"Die öffentliche Haltung ändern"
Derzeit ist Balleis in Deutschland. Natürlich benennt er auch die Probleme, etwa in seiner Predigt beim ökumenischen Neujahrsgottesdienst für Beschäftigte in der Entwicklungsarbeit am Montagabend in Bonn. "2013 war kein gutes Jahr für Flüchtlinge", ihre Zahl sei auf 44 Millionen angestiegen, Binnenflüchtlinge eingeschlossen. "Das neue Jahr 2014 wird von dieser Realität bestimmt und scheint nicht besser zu werden", sagt er. Etwas Neues und Gutes hat das vergangene Jahr aber doch für ihn gebracht: "In Papst Franziskus fanden Flüchtlinge einen Fürsprecher auf höchster internationaler Ebene".
"Konfliktzonen sind vor der Haustür Europas"
Derzeit stünden wir alle, und damit auch die Politik Deutschlands und Europas "hilflos vor dem Drama", so Balleis. Er verweist auf den Bürgerkrieg in Syrien, das Versinken der Zentralafrikanischen Republik in der Unregierbarkeit oder das Zerbrechen des Südsudan im Kampf zweier Stammesführer. Der Geistliche erinnert daran, dass die beiden größten Konfliktzonen – die unstabilen Länder Nordafrikas und der Bürgerkrieg in Syrien im Mittelmeerraum – praktisch vor der Haustür Europas stattfänden. Abgesehen von der Intervention in Mali und den Versuchen, "die Mauer um Europa höher zu ziehen", wisse die EU nicht, wie sie reagieren solle, sagt Balleis.
Der Jesuit plädiert für einen anderen Blick und versucht, die öffentliche Haltung zu ändern: "Solange Flüchtlinge in ihrer Not nach Europa zu fliehen versuchen, sagt das etwas durchaus Positives über Europa aus. Sie erwarten von Europa, dass die Menschenrechte und internationalen Konventionen eingehalten werden", sagte er in der Predigt. Es gebe nun mal auf der Welt Flüchtlinge; dies könne man nicht stoppen, sondern nur "auf eine konstruktive Weise lenken". Im Gespräch über seine Erfahrungen mit Flüchtlingen berichtet er, dass Asylsuchende sich Frieden wünschten und sehr integrationswillig seien.
Man solle ihnen die freie Wahl lassen, in welchem Land der EU sie ihr Asylrecht erhalten wollen, so Balleis. "Die Flüchtlinge wissen sehr wohl, wo sie eine bessere Chance haben, sich zu integrieren, wo sie vielleicht schon Bekannte und Verwandte haben." Dies wäre für beide Seiten besser als die derzeitige Dublin-II-Verordnung, nach der ein Flüchtling nur in dem Land Asyl beantragen darf, in dem er zum ersten Mal europäischen Boden berührt hat. Er verweist auch auf die gefährlichen Fluchtwege über das unruhige Mittelmeer. "Es gibt ökonomischere und weniger gefährliche Wege, diesen schutzbedürftigen Menschen einen Zugang zu Europa zu gewähren."
Muslime respektieren die Arbeit des JRS
Der Pater sieht seine Arbeit durch Jesus inspiriert. "Seine erste Reaktion war oft das Mitgefühl – und Mitgefühl für die Lage der Boat People aus Vietnam hat im Jahr 1980 zu der Gründung des JRS geführt". Das Wort "Jesuit" im Namen des Flüchtlingsdienstes stelle kein Problem dar, auch wenn der JRS hauptsächlich im Kontext muslimischer Länder arbeite: "Als vom Glauben inspirierte Organisation werden wir von Muslimen respektiert und haben auch selbst eine größere Sensibilität für Menschen, denen ihr Glaube viel bedeutet", erklärt Balleis. Und dank der vielen muslimischen Helfer habe der JRS etwa in Syrien 2013 rund 300.000 Menschen helfen können.
Anfang der 90er-Jahre begann Balleis für den Flüchtlingsdienst zu arbeiten, seit 2007 leitet er ihn. Seine Arbeit sieht er als ein Projekt, das auf lange Sicht Wirkung zeigt. Wenn er gefragt wird "Hat Afrika angesichts all der Probleme auf dem Kontinent überhaupt eine Chance?", antwortet er mit einem klaren "Ja". Er erklärt, dass es weit mehr gebe, als die Konflikte in der Sahelzone oder den entwicklungstechnisch jahrzehntelang vernachlässigten Sudan. Vor 20 Jahren habe es die größten Kriege und Konflikte in Angola, Namibia und Südafrika gegeben. Diese Region im Süden des Kontinents sei inzwischen viel stabiler.
Den Deutschen die Angst nehmen
Den Menschen in Deutschland würde er gerne die Vorbehalte vor Flüchtlingen nehmen und appelliert daran, sich nicht von falschen Darstellungen fehlleiten zu lassen. Er erzählt davon, dass der JRS neuerdings in Frankreich Familien begleitet, die für drei Monate Asylsuchende in ihre Wohnung aufnehmen. Solche persönlichen Begegnungen seien ein Gewinn für beide Seiten. Balleis ermuntert auch Kirche und Kommunen in Deutschland dazu, auf die Menschenrechte, die Werte des Evangeliums sowie die gemeinsamen kulturellen und religiösen Werte wie Gastfreundschaft zu setzen.
Ein Dorf in Bayern könne durchaus eine Struktur aufweisen, die sich besser eignet, eine kleine Gruppe von Flüchtlingen zu integrieren, als die Anonymität einer Großstadt. Kirchengemeinden würden seit jeher und überall auf der Welt von Zuwanderern bereichert. Zwar könne man keine Lösungen für die Konflikte in den Ursprungsländern liefern, aber doch das mögliche tun, wenn man den Menschen Hilfe und Aufnahme gewähre. Außerdem verweist Balleis darauf, dass die meisten der 44 Millionen Flüchtlinge in ihren Nachbarländern – also Entwicklungsländern – Aufnahme finden. "Und wir stellen uns so an."
Von Agathe Lukassek