Die Kunst des Ministrierens
"Ja, wo laufen sie denn – wo laufen sie denn hin?" Die Phrase ist durch Loriots Cartoon "Auf der Rennbahn" von 1972 zum geflügelten Wort geworden und bekanntermaßen ursprünglich auf ein Pferderennen bezogen. Aber vielleicht stellt sich so mancher Gottesdienstbesucher dieselbe Frage, während er in der Messe die Ministranten genauer beobachtet. Und mal Hand aufs Herz: Verstehen Sie immer alles, was sich da rund um den Altarraum abspielt? Oder anders: Haben Sie überhaupt schon mal auf die Details geachtet? Warum klingeln die Minis zum Beispiel an bestimmten Stellen der Messe? Oder wie oft wird das Weihrauchfass während der sogenannten Inzens, der Beräucherung, vor Priester und Volk hin- und hergeschwenkt?
Vielleicht muss man den Dienst auch selbst einige Zeit ausgeübt haben, um einen Blick für solche Detailfragen zu entwickeln. Fest steht: Die Ministranten wissen in der Regel ganz genau, was sie da tun. Das ist eine Frucht der "Ausbildung", die die neuen Minis vor ihrem ersten Altardienst absolviert haben sollten und die oft parallel zur oder im Anschluss an die Erstkommunionvorbereitung läuft. Denn zwei Dinge sind unabdingbar: Ein Messdiener muss getauft sein und die Eucharistie empfangen haben. Für die Minis heißt es dann: üben, üben, üben. Da geht es um den genauen Ablauf der Messe und anderer gottesdienstlicher Feiern, um Gebete, um Zeiten und Feste im Kirchenjahr, um die liturgischen Bücher und Geräte, um liturgische Kleidung und Farben. Außerdem um die richtigen Körperhaltungen (wann wird gesessen, gestanden, gekniet, wann erfolgt eine Kniebeuge oder Kopfverneigung?) und natürlich um die einzelnen, teils sehr unterschiedlichen Dienste der Ministranten.
Großes Aufgabenspektrum
Dabei ist das Spektrum vielleicht größer, als mancher denkt: Es reicht vom "gewöhnlichen" Altardienst über die Leuchterträger – aufgeteilt in Kerzen- und Flambeauträger –, den Weihrauchdienst mit Fass- und Schiffchenträger, den Kreuzträger bis hin zu den Insignienträgern bei Bischofsmessen. Alle diese Dienste sollten gut einstudiert werden, was normalerweise ältere Ministrantinnen und Ministranten – oft die Leiter der Messdienergruppe einer Gemeinde – nach und nach mit den Minis gemeinsam tun.
Sind die Neuen soweit fit für ihren "Job", folgt irgendwann die erste Messe. Schon ganz zu Beginn des Gottesdienstes sind die Messdiener gewissermaßen unverzichtbar: Denn einer von ihnen läutet die Einzugsglocke und gibt damit der Gemeinde und dem Organisten das Signal, dass die Messe angefangen hat. Neue Ministranten beginnen meist als Altardiener, auch Akolythen (griechisch für Begleiter, Gefolgsmann) genannt. In dieser Funktion assistiert der Messdiener dem Priester – wie der Name schon vermuten lässt – bei allem, was am Altar geschieht. Vordergründig ist das die Gabenbereitung vor und das Abräumen des Altares nach der Kommunion.
Die Ministranten im Altardienst bringen dem Priester die Hostienschale und den Kelch, Wein und Wasser in Kännchen, helfen ihm bei der "Lavabo" genannten Händewaschung, bringen später Wasser zur Reinigung (Purifikation) der liturgischen Gefäße und räumen diese anschließend wieder ab. Daneben können sie dem Zelebranten auch am Priestersitz assistieren, indem sie ihm etwa das Messbuch zum Vortragen des Tages- und Dankgebets hinhalten. Dafür kann aber auch ein eigener Dienst existieren: der Buchträger oder Librifer (von lateinisch liber = Buch).
Wann klingelt's?
Schließlich ist es die Aufgabe der Akolythen, während des Hochgebets die Altarschellen zu betätigen. In der Regel passiert das dreimal: unmittelbar vor der Wandlung, beim Hochhalten der konsekrierten Hostie und beim Hochhalten des Kelchs mit konsekriertem Wein. Das Schellen verdeutlicht, dass hier etwas Außergewöhnliches geschieht: Aus Brot und Wein werden wirklich Leib und Blut Christi. Eine heilige Handlung, bei der prinzipiell alle Gläubigen knien sollen. Das Schellen war deshalb besonders in früheren Zeiten bedeutsam, als die Messe auf Latein gelesen, das Hochgebet vom Priester still gebetet wurde und er zudem mit dem Rücken zum Volk stand. Damit das Volk überhaupt mitbekam, wann sich die heilige Handlung vollzog, war das Klingeln ein wichtiges Hilfsmittel. In vielen Kirchen gibt es heute auch einen Gong statt der Schellen. Mancherorts klingeln die Akolythen zudem noch ein viertes Mal, wenn sich die Gläubigen nach dem Hochgebet zum Vaterunser erheben sollen.
