Die Königin der Instrumente führt ein Nischendasein
Im September feiert der Bund Deutscher Orgelbaumeister (BDO) seinen 125. Geburtstag. Im Interview berichtet der Vorsitzende des Verbands, Thomas Jann, über Trends und Herausforderungen für den Orgelbau.
Frage: Herr Jann, welche gesellschaftliche Relevanz hat der Orgelbau heute?
Jann: Die Relevanz ist in den Kreisen, die mit Kirche zu tun haben, natürlich relativ hoch. Aber wir dürfen die Augen nicht verschließen: Viele junge Menschen können heute kaum noch etwas mit Orgelmusik anfangen. Unsere Aufgabe ist es deshalb vor allem, stärker in die Öffentlichkeit zu gehen. Wer die bessere Werbung hat, wer lauter ist, wird besser wahrgenommen.
Frage: Mit welchen Problemen hat der Orgelbau in der Praxis zu kämpfen?
Jann: Wir sind natürlich sehr stark von den Kirchen abhängig, die generell 90 bis 95 Prozent des Auftragsvolumens ausmachen. In Deutschland ist entgegen vieler Unkenrufe durchaus Geld für Orgelbau vorhanden. Die Frage ist nur, wie gerade die Stimmung in den Kirchen und dadurch auch die Investitionsfreude ist. Im Bistum Regensburg etwa gibt es seit anderthalb Jahren wieder eine Bezuschussung von Orgelbauvorhaben in Höhe von 45 Prozent der Kosten. Das ist aber eine Ausnahme. Dabei gäbe es genug Arbeit in diesem Bereich, denn viele Kirchenorgeln wurden seit Jahren nicht gewartet oder gepflegt.
Frage: Wie muss sich denn der deutsche Orgelbau aufstellen, um zukunftsfähig zu sein?
Jann: Das hängt sehr stark von den einzelnen Firmen ab. Es gibt kleinere Orgelbauer, die sich überwiegend mit Restaurierungen befassen oder sich auf bestimmte technische Systeme spezialisiert haben. Größere Firmen können sich dagegen breiter aufstellen. Generell stellt sich die Frage, wie gut oder wie innovativ eine Firma in bestimmten Bereichen ist, etwa was Architektur, Klanggestaltung oder Technik betrifft. Nur selten gibt es Firmen, die in allen Bereichen Trendsetter sind. Auch gibt es hier sehr unterschiedliche Strömungen. Die Bandbreite reicht von einer Stilkopie bis hin zu einer modernen Orgel etwa mit schrägen Pfeifen im Orgelprospekt. Die Zeiten sind allerdings sehr schnelllebig geworden, und Moden wechseln rasch. Es kann also sein, dass ein Betrieb, der heute noch drei Jahre Lieferzeit hat, in wenigen Jahren keine Arbeit mehr hat.
Frage: Orgeln werden technisch immer komplizierter. Inzwischen gibt es sogar technische Systeme, die Organisten überflüssig machen können, etwa Selbstspielvorrichtungen, die auf Knopfdruck eine Gemeinde begleiten. Stellt diese Entwicklung eine Gefahr für den Orgelbau dar?
Jann: Diese Diskussion gab es in ganz ähnlicher Weise schon einmal mit der Erfindung des Pianola. Das ist vordergründig natürlich eine feine Sache, und man kann damit erstaunliche Effekte erzielen - aber wenn man dann einen Pianisten live hört, merkt man doch, dass es etwas ganz anderes ist. Diese Erfahrung haben wir auch in Kirchengemeinden gemacht, in denen diese Systeme genutzt wurden. Da erzählen dann viele Leute, dass es doch viel schöner ist, wenn ein Organist spielt, selbst wenn er manchmal Fehler macht. Es steht nämlich der Mensch im Mittelpunkt, sonst könnten wir auch Predigten von einer CD abspielen.
Frage: Die deutschen Christen sind ja sehr verwöhnt, weil zu den meisten Gottesdiensten Orgelmusik gehört. Wie sieht das in anderen Ländern aus?
Jann: In Nordeuropa wird Orgelmusik sehr geschätzt, aber in Frankreich zum Beispiel fehlt es in ländlichen Regionen allerorten an Organisten, so dass viele Orgeln verwahrlosen. In Spanien und Portugal ist die Situation ähnlich, auch wenn dort gegenüber früheren Zeiten eine stärkere Orgelbautätigkeit zu bemerken ist. Russland kennt die Orgel in der Kirche gar nicht, aber dort werden viele Instrumente in Konzertsälen gebaut. Korea schließlich hat eine wachsende Kirche, dort müssen wir uns aber gegen die elektronische Orgel behaupten, die eine starke Konkurrenz darstellt.
Frage: Ist die elektronische Orgel tatsächlich eine Gefahr für den Pfeifenorgelbau?
Jann: Ich würde da nicht von Gefahr reden. Das sind eben Entwicklungen, denen man begegnen muss. Es gibt heutzutage ja auch elektronische Orgeln, die gesampelte, also Pfeife für Pfeife aufgenommene historische Instrumente wiedergeben. Das klingt so gut wie eine gute CD-Aufnahme, aber natürlich nicht so wie das Original. Die Frage ist auch: Was würden solche Instrumente machen, wenn es das Original der Pfeifenorgel nicht gäbe?
Frage: Was unterscheidet den deutschen Orgelbau von dem in anderen Ländern?
Jann: Hier gibt es mit dem BDO einen starken Berufsverband und einen in allen Bereichen extrem hohen Qualitätsstandard, nicht zuletzt durch die gemeinsame Berufsschule in Ludwigsburg. Bereits dort lernen sich alle Orgelbauer während der Ausbildung kennen, so dass wir ein gutes Netzwerk haben und einen kollegialen Umgang pflegen. Außerdem haben wir eine sehr große Vielfalt: Jeder Orgelbauer ist ein Individuum und baut andere Instrumente.
Frage: Warum wurde der BDO vor 125 Jahren überhaupt gegründet?
Jann: Man brauchte eine Interessenvertretung aller Orgelbauer, ein Forum für den gemeinsamen Austausch, auch um über ein vernünftiges Preisniveau und ein einheitliches Geschäftsgebaren zu reden. Heute sind die Aufgaben des BDO wesentlich vielseitiger geworden. Es geht etwa darum, die Orgel mehr in die Öffentlichkeit zu bringen oder die Kollegen fachlich zu unterstützen. Wir bieten zum Beispiel Workshops zu Themen wie Schimmelbefall oder Elektrik an. Außerdem wollen wir die Kommunikation mit den Orgelsachverständigen intensivieren und haben Experten, die vermitteln, wenn es zwischen Orgelbauern, Orgelsachverständigen oder Auftraggebern Probleme gibt. Der BDO ist zudem eine politische Interessenvertretung, weil eine Nische wie der Orgelbau sonst leicht übersehen wird. Hilfreich hierbei ist auch, dass der deutsche Orgelbau und die Orgelmusik jetzt auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes in Deutschland eingetragen sind.