Jesuit Zollner sieht Fortschritte im Kampf gegen sexuellen Missbrauch

"Die Bischöfe sind aktiver geworden"

Veröffentlicht am 19.10.2016 um 14:00 Uhr – Lesedauer: 
"Die Bischöfe sind aktiver geworden"
Bild: © KNA
Vatikan

Rom ‐ Franziskus hat verfügt, dass Bischöfe für die Vertuschung sexuellen Missbrauchs leichter belangt werden können. Die neue Regelung habe aber auch einen Nachteil, berichtet Hans Zollner von der päpstlichen Kinderschutzkommission.

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Der Jesuit Hans Zollner (50) leitet das Kinderschutzzentrum an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und ist einer der renommiertesten Fachleute für die Prävention von sexuellem Missbrauch. Im Interview spricht das Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission über einen Mentalitätswandel unter Bischöfen und über die Zukunft der Kommission.

Frage: Papst Franziskus hat im Juni ein neues Gesetz erlassen. Danach können nun auch jene Bischöfe kirchenrechtlich belangt werden, die einem Verdacht auf sexuellem Missbrauch in ihrem Bistum nicht ausreichend nachgehen. Ist das aus Sicht der päpstlichen Kinderschutzkommission ausreichend?

Hans Zollner: Im Endeffekt ist dieses sogenannte Motu Proprio das, was die Kommission wollte. Die neue Gesetzesgrundlage geht in einem Punkt sogar über unseren Vorschlag hinaus. So betrifft sie nicht nur die Ortsbischöfe, sondern auch die höheren Ordensoberen - diese waren bisher nicht ausdrücklich erwähnt worden. Entscheidend ist, dass Bischöfe, Provinziale und Generalobere nun auch wegen Vernachlässigung ihrer Amtspflichten und Missachtung ihrer Sorgfaltspflicht kirchenrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Dahinter steht die Auffassung, dass Obere im juristischen Sinne eine Mitverantwortung für das Handeln ihrer Untergebenen haben. Im angelsächsischen Raum wurde diese seit langem gefordert.

Franziskus an einem Ambo im Petersdom
Bild: ©picture alliance/Stefano Spaziani

Nach einem Erlass von Papst Franziskus vom Juni können nun auch jene Bischöfe kirchenrechtlich belangt werden, die einem Verdacht auf sexuellem Missbrauch in ihrem Bistum nicht ausreichend nachgehen.

Frage: Befürchten sie nicht, dass mit solchen "weichen Kriterien" Diffamierungen unliebsamer Bischöfe Tür und Tor geöffnet werden könnten?

Zollner: Diese Befürchtung ist nicht unberechtigt. Derzeit lässt sich allerdings noch nicht sagen, wie häufig solche Fälle vorkommen. Anschuldigungen können auch den Falschen treffen. Wie bei jeder Anklage hat der Beschuldigte aber auch hier die Möglichkeit, sich juristisch zur Wehr zu setzen. Es ist klar, dass der Name des Betroffenen in der Öffentlichkeit dadurch irreparablen Schaden erleidet. Doch das lässt sich auch bei diesen Fällen nicht vermeiden.

Frage: Was kann man sich unter einer Vernachlässigung der Amtspflichten vorstellen? Wie werden die neuen Regelungen angewendet?

Zollner: Der Erlass ist Anfang September offiziell in Kraft getreten. Konkrete Ausführungsbestimmungen fehlen bislang. Deshalb ist manches noch unklar. Doch eines lässt sich jetzt schon sagen: Die Botschaft ist bei den Bischöfen angekommen. Verdachtsfälle werden nun rascher weitergemeldet. Offenbar sind die Bischöfe durch diese Maßnahme aktiver geworden.

Frage: Wer legt die Ausführungsbestimmungen fest?

Zollner: Papst Franziskus hat vier Behörden, die im Vatikan für Bischöfe und höhere Ordensobere zuständig sind. Außer der Bischofskongregation sind dies die Ostkirchen- und die Ordenskongregation sowie die Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Er hat sie aufgefordert, entsprechende Kriterien für ihren Bereich zu erarbeiten. Das hat gegenüber einer detaillierten Handlungsanweisung von oben den Vorteil, dass die Mitarbeiter einbezogen sind und sich eigene Gedanken zum Thema und zum Vorgehen machen müssen. Die Einheitlichkeit soll eine eigene Beraterkommission des Papstes gewährleisten. Ihre Zusammensetzung steht allerdings bislang noch nicht fest.

Frage: Die päpstliche Kinderschutzkommission ist von Franziskus 2014 zunächst auf drei Jahre zur Probe eingesetzt worden. Diese Probezeit endet im Dezember 2017. Wie geht es weiter?

Zollner: Das Thema sexueller Missbrauch wird die katholische Kirche noch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten begleiten. Von daher wird es sicher auch weiter eine Institution geben, die sich damit auf Weltebene befasst. Offen ist derzeit allerdings noch, in welcher Form dies geschehen wird.

Themenseite: Missbrauch

Der Missbrauchsskandal erschütterte die katholische Kirche in ihren Grundfesten. Seit 2010 die ersten Fälle bekannt wurden, bemüht sich die Kirche um Aufarbeitung der Geschehnisse. Katholisch.de dokumentiert die wichtigsten Etappen.

Frage: Sie sind auch Leiter des Kinderschutzzentrums an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Ist seine Zukunft gesichert?

Zollner: Das Kinderschutzzentrum ist auf Spenden von kirchlichen Institutionen und Privatleuten angewiesen, weil unsere Fortbildungen zur Missbrauchsprävention vor allem auf jene Länder der Südhalbkugel ausgerichtet sind, in denen wir kein Geld dafür verlangen können. Unser größter Geldgeber ist seit Jahren das Erzbistum München und Freising. Hinzu kommen das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und weitere Spender. Derzeit beläuft sich unser Jahresbudget auf rund 500.000 Euro. Wir brauchen künftig 300.000 bis 400.000 Euro zusätzlich, um der schnell wachsenden Nachfrage weltweit angemessen nachkommen zu können.

Frage: Medien berichteten vom angeblichen Rücktritt eines Mitglieds aus der Kinderschutzkommission. Unzufriedenheit mit der Arbeit des Gremiums soll der Grund gewesen sein. Stimmt das?

Zollner: Dieses Mitglied hat im Juni auf eigenen Wunsch den Papst um Entpflichtung ersucht. Das geschah aufgrund der großen Arbeitsbelastung in der Hauptberufstätigkeit und den familiären Verpflichtungen und hat nichts mit Unzufriedenheit mit der Arbeit des Gremiums zu tun.

Von Thomas Jansen (KNA)

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