"Akolythen" gab es schon in der frühen Kirche. Sie nahmen ähnliche Aufgaben wie die heutigen Ministranten wahr, waren jedoch geweihte Kleriker. Weil seit dem sechsten Jahrhundert die Zahl sogenannter Privatmessen wuchs, übernahmen Messdiener die Antworten der nicht anwesenden Gemeinde und assistierten dem Priester. Die Anwesenheit von mindestens zweien schrieb die Synode von Mainz im Jahr 813 vor; die Synode von Paris nannte sie 829 offiziell "ministri" (Diener). Über Jahrhunderte hinweg blieb der Dienst eine Stufe auf dem Weg zum Priesteramt. Deshalb konnten ihn auch nur männliche Katholiken – häufig waren es Chorknaben – ausüben. Erst im 20. Jahrhundert wurde das Ministrieren zu einem Laiendienst – bestärkt durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965). Seit den 1970er-Jahren übernahmen deshalb auch Mädchen den Ministranten-Dienst; heute sind sie vielerorts sogar in der Überzahl.
Aus den Akolythen entwickelte sich ein weiterer Messdiener-Zweig: der Fackelträger, auch Zeroferar genannt (von lateinisch cera = Wachs und ferre = tragen). Den Brauch, brennende Kerzen in den Gottesdienst zu tragen, gibt es in der Kirche seit Jahrhunderten. Das Licht symbolisiert dabei Christus. Noch heute tragen daher zwei Leuchterträger zum Ein- und Auszug ihre Kerzen und flankieren den Priester oder Diakon beim Vortragen des Evangeliums am Ambo. Meist bei besonderen Gottesdiensten sind weitere Zeroferare im Einsatz. Zur Abgrenzung von den gewöhnlichen Kerzen werden ihre Leuchter als Flambeaus (französisch für Fackel) bezeichnet. Kerzen- und Flambeaudiener ziehen dann zum Evangelium gemeinsam in einer Prozession zum Ambo.
Festliches Räuchern
Besonders feierlich wird ein Gottesdienst durch den Gebrauch von Weihrauch als Zeichen der Verehrung, Segnung und Reinigung. Gerade an kirchlichen Hochfesten kommen deshalb zwei Weihrauchdiener zum Einsatz: Ein Ministrant trägt das Rauchfass mit glühender Kohle – der Thuriferar (von lateinisch thuribulum = Rauchfass); der andere trägt das als "Schiffchen" bezeichnete Gefäß mit dem Weihrauch – der Navikular (von lateinisch naviculum = Schiffchen). Die Weihrauchdiener führen die Gruppe von Ministranten, Priester(n) und weiteren liturgischen Akteuren beim Einzug in der Regel an.
Unmittelbar nach dem Einzug legt der Priester den Weihrauch ein, das heißt, er streut mit einem Löffel die Weihrauchkörner über die glühende Kohle. Seine Aufgabe in der Messe ist es, den Altar als Tisch des Herrn, das Kreuz sowie das Evangelienbuch mit dem Wort Gottes zu inzensieren (beräuchern); in der Osterzeit passiert das auch mit der Osterkerze und in der Weihnachtszeit mit der Krippe. Der Messdiener mit dem Rauchfass hingegen inzensiert den Priester als Vorsteher der Messe und eventuell anwesende Konzelebranten. Das geschieht während der Gabenbereitung: mit drei Mal zwei Schwenkbewegungen (Zügen) des Fasses auf Kopfhöhe – zweimal mittig, zweimal leicht nach links, zweimal leicht nach rechts. Ebenfalls mit drei Doppelzügen wird anschließend die anwesende Gemeinde inzensiert sowie bei der Wandlung die eucharistischen Gestalten.
Individuelle Regeln
Dass es jeweils drei Doppelzüge sein sollen, besagt die Grundordnung des Römischen Messbuchs (GRM Nr. 277). Dennoch ist in manchen Gemeinden bei der Inzens eine Art "Hierarchie" Usus: Die anwesende Gemeinde erhält dann häufig drei einfache Züge, der Priester als Vorsteher drei Doppelzüge und der unter den eucharistischen Gestalten gegenwärtige Christus drei dreifache Züge. Das ist ein Beispiel dafür, dass sich bei den Minis unterschiedlicher Gemeinden je eigene Regeln herausgebildet haben können. Der Dienst ist also nicht überall vollständig gleich.
Zu größeren Messfeiern kommt beim Ein- und Auszug häufig auch ein Vortragekreuz zum Einsatz, das von einem separaten Ministranten getragen wird: dem Kruziferar (von lateinisch crux = Kreuz). Sollte ein Bischof Hauptzelebrant der Messe sein, gibt es für zwei weitere Messdiener eine Aufgabe: Sie heißen Insignienträger oder Signiferi (von lateinisch signum = Zeichen) und halten jeweils die bischöflichen Insignien Stab und Mitra in den Händen, wenn der Bischof sie während des Gottesdienstes nicht benötigt.
Bei sakramentlichen Feiern wie Taufe und Hochzeit, bei Beerdigungen oder bei Gottesdiensten mit einer speziellen Liturgie – etwa an Karfreitag oder der Prozession zu Fronleichnam – ergeben sich für die Messdiener noch einmal je eigene Aufgaben und Abläufe. Der Ministranten-Dienst ist somit ein äußerst vielfältiger Dienst, der den Minis einiges an Können und einen wachen Geist für die Liturgie abverlangt. Eine Kunst für sich, die den Respekt und die Wertschätzung der ganzen Gemeinde verdient.