Die Jesuiten und der BMW-Konzern
Für Maximilian Schöberl ist das keine Frage: "Natürlich können wir als Autobauer etwas von den Jesuiten lernen." Der Bereichsleiter Kommunikation und Politik von BMW hat gemeinsam mit der Münchner Hochschule für Philosophie der Jesuiten den Ausbildungskurs "Leadership und Persönlichkeit" entwickelt.
Rund 50 seiner Kollegen aus der obersten Führungsriege des Münchner Autobauers nehmen daran teil. "Ein Ingenieur neigt dazu, alles ingenieurmäßig zu lösen, also auf sehr nüchterne Art", sagt Schöberl. "Aber ob er dabei den richtigen Ton trifft, die richtige Entscheidung, und das Herz bei der Sache hat, dahinter würde ich ein Fragezeichen setzen."
Deshalb geht es in drei Kurs-Modulen um eine Ethik von Entscheiden und Führen, um Macht und Spannung, um Vertrauen und Authentizität. "Die Persönlichkeitsbildung steht im Vordergrund", erklärt BMW-Bereichsleiter Schöberl. "Wir wollen das beste Produkt bieten, und deshalb müssen wir auch im Bereich Führung Spitze sein."
Prinzipien aus dem 16. Jahrhundert
Dass sein Unternehmen dabei eine ungewöhnliche Allianz mit dem Jesuitenorden eingeht, kommt nicht von ungefähr. Die Kerngedanken des Seminars gehen zurück auf den Gründer der Jesuiten, Ignatius von Loyola . Der schrieb im 16. Jahrhundert: Der Leiter des Ordens solle Spiegel und Vorbild sein, wachsam und sorgfältig. Überdies solle er mit großem Verstand und Urteil begabt sein, um die verschiedenen Geister zu unterscheiden.
Dieses Prinzip guter Führung entwickelten die Jesuiten über Jahrhunderte weiter und übertragen es heute auf Spitzenkräfte in Wirtschaftsunternehmen. "Sie müssen eine Orientierung für ihr eigenes Leben haben, die hinausgeht über bloßen Profit und Eigennutzen", sagt Jesuit Michael Bordt. Er ist Vorstand des Instituts für Philosophie und Leadership, das die Hochschule für Philosophie vor einiger Zeit ins Leben gerufen hat.
Neben Fortbildungsseminaren für Spitzenkräfte wird dort auch über Fragen von Führungsethik geforscht. Mitarbeiter in leitender Position müssen heute große Spannungen aushalten, sie stehen permanent unter Druck: Aktionäre fordern Wachstum, Mitarbeiter wünschen sich flexible Arbeitszeiten, daneben gilt es, die Konkurrenz im Blick zu behalten. Wegweisende Entscheidungen werden in Vorstandsrunden oft emotional getroffen, nicht immer zum Vorteil des Unternehmens.
Deshalb vermittelt Professor Bordt in seinen Seminaren eine Methode des Ordensgründers: "Ignatius stellt sich das so vor, dass sich die Teilnehmer einer solchen Diskussion zunächst um Indifferenz bemühen."
Das bedeutet, dass zunächst jeder seine eigene Position zurückstellt und alle Gründe findet, die für eine Entscheidung sprechen. Anschließend werden gemeinsam alle Argumente gesucht, die dagegen sprechen.
Mutig, weise und klug
An diesem Prozess beteiligen sich alle Mitglieder einer Runde – ohne Rücksicht auf das eigene Urteil. "Am Ende hat man Gründe und Gegengründe, und die können neu abgewogen werden", sagt Michael Bordt. Ein Prinzip, das auch den Bereichsleitern von BMW einleuchtet: "Die Akzeptanz des Kurses unter unseren Mitarbeitern liegt bei über 90 Prozent, das ist ein sehr gutes Ergebnis", so Maximilian Schöberl.
In den Workshops der Jesuiten fließen die ignatianischen Prinzipien immer wieder mit ein: "Der Oberste im Jesuitenorden soll laut Ignatius ein Beispiel an Tugenden für alle sein", erläutert Professor Bordt. "Gemeint ist damit, dass er gerecht ist, selbstbeherrscht, mutig, weise – also klug – handelt. Und das sind tatsächlich Eigenschaften, die auch heute für eine Führungskraft wichtig sind." Nur wer als leitende Persönlichkeit einen klaren, reflektierten Standpunkt habe, könne seine Mitarbeiter überzeugen und motivieren.
Natürlich müssen die Jesuiten für ihre Nähe zur Wirtschaftselite auch Kritik einstecken. Unternehmen dabei unterstützen, dass sie noch erfolgreicher am Markt agieren, das sei doch nun wirklich nicht Aufgabe eines katholischen Ordens. Michael Bordt widerspricht: "Das Thema Qualität von Führungskräften ist unglaublich virulent heutzutage – nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Politik und Kirche."
Deutscher Jesuiten-Chef: In Rom dürfte sich etwas ändern
Mit Blick auf den innerkirchlichen Reformstau und Konflikte verschiedener Lager könnte der erste Jesuit an der Spitze der katholischen Kirche also gerade zum richtigen Zeitpunkt kommen.
Papst Franziskus war von 1973 bis 1979 selbst Provinzial der Jesuiten in Argentinien. Das Führungsprinzip des Ignatius dürfte er also bestens kennen und könnte es nun in der Praxis anwenden, etwa bei der angekündigten Reform der Kurie.
Und auch mit Blick auf den römischen Zentralismus dürfte sich etwas ändern, vermutet Stefan Kiechle, Leiter der deutschen Provinz der Jesuiten: "Bei uns im Orden gibt der Obere zwar die Ziele vor, aber in der Wahl der Mittel lässt man sehr viel Freiheit." Mit Blick auf die Weltkirche könnte der neue Papst den nationalen Bischofskonferenzen also mehr Freiheiten einräumen.
Sogar was die Frage nach einer Art Frauenquote in kirchlichen Spitzenämtern angeht, sieht Kiechle neue Spielräume: "Natürlich sind höhere Ämter wie die des Bischofs Priestern vorbehalten – dass sich da mal was bewegt, ist für mich nicht unvorstellbar."
Genauso, wie es für die Ingenieure von BMW nicht unvorstellbar ist, sich in ihren Führungskräfteseminaren auf eine außergewöhnliche Methode einzulassen: Jeden Morgen gibt Jesuitenpater Bordt eine halbstündige Einführung in die Meditation. Bereichsleiter Schöberl war gespannt, wie das freiwillige Angebot ankommen würde: "Interessanterweise wird es sehr stark genutzt."
Von Burkhard Schäfers
Link-Tipp: Das Institut für Philosophie und Leadership der Jesuiten