Der würdige Gottesdienst
Er möchte das "Sakrament der Sakramente", also die Eucharistie, wieder ins Zentrum rücken, betont Sarah zu Beginn des Gesprächs. Das ist erst einmal eine gute Idee und dringend nötig. Denn wer heutzutage einen normalen Sonntagsgottesdienst besucht, der merkt zumindest in unseren Breitengraden, dass der Stellenwert dieses Sakraments vielen Christen nicht mehr bewusst ist. Ob jedoch die aktuelle Kirchenkrise tatsächlich eine Folge dieser Krise der Eucharistie ist, wie Sarah behauptet, oder ob hier Ursache und Wirkung vertauscht werden, sei einmal dahingestellt.
Dennoch bleibt hängen, was der Kardinal sagt. Er formuliert martialisch: "Für die Christen ist die Eucharistie eine Frage von Leben und Tod!" Doch wo es um Leben und Tod geht, da müssten sich eben jene Christen ausnahmsweise einmal einig sein und zusammenstehen. Doch die Chance, das Einende der Eucharistie für alle Katholiken herauszustellen, vertut Kardinal Sarah. Stattdessen hagelt es Kritik für diejenigen, die den Gemeinschaftsgedanken ("communio") betonen. "Oft zelebriert der Priester nicht mehr die Liebe Christi durch sein Opfer, sondern eine Begegnung unter Freunden, ein Gemeinschaftsmahl, einen Moment brüderlichen Beisammenseins", sagt er. Aber schließt das eine denn das andere aus? Oder gehört nicht beides untrennbar zusammen?
Gegenüberstellung widersprüchlicher liturgischer Modelle?
Sarah betont dagegen fast ausschließlich den Opfergedanken der Liturgie, die Gott wohlgefällige Darbringung der Gaben, die Stille und Anbetung. Das führt dazu, dass sich das Interview des Kardinals wie eine Gegenüberstellung zweier scheinbar widersprüchlicher liturgischer Modelle liest: auf der einen Seite die würdige und andächtige Zelebration "ad orientem", bei der Priester und Gläubige sich gemeinsam Richtung Osten wenden. Und auf der anderen Seite eine bunte und ausgelassene "Theatervorstellung", die der Priester mit dem Gesicht zum Volk ("versus populum") feiert und bei der er sich viel mehr selbst inszeniert als Gott.
Zunächst zum "ad orientem": Wie der Kardinal richtig betont, ist diese Art und Weise, den Gottesdienst zu feiern, vom Zweiten Vatikanischen Konzil weder abgeschafft noch verboten worden. Und es lassen sich durchaus Gründe finden, die für diese Form der Liturgie sprechen. Der Priester kann sich zurücknehmen. Er ist "primus inter pares" ("Erster unter Gleichen") bei der Anbetung Gottes. Gemeinsam richtet man sich nach Osten, zur aufgehenden Sonne aus, die ein Symbol für den auferstandenen Christus ist. Zeichenhaft wird hier deutlich, dass sich die Gemeinde nicht selbst genügt, sondern als pilgerndes Volk Gottes unterwegs ist zum Herrn. "Es geht darum, sich gemeinsam zur Apsis zu wenden, die den Osten symbolisiert, wo das Kreuz des auferstandenen Herrn thront", formuliert es Sarah.
Dennoch darf man auch die Schattenseiten dieser Form der Zelebration aufzeigen. Zu sehr sind die Bilder des vorkonziliaren Messritus noch in den Köpfen der Menschen verankert, die einen Priester sehen, der ihnen den Rücken zukehrt und scheinbar ein Zwiegespräch mit Gott führt. Ja, es geht in der Heiligen Messe um Gott, um den Opfertod seines Sohnes und die Anbetung. Es geht aber auch um die innigste Gemeinschaft mit ihm, von der sich das Volk Gottes nicht ausgeschlossen fühlen sollte.
Kardinal Sarah weist zurecht darauf hin, dass "mit dem Rücken oder mit dem Gesicht zum Volk hin zu zelebrieren" nicht die entscheidende Frage ist. Denn es geht in der Tat nicht um eine Degradierung des Gottesvolkes durch einen abgewandten Priester, wie einige "katholische Alt-68er" es nur allzu gerne auch heute noch postulieren. Wenn Sarah allerdings Verständnis für das "ad orientem" einfordert, gilt das genauso für das Feiern der Messe mit dem Gesicht zum Volk.
Denn die Formulierung "versus populum" täuscht darüber hinweg, dass aus theologischer Perspektive gar nicht von einem Gegenüber von Priestern und Gläubigen gesprochen werden kann und darf. Vielmehr geht es darum, dass sich die gesamte Gemeinde um den Altar versammelt, der ebenso wie das Kreuz Christussymbol ist. Die Theologen nennen dieses Konzept "circumstantes", die Umstehenden. Auch hier kann sich der Priester – zumindest theoretisch – zurücknehmen und "primus inter pares" sein. Denn wo die Gemeinde im Kreis steht, da gibt es keinen Anfang und kein Ende, keinen Ersten und keinen Letzten. Ein wunderschönes Symbol.
Ein architektonisches Problem
Auch hier kann man natürlich kritisch hinterfragen, ob die Theorie nicht in vielen Fällen von der Praxis eingeholt wird. Denn nur in einem Bruchteil der katholischen Kirchen ist es überhaupt möglich, sich in der beschriebenen Weise um den Altar zu versammeln. Funktioniert das nicht, besteht die Gefahr, dass der Priester tatsächlich in die Rolle eines Alleinunterhalters rutscht. Das ist dann jedoch eher ein architektonisches als ein theologisches Problem.
Wer dieser Form der Zelebration allerdings unterstellt, die Gemeinde würde mehr um sich selbst als um Gott kreisen, wie man es zuweilen hört, der widerspricht gleich zwei katholischen Dogmen: nämlich dem der Transsubstantiation und der Realpräsenz Christi. Gott ist nach der Wandlung wirklich unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig. Wenn der Priester und die Gläubigen also gemeinsam um den Altar stehen, dann erfüllt sich auch der Wunsch von Kardinal Sarah, der sagt: "Wir müssen damit beginnen, Gott wieder in die Mitte der Liturgie zu rücken."