hat Dipali Dutta-Quaer. Der Vater der 41-Jährigen kam 1963 von Indien nach Deutschland. "Deshalb habe ich gerade zu den Pakistani oder Afghanen einen guten Draht. Ich habe viel Verständnis für ihre Mentalität", berichtet sie. "Und wir haben auch unsere gemeinsamen Lasten, die Pünktlichkeit ist so eine Sache", fügt sie lachend hinzu. Dutta-Quaer beschreibt ihre Arbeit einerseits als "wahnsinnig anstrengend", andererseits als "unwahrscheinliche Befriedigung". Täglich aufs Neue sei es nötig, sich innerlich von den Erlebnissen im Flüchtlingslager abzugrenzen, sagt sie. Ein eigenes Kriseninterventionsteam für Rettungsdienstmitarbeiter biete zum Beispiel Seelsorge an, berichtet sie. Zudem könnten Rettungssanitäter eine spezielle Ausbildung in psycho-sozialer Notfallversorgung absolvieren, fügt Leitsch hinzu. Dort könne man einerseits den Umgang mit traumatisierten Menschen erlernen, andererseits den Umgang mit dem eigenen Mitleiden. "Denn das Erlebte soll mich nicht in dem Maße weiter beschäftigen, dass ich schließlich meinen Dienst nicht mehr tun kann", erläutert der junge Mann.
Aktuell mangelt es in den Zeltstädten an nichts. Die Grundbedürfnisse sind gestillt. Die Außentemperaturen bewegen sich noch im Plusbereich. In den Zelten ist es dank der mit Diesel betriebenen Heizungen behaglich warm - 20 bis 25 Grad. Aber: "Der Winter steht vor der Tür", sagt Dipali Dutta-Quaer. "Die Leute brauchen unbedingt feste Wohnstätten." Sebastian Leitsch ist derselben Meinung: "Wir müssen dringend stabile wintertaugliche Unterkünfte schaffen, wie man es von Deutschland als einem reichen Land erwarten kann. Eine Zeltstadt kann nur ein Übergang sein." Doch vorerst ist noch keine Lösung in Aussicht. Im Gegenteil: Die Zeltstadt in Fulda ist mittlerweile voll belegt. Auch das Camp in Bensheim hat seine Aufnahmekapazitäten bereits ausgeschöpft. Hier ist noch nicht einmal Platz für weitere Schutzsuchende.