Die Kirche und die Rechten
Muss ein Pfarrer in Deutschland heute Angst davor haben, von Neonazis zusammengeschlagen zu werden, wenn er daran erinnert, dass das Gebot der Nächstenliebe auch gegenüber Flüchtlingen gilt? Wer die bedrückende ARD-Dokumentation "Kreuz ohne Haken – Die Kirche und die Rechten" sieht, dem geht diese Frage nicht mehr aus dem Kopf. Der Film erzählt von evangelischen Pfarrern wie Charles Cervigne aus Aldenhoven bei Aachen. Unbekannte klingeln eines Abends an seiner Pfarrhaustür, sprühen ihm Pfefferspray ins Gesicht und schlagen ihn mit einem Knüppel nieder. Warum? Er engagiert sich für Migranten; kurz vor dem Anschlag hatte er eine "flüchtlingsfreundliche Predigt" gehalten, wie es im Film heißt. Cervigne und andere evangelische Pfarrer berichten in der 45-minütigen Dokumentation von ihrem Engagement gegen rechts, von den Drohungen, die sie deswegen erhalten und warum sie dennoch weitermachen.
Neonazis besetzen Kirchturm
Fälle, wie die von Cervigne, finden zumeist nur regional Beachtung. Bundesweit Empörung rief dagegen im vergangenen Jahr die Besetzung des Turms der evangelischen Reinholdi-Kirche in Dortmund durch Neonazis hervor. Eine grölende Horde rechter Schlägertypen rollte vor den Augen der Weihnachtsmarktbesucher ein Transparent mit der Aufschrift "Islamisierung stoppen" aus. Die Aktion kurz vor Weihnachten wirkte wie eine öffentliche Kampfansage an die christlichen Kirchen in Deutschland. Nicht umsonst beginnt der Film mit Szenen aus dem rechtsextremistischen Propaganda-Video über die Aktion.
Eine Stärke von "Kreuz ohne Haken" liegt darin, dass die Dokumentation aus der Perspektive der Opfer erzählt, aber auch aufschlussreiche Einblicke in die Gedankenwelt von Rechtspopulisten und -extremisten gibt. Warum sie die Dortmunder Kirche gestürmt hätten, wird Klaus Schäfer gefragt, einer der Beteiligten. Das sei ein "gezieltes Sakrileg", sagt der frühere Chef der Dortmunder Feuerwehr. Gewiss habe man damit die religiösen Gefühle mancher Leute verletzt, aber man müsse die Aktion schließlich "im Zusammenhang" sehen. Und der stellt sich für den Kirchenbesetzer aus gutbürgerlichem Dortmunder Vorort so dar: Die Kirchen hätten ja schließlich auch Kurden Asyl gewährt, die Kirchengebäude besetzt hätten, ohne sie strafrechtlich zu belangen "und hier stellt man sich jetzt so an". Das werde "natürlich auch weiterhin politisch thematisiert", Schäfer.
Die Dramaturgie der Dokumentation überzeugt jedoch nicht vollständig. Der regelmäßige Wechsel zwischen Bildern von Neonazi-Aufmärschen und Einzelgesprächen mit evangelischen Pfarrern steigert zwar die Bedrückung des Zuschauers. Es drängt sich jedoch der Eindruck auf, die Pfarrer seien weitgehend isolierte Einzelkämpfer in einem weitgehend braunen Umfeld. Man fragt sich: Was ist mit den hunderttausenden evangelischen und katholischen Christen, die sich für Flüchtlinge engagieren und sich davon offensichtlich nicht durch Neonazis abschrecken lassen? Überhaupt lässt der Film die Frage offen, ob es sich bei den verbalen und tätlichen Angriffen auf Pfarrer um Einzelfälle handelt, die sich seit der Flüchtlingskrise häufen oder um eine systematische und flächendeckende Bedrohung. Zahlen und Statistiken kommen nicht vor.
Es geht in dem Film vor allem um die evangelische Kirche, die katholische Kirche kommt nur am Rande vor. Dennoch ist zumeist nur pauschal von "der Kirche" oder "den christlichen Kirchen" die Rede. Erklärt wird diese evangelische Schlagseite nicht. Gerne hätte man erfahren, ob die evangelische Kirche etwa stärker im Visier der Neonazis ist, als die katholische, und wenn ja, warum das so ist.
Als prominentestes katholisches Opfer rechter Hasstiraden wird in dem Film der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck vorgestellt. Dessen Aussage, dass nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Einheimischen ihre Lebensgewohnheiten ändern müssten, führte im Internet zu einem Shitstorm von Rechtsextremisten.
Kann man als Christ AfD wählen?
Zumindest Rechtspopulisten gibt es nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirchen. Davon berichtet in der Dokumentation der katholische Publizist Andreas Püttmann. Er von spricht Drohbriefen und Telefonterror vom rechten Rand der christlichen Kirchen.
Die Dokumentation geht schließlich auch auf eine Frage ein, die drei Wochen vor der Bundestagswahl besonders aktuell ist: Kann man als Christ die AfD wählen? Ein evangelischer Christ und AfD-Anhänger zeigt sich in dem Film enttäuscht über die Haltung seiner Kirche gegenüber der AfD. Auch für solche Überzeugungen müsse Platz sein, sagt er und beruft sich auf die Freiheit, die Martin Luther propagiert habe.
Wie politisch darf die Kirche sein? fragen die Autoren. "Ist die evangelische Kirche zu links?" Markus Dröge, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, will keine pauschale Antwort geben. Er definiert die "rote Linie" zur AfD so: Theologisch sei sie überschritten, wenn der Glaube an Christus für eine völkische Ideologie instrumentalisiert werde, ethisch sei sie überschritten, wenn menschenverachtend über Andere gesprochen werde. Gefragt ist also der Wähler.