Homiletiker und Priester Peter Seul über die Sprache der Kirche

Die Predigt ist keine theologische Vorlesung

Veröffentlicht am 09.06.2016 um 00:01 Uhr – Von Peter Seul – Lesedauer: 
Das Evangeliar auf dem Ambo, im Hintergrund ein Diakon direkt nach der Weihe in seinem neuen Gewand.
Bild: © KNA
Kommunikation

Bonn ‐ "Die Kirche verreckt an ihrer Sprache" diagnostiziert Strategieberater Erik Flügge frech. Was sagen die Prediger dazu? Katholisch.de hat den Priester und Predigtlehrer Peter Seul gefragt.

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Peter Seul war bis zum vergangenen Jahr Mitglied in der Jury des ökumenischen Predigtpreises und ist Dozent für Homiletik, also für Predigtlehre. Außerdem predigt er selbst regelmäßig in seiner Gemeinde im Erzbistum Köln. Für katholisch.de setzt er sich mit Flügges Kernthesen auseinander.

These 1: Religiöse Sprache versus Umgangssprache

Erik Flügge kritisiert eine Art theologische Kunstsprache, die in der Kirche verwendet und die von den Menschen nicht verstanden werde. Damit hat er leider nicht Unrecht. Das Krisensymptom einer abgehobenen Sprache in der Predigt nimmt in dem Maße zu, indem die Welt der Kirche und die Erfahrungswelt der Menschen immer weiter auseinanderdriften. Die Predigt rückt damit auf gefährliche Weise in den Winkel einer exklusiven kirchlichen Sprach- und Denkform. Ein Prediger tut gut daran, immer wieder Maß zu nehmen an der Umgangssprache. Die Sprache seiner Predigt ist nicht die Sprache der Theologie. Theologisches Wissen fließe in die Predigt ein, muss aber nicht partout hörbar sein.

Gleichzeitig darf die Sprache der Predigt nicht beliebig werden: Sie ist eine "religiöse" und übersteigt damit die Umgangssprache. Denn die Predigt hat den "ganz Anderen", sie hat Gott zum Thema. Sie hat es mit "heiligen Texten" zu tun. Damit ist sie resistent gegenüber dem andauernden, eiligen Sprachwandel. Predigt ist per se eine "veraltete Sprache", "nicht heutige Sprache". Diese Einsicht kann vor dem Zwang bewahren, die religiöse Sprache permanent zu "modernisieren".

Pfarrer Peter Seul hält eine Rede
Bild: ©Predigtpreis/Karsten Matthis

Peter Seul ist Priester im Erzbistum Köln und war bis 2015 Mitglied in der Jury des Ökumenischen Predigtpreises.

These 2: Viel Text versus wenig Aussage

Erik Flügge kritisiert "belanglose Kettensätze, … die ziemlich viel Text produzieren, um ziemlich wenig auszusagen". Auch das stimmt: Nicht jeder Prediger hat die Fähigkeit, einen Sachverhalt so zu formulieren, dass er für nicht Eingeweihte verständlich wird. Manch einer vertuscht mit vielen Worten Nichtwissen oder setzt die Wirkung vor den Inhalt. Wieder andere neigen zu einem "Slang", der oft durchsetzt ist mit Anleihen aus dem Soziologen-, Psychologen- und Philosophen-Deutsch. Ich erinnere mich an einen Satz aus einer Predigtvorlage: "Unser Hier und Jetzt ist Gottes Immer und Überall". Mir scheint, hinter solchen Hohlformen verbergen sich oft Übersetzungsfaulheit, Denkfaulheit und allzu erwartbare Wortspiele.

Wer professionell mit Sprache umgeht, muss seinen Sprachstil immer wieder kritisch unter die Lupe nehmen. Die Übungen nach "Reiners Stilfibel" haben nach wie vor ihre bleibende Berechtigung. Sind meine Sätze zu lang? Verwende ich unnötige Fremdwörter? Lassen sich substantivische Wendungen in Verben umformen, Passivformulierungen durch Aktivausdrücke ersetzen, Abstraktes in Konkretes umwandeln? Solche Kontrollfragen verhelfen dem Prediger zum sprachlichen Feinschliff.

These 3: Intellekt versus Sinnlichkeit

Erik Flügge kritisiert "emotional überfrachtete Methodiken" in der Predigt. Wenn ein Priester in einer Predigt symbolisch Kraftsteine aneinander klopft oder die Gemeinde auffordert, ihre Gefühle auf kleine Zettel zu notieren, findet er das lächerlich. Von Erich Kästner stammt der Ausspruch: "Der Kopf ist nicht das einzige Körperteil". Der Gottesdienst ist eine zutiefst symbolhafte, kommunikative Handlung. Er will eben nicht nur den Verstand ansprechen, sondern alle Sinne — sonst kann das Geschehen die Gläubigen nicht ergreifen. Liegt nicht gerade darin der unschätzbare Vorteil, dass sich der einzelne durch den Ritus in seinem Persönlichsten und Intimsten geschützt fühlt? Er braucht sich nicht vor anderen zu enthüllen, wie das etwa in mancher abgehobener Gesprächstherapiegruppe oder einigen religiösen Gemeinschaften der Fall ist, wo der einzelne seine Erfahrungen mit Gott den anderen mitteilen soll. Der viel geschmähte Ritus hat eine Schutzfunktion. Gerade seine Routine,  im Gegensatz zu den von Flügge kritisierten "emotionalen Methodiken" eröffnet doch die Möglichkeit, Persönliches aufzuarbeiten.

