Die einzige Kirche Afghanistans
Seit 2002 gibt es in Kabul die "Mission sui juris Afghanistan", die direkt dem Papst unterstellt ist. Ihr Sitz ist in der italienischen Botschaft – und Giovanni Scalese ist seit zwei Jahren ihr Apostolischer Superior. Der Barnabitenpater berichtet im Interview mit katholisch.de über seine Arbeit. Die kleine katholische Gemeinde muss mit der Terrorgefahr im Land leben – aber einen Lichtblick gab es im "Heiligen Jahr der Barmherzigkeit".
Frage: Pater Scalese, in der italienischen Botschaft in Kabul gibt es die einzige katholische Kapelle Afghanistans. Wie setzt sich die katholische Gemeinde im Land zusammen und wie viele Gläubige gibt es?
Scalese: Die katholische Gemeinde in Afghanistan ist sehr international: Die Gläubigen kommen aus verschiedenen Ländern der ganzen Welt. Aus kirchenrechtlicher Sicht können wir von einer "ecclesia advenarum", einer "Kirche der Zugezogenen sprechen". Die einzigen "incolae" (Einwohner) der Mission sind die Ordensleute, also die einzigen, die hier dauerhaft leben. Die Laien gehören meistens zu internationalen Organisationen wie der UN und sind nur eine Zeitlang in Afghanistan. Es gibt hier eine Jesuitenkommunität neben den drei Frauengemeinschaften: der "Kleinen Schwestern von Jesus", der Mutter-Teresa-Schwestern und der "Pro Bambini Kabul", einer Kommunität, die sich aus Frauen unterschiedlicher Orden zusammensetzt.
Es ist schwer, die Zahl der Gemeindemitglieder genau zu nennen. Es gibt sicher viele Katholiken im Land, vielleicht Tausende, aber nur ein kleiner Teil von ihnen praktiziert den Glauben. Und auch diesen ist es nicht immer möglich, in die Kirche zu kommen.
Frage: Warum nicht?
Scalese: Erstens ist der Sonntag hier ein Werktag. Zudem können die Leute aus Sicherheitsgründen nicht ihre Häuser verlassen und manchmal sind sie auf Dienstreisen in anderen Landesteilen oder auf Urlaub und so weiter. Die Teilnahme an den Sonntagsgottesdiensten schwankt zwischen 30 und 50 Gläubigen. Soldaten haben normalerweise ihre eigenen Kapläne, nichtsdestotrotz gehe ich jeden Sonntag auch in die Nato-Basis und feiere die Messe auf italienisch mit unseren Truppen.
Frage: Afghanistan ist ein muslimisches Land, die Abwerbung (Proselytismus) zum Christentum ist verboten und Berichte über Konvertiten sorgen für gewalttätige Proteste. Gibt es dennoch einheimische Katholiken im Land?
Scalese: Nein, anders als in anderen muslimischen Ländern gibt es in Afghanistan keine christliche Minderheit. Die einzigen religiösen Minderheiten sind Buddhisten und Sikhs, die weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. In den ersten Jahrhunderten nach Christus erreichten zwar die Nestorianer auch Afghanistan, aber nach der muslimischen Eroberung verschwanden sie völlig.
Ich habe den Eindruck, dass die Einheimischen sich zuerst als Afghanen verstehen und erst dann als Muslime. Sie sind sich ihrer Identität und Geschichte als Volk sehr bewusst und auch Stolz darauf, ungeachtet der Religion. Was die Afghanen mit den Persern (Sprache und Kalender) und den Indern (Bräuche) gemeinsam haben, ist mehr als das, was sie mit den Arabern teilen, also die Religion. Das Bild von den Afghanen als ein Volk von Fundamentalisten hat nichts mit der Realität zu tun. Bevor die Mudschahedin und die Taliban die Macht übernahmen, war Afghanistan ein säkularer Staat. Fanatismus gehört nicht zu dieser Kultur.
Frage: Wie feiert die Gemeinde ihren Glauben? Welche Angebote gibt es neben der Messe am Sonntag?
Scalese: Leider erlaubt die besondere Situation, in der wir Leben, keine anderen pastoralen Aktivitäten. Sicherheitsaspekte schränken die Bewegungsfreiheit sehr ein. Sogar der Zugang zur Botschaft außerhalb der Arbeitszeiten ist schwierig. Also müssen wir uns mit den Sonntagsmessen zufrieden geben. Zwar wird hier täglich eine Messe gefeiert, aber während der Woche nehmen nur die Schwestern teil. Aber natürlich versucht jeder, seinen Glauben da zu bezeugen, wo er lebt und das so gut, wie er kann.
Frage: Welche anderen christlichen Gemeinschaften gibt es noch in Afghanistan und gibt es mit ihnen gemeinsame ökumenische Aktivitäten?
Scalese: Es gibt keine speziellen ökumenischen Aktivitäten. Ich weiß, dass es einige andere christliche Konfessionen gibt, aber wir haben keine Verbindungen untereinander. In Kabul gibt es aber eine kleine evangelische Bruderschaft aus Deutschland, mit der wir in Gemeinschaft stehen. Sie nehmen regelmäßig an unseren Sonntagsgottesdiensten teil.
Frage: Kabul ist ständig Ziel von Anschlägen. Genießen Sie als hoher christlicher Repräsentant besonderen Schutz oder wie gehen Sie sonst mit der Terrorgefahr um?
Scalese: Ich habe keine Bodyguards. Natürlich kann ich mich aber nicht einfach frei bewegen. Wenn ich in die NATO-Militärbasis gehe, werde ich von Soldaten abgeholt und zurückgebracht. Wenn ich an gefährliche Orte muss, dann benutze ich die gepanzerten Fahrzeuge der Botschaft. Es ist wahr, dass man trotz des Terrors lernt, zusammenzuleben, aber auf jeden Fall braucht es viel Vorsicht und Besonnenheit. Das Leben innerhalb der Botschaft ist natürlich sehr sicher.
Frage: Im "Jahr der Barmherzigkeit" ist die Tür zu der Kapelle eine Heilige Pforte. Wie sind die Reaktionen darauf? Und welche Rolle spielt die Barmherzigkeit für Katholiken in Afghanistan?
Scalese: Die Reaktionen waren aus naheliegenden Gründen positiv: Denn die Heilige Pforte bedeutet, dass jeder Katholik, sogar in Afghanistan, den Jubiläumsablass erhalten kann. Als uns an Maria Himmelfahrt der kasachische Erzbischof Tomasz Peta besuchte, war er sehr bewegt als er an der Türschwelle stand. Die Barmherzigkeit in unserem Lebensalltag zu leben und zu bezeugen, ist eine große Verantwortung für jeden von uns.