These 4: Nachäffen versus Authentizität

Erik Flügge kritisiert Theologen, die die Sprache und das Verhalten von Jugendlichen nachahmen wollen. In der Tat: Die Sprache der Predigt ist nicht die Privatsprache einer kleinen Gruppe. Und der Versuch eines Predigers, sich exzessiv der Jugendsprache zu bedienen, gerät in aller Regel zur Farce. Loriot hat einmal in einem Interview gesagt: "Es ist gut, dass man versucht, eine moderne Sprache zu finden. Die Frage ist aber: Möchte das gläubige Publikum vielleicht doch einen Pastor haben, der in einer abgehobenen Form spricht und gar nicht so sehr das tägliche Umgangsdeutsch benutzt – der ein bisschen von einer anderen Welt ist? Soll er Ausdrücke der Jugend verwenden wie 'ungeheuer stark', 'ätzend' und 'tierisch' – nur um den Leuten nahe zu sein? Oder soll er sagen: Es gibt noch eine andere Sprache, dies hier ist eine andere Welt, zu der ihr herzlich eingeladen seid?"

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Video: © katholisch.de

Verreckt die Kirche an ihrer Sprache? Der Strategieberater Erik Flügge weiß, wie man Kompliziertes ganz einfach ausdrückt. Er glaub aber auch zu wissen: Die Kirche kann es einfach nicht. Ein Gespräch über den "Jargon der Betroffenheit", geführt auf dem Katholikentag in Leipzig.

These 5: Abstraktion versus Anschaulichkeit

Erik Flügge kritisiert die Verwendung von veralteten Bildern aus der Heiligen Schrift – etwa dem von der Kirche als "Sauerteig". Schließlich hätten die Menschen heute keine Ahnung mehr davon, wie man Sauerteig macht. Auch ganz allgemein gehörten Bilder nicht mehr zum gewohnten Sprachgebrauch. "Menschen sprechen heute exakt das aus, was sie auch meinen", glaubt Flügge.

Diese Aussage irritiert. Ein Prediger muss bei der Ausführung seiner Ideen das Gesetz der Anschaulichkeit beachten. Der Mensch nimmt ja die Umwelt zu 90 Prozent durch seine Augen auf. Und er denkt, überlegt und erinnert sich zu 100 Prozent in Bildern. Bilder erreichen die Gefühle der Zuhörer. Abstrakte Formulierungen sind dagegen Stolpersteine für das Verständnis. Sie haben eine geringere Chance, sich im Gedächtnis festzusetzen. Denn auch das Gedächtnis arbeitet fast ausschließlich in und mit Bildern.

Jesus hat das Reich Gottes in Gleichnissen angesagt. Er tat das nicht etwa, weil er in der rabbinischen Tradition stand, die sich dieser Sprachform bediente, auch nicht, weil seine Hörer Analphabeten gewesen wären und auch nicht, weil er als Mensch aus dem Orient Bilderreichtum einfach liebte. Nein, Jesus vermittelt durch die Gleichnisse das Reich Gottes so unmittelbar, dass der Hörer hineingezogen wird und dadurch erkennen kann, dass es hier um seine eigene Sache geht: Der Glaube ist ein Angebot an dich! Sicher, die Bildworte Jesu entstammen einer anderen Zeit und Kultur. Hier ist Übersetzungskunst gefragt. Wer aber den Hinweisen Jesu folgt, kann die Wirklichkeit Gottes in Bildern lebendig werden lassen.

These 6: Vortrag versus Predigt

Erike Flügge bezeichnet in seinem Buch konservative Theologen als die besseren Prediger. Aber nicht die Gruppenzugehörigkeit entscheidet über eine gute Predigt, sondern das Wissen, dass eine Predigt keine theologische Vorlesung und kein bibelwissenschaftlicher Fachvortrag ist. Sie will in der Regel nicht so sehr belehren als vielmehr bewegen. Der Glaube ist eben nicht nur eine Sache des Kopfes, sondern eine Sache des Herzens. "Credo" kommt von "cor do", das heißt: "Ich gebe mein Herz". Eine Predigt, die "zum Glauben reizen" (Martin Luther) will, muss deshalb das Herz ansprechen. Damit ist allerdings nicht gefühlsselige Sentimentalität gemeint, sondern existentielle Tiefe.

Linktipp: Verreckt die Kirche an ihrer Sprache?

"Jesus lädt dich ein. Ja, er lädt dich ein zum gemeinsamen Mahl." Es sind Predigten wie diese, die den Katholiken und Strategieberater Erik Flügge zur Verzweiflung treiben. Ein Interview.
Von Peter Seul